Johannes Ebert am 20. Juni 2018
„Was Deutschland zu erzählen hat“

Beitrag von Generalsekretär Johannes Ebert in der Rubrik „Außenansicht“ der Süddeutschen Zeitung

In der auswärtigen Kulturpolitik sollten sich Staaten zurückhalten. Sie kann nur dann zum Frieden beitragen, wenn sie nicht einseitig ist. Länder wie Russland oder China wollen allerdings vor allem ihre Attraktivität gewährleistet sehen.

Ukrainekrise, Konkurrenz zwischen den USA und China, Populismus und Brexit, Syrien, Migration und Flucht - die internationalen Gefüge verändern sich rapide. Neben die USA und Westeuropa, die lange die Deutungshoheit über globale Zusammenhänge beanspruchten, sind neue Machtzentren getreten. Die liberale Erzählung steht auf dem Prüfstand. Das liegt daran, dass manche Verheißung auf politische Partizipation und soziale Gerechtigkeit auf globaler Ebene nicht erfüllt wurde, aber auch daran, dass anderen Ländern andere gesellschaftliche Konzepte attraktiver erscheinen. Gleichzeitig ist auch in Europa zu erleben, dass Menschen das liberale Narrativ, die Erzählung von Freiheit und Gleichheit, infrage stellen und weniger gesellschaftliche Vielfalt und mehr nationale Abgrenzung fordern.

Der Begriff vom "Wettbewerb der Narrative" beschreibt die Situation gut: Heute stehen sich unterschiedliche Weltentwürfe gegenüber, die Bedeutung von Kultur und Bildung als Ort des Aushandelns und miteinander Redens wächst. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD trägt dem Rechnung, die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik soll gestärkt werden.

Auch anderswo wird die Bedeutung der Kultur- und Bildungspolitik erkannt. Neben den europäischen Akteuren - dem British Council und dem Institut Français etwa - werden weitere Netzwerke wichtig. Russland betreibt mehr als hundert Kulturinstitute; China hat in den vergangenen Jahren mehr als 30 Kultur- und mehr als 500 Konfuzius-Institute gegründet. Letztere bieten vor allem Sprachkurse und auch Veranstaltungen an und sind im Ausland Teil örtlicher Partnerinstitutionen.

Diese Entwicklung ist grundsätzlich positiv: In Zeiten der Globalisierung ist es entscheidend, die Kenntnis von anderen Gesellschaften und Kulturen zu vertiefen. Die Arbeit nationaler Kulturinstitute ermöglicht vielen Menschen den Zugang zu Sprachen, zu Kulturen und zum Verständnis anderer Weltentwürfe. Sie sendet Signale der nationalen Kultur aus, initiiert aber immer auch einen gemeinsamen Lernprozess.
Allerdings sind staatliche Kultur-, Bildungs- und Rundfunkinstitutionen, die im Ausland arbeiten, den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ihrer Herkunftsländer eng verbunden. Daraus ergibt sich eine unterschiedliche Haltung zu zentralen Fragen: Vielerorts werden die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft, der Freiheitsgrad von Kunst und Medien oder der Schutz der digitalen Privatsphäre anders gesehen als hierzulande. Das darf bei Diskussion und Begegnung mit diesen Kulturräumen, die ausländische Kulturinstitute ja darstellen, nicht ausgeblendet, sondern muss offen angesprochen werden.
Auch die Frage, ob die eigene Gesellschaft im Ausland ausschließlich positiv dargestellt wird, oder ob ein offener Austausch erfolgt, der Kritik und Selbstkritik einschließt, stellt sich von Land zu Land unterschiedlich dar: In den Zielen der Trägerinstitution der russischen Kulturinstitute, Rossotrudnitschestwo, ist vermerkt, man wolle "dafür Sorge tragen, dass Russlands Attraktivität als Nation sowie als Staat gewährleistet bleibt". Der chinesische Staatschef Xi Jinping ruft dazu auf, die Geschichte Chinas "gut zu erzählen". Durch positive Botschaften soll die Attraktivität des eigenen Landes erhöht werden. Ein solch einseitiges Dringen auf "Soft Power" birgt die Gefahr, Kultur, Bildung und Wissenschaft zu instrumentalisieren.

Die deutsche auswärtige Kulturpolitik folgt einem anderen Verständnis: Ausgehend von der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit wird sie in ihrer Idealform als Ausgangspunkt für die offene Begegnung von Menschen begriffen - als Ort, an dem globale Fragen mit Mitteln der Kunst, des Diskurses und der konstruktiven Auseinandersetzung thematisiert werden. Kulturelle Prozesse über Ländergrenzen hinweg zu unterstützen ist so gesehen wichtiger als Selbstpräsentation. Der Staat hält sich zurück, das hat auch historische Gründe. Die deutsche Kulturarbeit im Ausland liegt in den Händen von Mittlerinstitutionen, die eigenständige Teile der Zivilgesellschaft sind: Der DAAD, das Goethe-Institut und andere Akteure bestellen das Feld in staatlichem Auftrag, aber inhaltlich mit großer Unabhängigkeit. Diese Haltung trägt dazu bei, dass Deutschland in der Regel in der internationalen Öffentlichkeit positiv und konstruktiv wahrgenommen wird.

Auch die auswärtige Kulturpolitik Deutschlands verfolgt politische Interessen, die mit liberalen und demokratischen Wertvorstellungen verbunden sind. In Zeiten der Globalisierung ist die deutsche Gesellschaft darauf angewiesen, mit Migrationsbewegungen verantwortlich umzugehen oder die eigene Geschichte in Bezug auf den Kolonialismus neu zu reflektieren. Hier ist die auswärtige Kulturpolitik gefragt wie nie zuvor, denn Kategorien von Innen und Außen durchdringen sich heute in nicht gekannter Weise. Dies hat auch das Auswärtige Amt erkannt, das der auswärtigen Kulturpolitik einen prominenten Platz einräumt - was sich zuletzt im Koalitionsvertrag manifestierte und in der Mittelvergabe zumindest der vergangenen Jahre, die vorsichtig optimistisch gestimmt hat.

Entscheidend ist vor allem, in welcher Form Deutschland seine Positionen in einen globalen Diskurs einbringen will, in dem diese keine Selbstverständlichkeit sind. Wichtig ist die Kooperation: Nur im Austausch können wir Verständnis für unsere Positionen wecken und Eigenes - etwa die Stellung Deutschlands in Europa - auch kritisch beleuchten. Wichtig ist es künftig, die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Kulturmittlern und Kulturinstitutionen auszubauen. Das stärkt die europäische Integration auf der Basis kultureller Vielfalt. Und: In Zeiten der Globalisierung wird der Kulturaustausch mit Ländern, die andere Narrative und Wertvorstellungen vertreten, immer wichtiger; er trägt im Idealfall zu einem friedlichen Zusammenleben bei.

Dabei ist entscheidend, dass Deutschland einer kulturellen "Soft Power", wie sie andere verstehen, nicht seinerseits eine dominante Selbstrepräsentation oder gar Propaganda entgegensetzt. Vielmehr ist eine Kulturarbeit gefragt, die nicht auf unilaterale Botschaften setzt, sondern auf Formen, die liberalen Wertvorstellungen entsprechen: auf Offenheit, Kritik und Selbstkritik, Diskursfähigkeit und freiheitliches Denken. Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist nur eine solche Kulturpolitik glaubwürdig, die das Eigene nicht als überlegen ansieht und in der Begegnung mit dem anderen eine gewisse Demut kennt. Nur eine Politik, in der sich der Staat klug zurückhält und seine Zivilgesellschaft durch ihre Institutionen selbst ermächtigt, verleiht dem liberalen Narrativ im Kulturaustausch Überzeugungskraft.
 

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