13. November 2020
So will Carola Lentz das Goethe-Institut diverser machen

Kolonialismus, Restitution, Diversität: Alles wichtige Themen für die Ethnologin Carola Lentz. Als neue Leiterin des Goethe-Instituts will sie dafür sorgen, dass sich auswärtige Kulturpolitik auch im Inneren spiegelt – und auch im Personal.

Von Cornelia Zetzsche

Begonnen als Ethnologin hat Carola Lentz in Ecuador, aber für den ersten Job an der FU Berlin war dann Afrika gefragt: Als sie 1987 erstmals nach Ghana kommt, ist es "Liebe auf den ersten Blick". Lentz ist fasziniert unter anderem davon, wie selbstbewusst ein Ghanaer auf das aus seiner Sicht "unzivilisierte" Deutschland sieht, etwa was dessen Umgang mit den Alten betrifft. In Westafrika erforscht Lentz Themen wie Dekolonisierung, Erinnerungskultur, familiäre Bindungen.

In Burkina Faso wird Carola Lentz sogar adoptiert von einer Familie der Dagara und erhält einen neuen Namen: "Mein Name ist Tounianno", erzählt sie, "das heißt 'Bitterkeit ist Süße'. Mir wurde das so erklärt, dass man durch Anstrengung, Arbeit und Ungemach hindurch muss, um dann zu genießen und die Früchte zu ernten." Lentz, 66 grauer Igel-Kopf, rote Sneaker, kommunikativ und erfahren in der Führung akademischer Institutionen, muss nun umschalten vom Detail-Wissen der Forscherin auf 157 Goethe-Institute in 98 Ländern.

Fokus Afrika und Postkolonialismus

Ihr Fokus auf Afrika passt zum Schwerpunkt des Goethe-Instituts, das Afrika als Zukunftskontinent sieht, und das zuletzt in einem länderübergreifenden Projekt fragte, ob Museen überhaupt wichtig seien in Afrika – oder nur eine Idee der Europäischen Aufklärung. Auch mit der Restitutions-Debatte ist Carola Lentz vertraut: Klar ist für sie die Rückgabe von Raubkunst oder menschlichen Überresten, andere Fälle seien komplexer: "Nehmen wir den Bamun-Thron, der im Museum in Berlin steht, der ein diplomatisches Geschenk eines kamerunischen Königs an den Kaiser in Berlin war, um eine bestimmte Form der Beziehung dieser Länder herzustellen. Da wird man schlecht von Raubgut reden können. Trotzdem ist es natürlich ein Geschenk in einem kolonialen Kontext gewesen – und von daher kein Geschenk unter Gleichberechtigten."

Da ist das Gespräch gefragt, das Goethe-Institut als mögliche Plattform. Carola Lentz will den multilateralen Austausch verstärken anhand gemeinsamer Themen. Und sie möchte diese internationalen, interdisziplinären Debatten nach Deutschland zurücktragen, Fragen zu "Generationen" etwa auf dem Kunstfest Weimar im nächsten Jahr. Dabei gehe es um Fragen zum Verhältnis der Generationen und was das mit Ökologie zu tun habe: "Wie ist Generationengerechtigkeit zu denken im finanziellen Sinne?"; so Lentz. "Wie denken afrikanische Gesellschaften verschiedener Prägung über das Generationenverhältnis, über die Rechte von Alten und Jungen? Wie sieht das in Asien aus? Was denken verschiedene Gruppen in Deutschland oder in Frankreich darüber?"

Auch die Belegschaft des Instituts soll diverser werden

Solche Begegnungen schaffen und Perspektiven wechseln, das zielt nicht nur auf Kultur-Projekte. Es könnte auch einen Austausch von Museumspersonal geben. Und man müsse genauso im Inneren wirken, sagt die neue Präsidentin des Goethe-Instituts mit seinen rund 3.500 Mitarbeitern: "Zu diesem Dekolonisieren gehört auch, dass das Goethe-Institut selbst in seiner Belegschaft noch diverser werden kann. Dass also ein Stück dieser Vielfältigkeit, dieser Verflochtenheit Deutschlands durch viele Immigranten, durch schwarze Deutsche, durch People of Color, dass das im Institut auch im Personal noch sichtbarer wird, als es das jetzt schon ist."

Corona gefährdet Finanzierung der Kulturprogramme

Ihr Vorgänger im Amt, Klaus-Dieter Lehmann, ein charismatischer Kommunikator, hinterlässt einen gut geölten Betrieb, der heftige Finanzkrisen überstanden hat. Eine aktuelle Sorge allerdings ist, dass der Boom von Sprachkursen in Südasien und Nordafrika wegen Corona nachlässt und damit wichtige Einnahmen entfallen. Etwa ein Drittel des 450-Millionen-Etats muss das Goethe-Institut selbst erwirtschaften. Wenn das nicht gelingt, fehlt Geld für Kulturprogramme.

Das Auswärtige Amt hilft mit einem Corona-Zuschuss. Eine Reform, sprich: eine stärkere Digitalisierung der Sprachprogramme in Deutschland steht an: "Es wird vielleicht immer weniger Menschen geben, die Deutsch lernen, weil sie Goethe im Original lesen wollen. Aber um insgesamt seine Möglichkeiten auf einem globalisierten Arbeitsmarkt zu verbessern, ist es durchaus attraktiv, Deutsch zu lernen."

"Fremdes" im eigenen Land vermitteln

Die Präsidentschaft ist ein Ehrenamt, das Goethe-Institut ist dem Auswärtigen Amt unterstellt. Carola Lentz sieht aber, wie die Grenzen von Innen und Außen verfließen. Auswärtige Kulturpolitik, sagt sie, provokant mit Blick auf die Kulturhoheit der Bundesländer, müsse sich auch im Inneren spiegeln, beim Kunstfest Weimar etwa, im Humboldt Forum Berlin und anderswo.

Das Goethe-Institut sei bestens geeignet "Fremdes" im eigenen Land zu vermitteln, ist Carola Lentz überzeugt. Um Deutschland zu wappnen gegen Tendenzen von Re-Nationalisierung, Befestigung der Grenzen, kultureller Intoleranz und allem, was damit zusammenhänge – und was die Corona-Pandemie verstärke. "Wir brauchen kulturelle Bildung, um dem entgegenzuwirken," so Lentz. "Wir müssen deswegen auch in die Schulen, bei den Multiplikator*innen vor Ort präsent sein und da Angebote machen, an die sich anknüpfen lässt."

Der Beitrag wurde im BR "Kultur" gesendet. 

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