22. Januar 2015
Eröffnungsveranstaltung „Frankfurter Positionen“

Rede von Klaus-Dieter Lehmann auf der Eröffnungsveranstaltung „Frankfurter Positionen“
 
 

Sehr geehrter Herr Generalkonsul,

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

ich heiße Sie sehr herzlich willkommen zum Eröffnungsabend der Frankfurter Positionen. Voller Vorfreude erwarte ich das Auftaktkonzert, bei dem sich das Ensemble Modern und das Reigakusha-Ensemble begegnen werden. Die Komposition "Music with Silent Aitakes" des flämischen Komponisten Frédéric d'haene wird die westliche zeitgenössische Musik des Ensemble Modern und japanisches Gagaku zusammenbringen – nicht mit dem Ziel einer Fusion, sondern dem einer klangvollen Koexistenz beider Richtungen. Kulturelle Unterschiede werden so gezeigt, für den Hörer spürbar – und zugleich überwunden.

Dieser Ansatz passt zu dem Thema, über das zu sprechen ich heute Abend eingeladen bin: Die Bedeutung von Kulturnetzwerken für den internationalen Kulturaustausch. Damit kennt sich das Goethe-Institut aus.

Dieses eindrucksvolle Zusammenwirken zweier weit entfernter und doch zueinander findender Kulturen ist eine Erfahrung von Kulturnetzwerken.

Wir erleben derzeit aber auch in einer zunehmend fragmentierten Welt, die Gefahr von Abschottung und gegenseitiger Entfremdung, auch die Zunahme von Gewalt, von Fundamentalismus, von Perspektivlosigkeit der Jugend. Fassungslos steht man den Ausbrüchen von Gewalt gegenüber. Das kann aber nicht unsere einzige Reaktion sein!

Wir müssen einerseits die Allianzen stärken, die sich für eine friedlichere Welt und für die Werte einer freiheitlichen Wertegemeinschaft einsetzen und wir müssen andrerseits interkulturelle Kompetenz, Wertschätzung der Vielfalt und Expertise der Akteure einsetzen, um dialogfähig zu bleiben und die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften zu ermöglichen.

Dafür bedarf es einer verständlichen, nutzerfreundlichen und zeitgemäßen Bedienungsanleitung, Kompetenz und Urteilskraft. Es muss ein Weg gefunden werden, der ein kritisches, fantasievolles Gespräch mit und in der Welt ermöglicht und der sich glaubwürdig um einen Dialog bemüht. Als Präsident des Goethe-Instituts bin ich überzeugt, dass unser kulturelles Netzwerk eine wesentliche Grundlage dafür ist.

Das Goethe-Institut betreibt ein weltweites Netzwerk mit 160 Instituten in 94 Ländern. Hinzu kommen Verbindungsbüros, Sprachlernzentren, Kulturgesellschaften und Prüfungskooperations-partner, so dass rund 1000 Anlaufstellen weltweit existieren. Sie sind dezentral organisiert, sind nahe am Geschehen und können auch untereinander vernetzte Strukturen ausbilden.

Jedes Goethe-Institut ist wiederum ein Knoten des Netzes, das sich um ein lokales oder regionales Netz aufbaut. Das ist ein entscheidender programmatischer Ansatz. Die Goethe-Institute selbst werden so in aller Welt zu physischen Räumen, die einen Dialog ohne Hierarchisierung ermöglichen. Allein in Subsahara Afrika bietet das Goethe-Institut an 23 Standorten Freiräume zum Denken, Experimentieren und Lernen außerhalb der festgefügten Machtstrukturen und wirtschaftlicher wie sozialer Zwänge.
 
Kennzeichnend ist die jeweilige Partnerschaft sowohl auf lokaler als auch auf regionaler Ebene mit Künstlern, Kulturakteuren und kulturellen Institutionen der Gastländer. Dadurch entsteht einerseits ein dichter  kultureller Austausch, andererseits eine gelebte und erlebte Gemeinsamkeit einer Zivilgesellschaft. Wollte man dieses Beziehungsgeflecht charakterisieren, so wären treffende Begriffe: Innovation und Interaktion.

Damit ist das Goethe-Netzwerk nicht nur eine technische oder organisatorische Infrastruktur, es ist eine eigenständige Qualität, die einen interkulturellen Dialog ermöglicht, kulturelle Vielfalt wertschätzt und die Expertise der Akteure fördert. Es schafft Lerngemeinschaften, Plattformen und Netzwerke von Künstlern und Kulturakteuren sowie Experten des Bildungs- und Medienbereichs.

Der Umstand, dass die Goethe-Institute mit ihrem Profil und ihren Ressourcen als integraler Teil der kulturellen Szene erlebt werden, eröffnet noch einen weiteren Zugang. Es geht uns nicht nur um den Dialog deutscher und ausländischer Kultur. Das Goethe-Institut befördert mit seinen regional angelegten Strukturen auch den Austausch unterschiedlicher Gastländer und Regionen untereinander, also nicht nur Nord-Süd sondern auch Süd-Süd. Wir sind ein glaubwürdiger und gefragter „Ermöglicher“. Damit schaffen wir dauerhafte bindungen.

Ich habe bewusst ein paar Beispiele aus Entwicklungs- und Schwellenländern mitgebracht, weil hier die Umbrüche am dramatischsten, aber über Bildung und Kultur in ein offenes Gespräch zu kommen, nicht ohne Chancen sind.

In Subsahara-Afrika etwa ist in den letzten sechs Jahren das eindrucksvolle, panafrikanische Netzwerk "Moving Africa" entstanden, bei dem sich zeitgenössische afrikanische Positionen – häufig zum ersten Mal – begegnen. Das Goethe-Institut entwickelte dafür Plattformen für Künstler und Kulturakteure, identifizierte zunächst Künstler in einem Land, dann länderübergreifend, organisierte Workshops und Festivals. Es war das erste Mal, dass ein kultureller Austausch regional stattfand und das Potential von Talenten im gegenseitigen Austausch sichtbar wurde. Heute hat dieses Dialogergebnis den Anschluss an internationale Projekte gefunden, Künstler und Kulturakteure werden in andere Länder eingeladen. So kuratieren beispielsweise afrikanische Kuratoren europäische Sammlungen in Düsseldorf oder Dresden. Bildende Künstler haben Ausstellungen in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern.

Afrika ist aber auch ein Kontinent mit einer erstaunlichen digitalen Entwicklung, die es zu nutzen gilt. So haben wir gemeinsam mit der Siemensstiftung und afrikanischen Partnern eine Musikinformationsplattform „Music in Africa“ aufgebaut, mit der die aktuellen zeitgenössischen Musikströmungen dokumentiert werden, Vertriebsmöglichkeiten etabliert werden und auch der Nutzen zum Unterrichten und zur Ausbildung entwickelt wird. Das Netzwerk ist ein Riesenerfolg, bis 2017 sollen alle Länder Afrikas beteiligt sein. Das macht Mut. Es schafft auch Voraussetzungen für diejenigen, die mit ihren Talenten im eigenen Land Arbeitsmöglichkeiten finden.

Ein ähnlich grenzüberschreitendes Projekt befördert in Mittelamerika den Dialog der acht benachbarten Ländern– wenn auch regional kleiner -. Die zentralamerikanische Integration und die zivilgesellschaftliche Beteiligung an diesem Prozess ist weniger ein Traum der Vergangenheit. Sie ist eine Notwendigkeit für die zukünftige Entwicklung  der Region. Das Goethe-Institut leistet seit einiger Zeit in diesem Rahmen kulturelle Beiträge, wie zum Beispiel mit dem Literaturprojekt "Mittelamerika erzählt". Es fördert die Vernetzung der Literaturszenen in der Region, nicht nur im Sinn intellektueller Präsenz sondern handfester Entwicklung von Verlagsstrukturen Als spiritus rector und Exzellenzpartner wurde mit Sergio Ramírez der einflussreichste Schriftsteller und Intellektuelle Zentralamerikas gewonnen. Auf der Frankfurter Buchmesse konnten wir auf exzellent besetzten Podien das Literaturnetzwerk Mittelamerika vorstellen.  die  Es sind nicht nur diese unmittelbar erlebbaren Projekte, wie neben Centroamerica cuenta die Gründung des Zentralamerikanischen Jugendorchesters OJCA oder des zentralamerikanisch-karibischen Tanzensembles CODACA, es sind die starken Impulse zur Integration in Zentralamerika, die hiermit belebt werden und die eine große kulturelle Präsenz erzeugen. Die Intellektuellen fühlen sich wieder aufgerufen, Zivilgesellschaft mitzugestalten. Ich habe die Partner bei meinem Besuch kennengelernt und war beeindruckt von der Qualität, von der Leidenschaft und der gegenseitigen Wertschätzung.

Ein besonders ehrgeiziges Kulturnetzwerk war die Ausstellung „Die Tropen“, mit entsprechenden Begleitveranstaltungen von Musik, Tanz und Film. Die gesamt Zone der Sonnenwende, der mehr als 5000 Kilometer breite Tropengürtel zwischen Wendekreis von Steinbock und Krebs wurde zur Projektionsfläche. Geografische Realität und kulturelle Vielfalt, Megastädte und Umweltzerstörung, Paradies und Hölle. Die Goethe-Institute haben versucht Natur, Lebensformen und Kultur aufeinander zu beziehen und einen zeitlichen Bogen zu schlagen von der vorkolonialen Zeit bis zur zeitgenössischen Kunst. Es wurde eine enorme Wirkung untereinander, aber auch an den diversen Aufführungsorten erzielt. Nicht die tagesaktuellen Armutsdebatten sondern die künstlerische Ausdruckskraft bestimmten die Wahrnehmung.

Bewegen wir uns auf der Landkarte südlich nach Brasilien. Dort schafft das Goethe-Institut in Sao Paolo derzeit erstmals eine "Süd-Süd-Verbindung" für Kulturakteure – von Südamerika bis zum südlichen Afrika. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wird das Projekt "Episoden des Südens" bei seinem Besuch im Goethe-Institut Sao Paulo im Februar eröffnen und damit den Weg bereiten für Plattformen – physische ebenso wie digitale Räume – zum Austausch zwischen Künstlern, Intellektuellen, Wissenschaftlern und politischen Gruppierungen.

Zum Schluss noch ein Beispiel, bei dem auch einer der heutigen Akteure beteiligt ist, das Ensemble Modern. Es spielt in Indonesien.

Junge talentierte Musiker werden in workshops mit dem Ensemble Modern und zwei deutschen Komponisten arbeiten, dem folgt die Vergabe von Kompositionsaufträgen an einige der Musiker, dann gibt es eine Arbeitsphase der Musiker mit dem Ensemble Modern in Frankfurt und schließlich die Präsentation der Uraufführungen in Frankfurt und Jakarta. Unterstützt wird es von der KfW-Stiftung.

Dieses Projekt ist Teil einer Initiative des Goethe-Instituts im Kontext der Buchmesse 2015 unter dem Namen „IndonesiaLAB“, das mit Frankfurter Kultureinrichtungen, koordiniert vom Mousonturm, ein Festival der performativen Künste Indonesiens plant. Hierbei unterstützt auch die Kulturstiftung des Bundes, um die Ergebnisse sowohl in Frankfurt als auch in Jakarta zu zeigen.

Für mich sind dies wunderbare Beispiele für die Möglichkeiten, die das Netzwerk des Goethe-Instituts bietet, sich im globalen Austausch mit den drängenden Fragen unserer Zeit zu beschäftigen. Wir benötigen also  mehr denn je zuvor reale Orte als Frei- und Dialogräume, als Orte der Begegnung. Mehr denn je benötigen wir personale Netze, persönliche Beziehungen, gemeinsame Erfahrungen.
 
Nun aber wünsche ich Ihnen allen ein eindrucksvolles Konzert, das ganz im Geiste des beschriebenen Kulturaustausches steht – und das im doppelten Sinne: Denn heute begegnen sich die japanischen und deutschen Musiker in Frankfurt. Im Herbst diesen Jahres wird es dann ein Rückspiel in Tokyo geben.

Es gilt das gesprochene Wort.
 
 

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