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Gender und Videospiele
Frauen wollen das nächste Level erreichen

© Priscilla Tramontano

Stereotype, Machismus, Zerrbilder und geschlechtsspezifische Gewalt in der Welt der Spieleentwickler verhindern, dass Frauen in einem der aufstrebendsten Sektoren des Landes und der Welt gleichwertig vertreten sind.

Von Irina Sternik

Mittlerweile dominiert die sogenannte Kreativwirtschaft den weltweiten Unterhaltungsmarkt. Dabei gelten Videospiele als einer der Teilbereiche mit dem größten Wachstumspotenzial. Doch gleichzeitig weisen sie in Bezug auf die Genderrepräsentanz eine der größten Ungleichheiten auf. Auch wenn es unter den Spielern genauso viele Frauen wie Männer gibt, sind die MINT-Bereiche (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) weiterhin ein feindseliger Ort für Frauen, sowohl was Lehrkörper angeht, als auch Unternehmen.

Im Durchschnitt liegt der Frauenanteil in der Videospielindustrie bei lediglich 22 Prozent. Er ist von Land zu Land unterschiedlich und hat stets mit der unbewussten Vorstellung zu tun, Videospiele seien keine Beschäftigung für Mädchen. Weder in der Schule noch zu Hause noch in der Gesellschaft. Seit einigen Jahren versuchen verschiedene Initiativen, diesen Zustand zu verändern. Projekte wie Girl Games des Goethe-Instituts und viele andere wie Women Make Games, die erste Messe für Videospiele in Spanien, oder Girls Make Games.

Um in dieser Geschichte voller Stereotype ganz von vorne zu beginnen, haben wir mit den Protagonistinnen gesprochen. Laut einer Studie der Argentinischen Stiftung für Videospiele FUNDAV gibt es kaum Frauen, die seit mehr als zehn Jahren in der Videospielindustrie präsent sind. Diejenigen, die über mindestens sechs Jahre Erfahrung verfügen, stellen einen Anteil von 30 Prozent. In Spanien sind Frauen nur zu 17 Prozent in diesem Industriezweig vertreten. Ähnlich ist der Anteil in Schweden (19 Prozent) und Frankreich (14 Prozent), und sinkt in Argentinien auf bloße zehn Prozent: Auf zehn Männer kommt also nur eine Frau, wobei junge Beschäftigte im Alter zwischen 16 und 33 Jahren und meist mit Beschäftigungsort Buenos Aires am stärksten vertreten sind.

„Gefährlich und Männern vorbehalten“

„Frauen werden am ehesten in den Bereichen des Erzieherischen und Künstlerischen angestellt. Dazu kommt, dass Videospiele Kulturgüter mit einem massiv männlich dominierten Publikum waren und sind. Es besteht Unkenntnis über das Potenzial dieser Industrie, ihre Orientierung, die tatsächlichen und möglichen Arbeitsbereiche. In der Darstellung des Berufswegs kommt das Weibliche kaum vor“, sagt Eda Artola, die Koordinatorin des Beratungsprogramms der Ingenieurwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Buenos Aires. Sie erinnert außerdem an Elisa Bachofén, die erste argentinische Ingenieurin, die 1918 angenommen wurde: „Sie hatte den Eindruck, dass ihr der Zugang zu den Baustellen verwehrt wurde, weil er als gefährlich galt und ihren männlichen Kollegen vorbehalten war.“

Kulturelle Stigmatisierungen

Die Wissenschaftlerin Graciela Esnaola hat sich auf Bildung und Videospiele spezialisiert. Auch sie weist darauf hin, dass der geringe Frauenanteil auf eine Sektorisierung weiblicher und männlicher Beschäftigungen zurückzuführen ist. „Die Stiftung (FUNDAV) hat sogar Referenten an einen Tisch geholt, um Maßnahmen zur ihrer Förderung und Inklusion zu entwickeln, es werden Stipendien zur Teilnahme an der E3 in Los Angeles angeboten. Außerdem ist der Sektor an anderen Kulturindustrien beteiligt, wo Frauen im vergangenen Jahrhundert noch nicht vorkamen und inzwischen schon. Wir nehmen eine Neudefinition von Genderfragen und kulturellen Stigmatisierungen vor, die auf eine Welt zurückverweisen, in der die Rollen stark voneinander getrennt waren.“ In den Bereichen Design und Drehbuch sind mehr Frauen vertreten, ein Erbe künstlerischer und literarischer weiblicher Tätigkeit.

Programmiererin? Niemals!

Bei den Entwicklerfirmen finden sich Beispiele im Überfluss. Die Anekdoten von Florencia Rumpel Rodríguez verursachen Gänsehaut, angefangen bei Stereotypen bis hin zu Belästigung und Zerrbildern jeglicher Art und Schattierung. Florencia ist autodidaktische Programmiererin. Sie hat Journalismus studiert, doch die ökonomische Gleichung hat sie in die Welt der Systeme geführt. „Bei meiner zweiten Game Jam sagte einer der Organisatoren: ‚Zwei Frauen, die programmieren! Kochen die auch?’, und das vor Publikum“, erzählt sie und fährt fort, „die Leute hatten ein Bild von meiner Rolle im Arbeitsteam, das auf Genderstereotypen beruhte, anstatt nachzufragen. Zum Beispiel wurde ich immer als Illustratorin, Sound- und Spieledesignerin angesprochen, aber nie als Programmiererin“ – die sie eigentlich ist.

„Bei den Videospielevents gibt es Belästigungen und Machismus. Einmal fotografierten ein paar Entwickler bei einem Programmierevent die Pferdeschwänze von mehreren Frauen und veröffentlichten die Fotos in sozialen Netzwerken mit dem Hashtag des Events.“ Das ist nur ein weiteres Vorkommnis, das sich zur irrtümlichen Wahrnehmung des Frauenanteils und dem Mangel an bezahlten Stellenangeboten für Frauen sowie der Unkenntnis der Männer über den – geringen – Frauenanteil in der Industrie gesellt.

Nur wenige Frauen in Führungspositionen

Martina Santoro ist Vorsitzende des Argentinischen Vereins der Entwicklerinnen von Videospielen (ADVA) und führt seit acht Jahren zusammen mit ihren Partnern ihr eigenes Unternehmen für Videospiele Okam. Sie weiß von Zerrbildern und Gleichheit: „Frauen befinden sich selten in Führungspositionen, weder als Unternehmensvorstände noch als Leiterinnen der Entwicklungsabteilungen. Dabei gibt es sensationelle Ausnahmen wie Amy Hennig, die Entwicklerin der Saga Uncharted.“ Es sei schon bewiesen, dass der Markt nicht der sei, für den er gehalten werde, bekräftigt sie, das Publikum von Videospielen sei weder weiblich noch männlich noch heterosexuell, sondern divers, sowohl, was die Geschlechter angehe, als auch Herkunft: „Es gab noch nie eine so große Vielfalt von Spielen, und das ist ausnehmend interessant.“

Santoro weist darauf hin, dass es keine bedeutenden Vorbilder in der Lokalindustrie gebe und dass, da es sich um eine so harte Arbeit handle, viele Opfer gebracht werden müssten, was ohne die richtigen Rahmenbedingungen den Weg erschwere. Doch sind sich alle Befragten einig, dass dieser darin bestehe, die Generation junger Berufener zu fördern, den Sprung von den Konsumentinnen hin zu den Entwicklerinnen oder Produzentinnen zu bewältigen und Informationen zu verbreiten. Das heißt Möglichkeiten sichtbar machen und der Gleichheit eine Chance geben.

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