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Hinter den Kulissen des Kunsthandwerks: Die Sonnen- und Schattenseiten

Jhennaidah.
© Mahenaz Chowdhury

Während der Covid-Pandemie standen Lieferketten vor Hindernissen. Es wurden Konjunkturpakete geschnürt. Für Kunsthandwerkerinnen wurde jedoch wenig getan. Aktivistinnen und Förderinnen des Kunsthandwerks versuchen Denkweisen zu ändern

Von Mahenaz Chowdhury

Jedoch ein Gedanke machte mich stutzig: wie hat diese Nation die Pandemie überlebt und es geschafft, sie durchzustehen. Da die landesweite Mobilität gestört war, standen die Lieferketten vor großen Hindernissen, die zur Verkleinerung von Unternehmen und sogar zur Stilllegung führten. Alles hatte seinen Preis und Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen. Vor allem waren die Heimindustrie und kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) betroffen, die Heimarbeiterinnen in Kunsthandwerksbetrieben beschäftigen. Da viele arbeitslos geworden sind, war der Bedarf an handgefertigten Produkten gering, und die Nachfrage bestand eher nach praktischen Artikeln.

Zwar gibt es eine Million KMU in Bangladesch, die 23 % zum BIP des Landes beitragen, aber nur 10 % davon sind im Besitz von Frauen und werden von Frauen geleitet. Wenn man dies in einen größeren Zusammenhang setzt, sind es gerade diese KMU, die es dem Land ermöglichen, 80 % der Arbeitsplätze in verschiedenen nicht agrarischen Betrieben zu schaffen. Wir sahen, dass die Regierung Konjunkturpakete einführte. Aber sehr wenig wurde effektiv und gezielt für die Frauen getan, um sie bei der wirtschaftlichen Versorgung ihrer Unternehmen und Familien zu unterstützen. Ihre Bedürfnisse waren für die politischen Entscheidungsträger*innen und privaten oder öffentlichen Marktteilnehmer*innen nicht wesentlich genug, um davon Kenntnis zu nehmen. Es ist offensichtlich, dass Marktteilnehmer *innen großen Objekten nachlaufen, weil sie einfacher zu handhaben sind.

  • Indigenous craftswoman creating handloom textiles ©Samira Syed
    Indigenous craftswoman creating handloom textiles
  • Lily showcasing her artisan made nakshi kantha bedsheet.   			© Mahenaz Chowdhury
    Lily showcasing her artisan made nakshi kantha bedsheet.
  • Liberation war ‘1971 nakshi kantha work © Samira Syed
    Liberation war ‘1971 nakshi kantha work

Das Anliegen meiner Reise war teilweise herauszufinden, welche Erfahrungen die Unternehmerinnen und in Betrieben arbeitenden Kunsthandwerkerinnen, deren Eigentümerin oder Leiterin eine Frau ist, gemacht haben, und das im Gebiet von Jessore und gerade während des Lockdowns. Nurun Nahar Lily, eine Unternehmerin und Sozialaktivistin in ihrer Region, erklärt in meinem Interview mit ihr: "Ich lebe zusammen mit meinen beiden Brüdern und ihren Frauen. Nach dem Tod meines Vaters, war ich diejenige, die für die Familie zu sorgen hatte. Das Leben war seitdem recht hektisch, und ich habe sogar eine Vorliebe dafür entwickelt, aber die Pandemie war nicht einfach für uns. Mein Betrieb produziert und verkauft nakshi kantha Bettbezüge und Artikel für die Wohnungseinrichtung. Als Unternehmerin habe ich eine Verantwortung den Kunsthandwerkerinnen gegenüber, die seit Jahren mit mir diese schönen Kunstwerke schaffen. Da der Geschäftsbetrieb wegen des Lockdowns eingestellt wurde, wurde auch nichts verdient. Ich bezahlte sie monatlich von meinen eigenen Ersparnissen, und ich hatte auch noch meine Familie zu versorgen.“

Die Philosophie, für Frauen eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, sollte Faktoren integrieren, die ein sie förderndes Ökosystem sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause schaffen. Nur 36,6% der Frauen sind am Erwerb beteiligt, während die Erwerbsbeteiligung der Männer erstaunliche 81,7% beträgt. Diese Ungleichheit ist einer der Hauptgründe der wirtschaftlichen und sozialen Nachteile für Frauen, die eine eigenständige Identität entwickeln wollen. Während der Lockdown war ein Anstieg an häuslicher Gewalt festzustellen. Frauen waren mehr gefährdet, da ihre Männer entweder entlassen waren oder gezwungen waren, zu Hause zu bleiben. Wir erlebten ein verschärftes Patriarchat.

Lily fasst ihre Erfahrungen zusammen: "Ich setze mich für die Rechte der Frauen ein und leite eine Gender-Beratungsstelle in meinem Netzwerk. Schreckliche Vorfälle trugen sich in diesen Zeiten zu. Durch Beratung hat so viel davon gelöst werden können. Kunsthandwerk entsteht im Zuhause der Familie bei der Mehrheit der Kunsthandwerker*innen, die ich zusammen mit anderen Arbeitgebern in dieser Region beschäftige. Diese Frauen brauchen eine sichere Umgebung, damit sie ihre Kunst ausüben und ihre Familie unterstützen können."

Als sie das sagte, erinnerte ich mich, an einen Artikel über Ruby Ghuznavi, eine der unglaublich dynamischsten Frauen, Aktivistin, Umweltschützerin und Expertin des Kunsthandwerks, die jahrzehntelang einen enormen Beitrag zur Erhaltung und zum Wachstum des kunsthandwerklichen Erbes in Bangladesch geleistet und sich gleichzeitig für die Stärkung und Unterstützung von Frauen und Kindern einsetzt. Sie sagte ganz einfach: "Wir müssen zusammenarbeiten, um diese Denkweise zu ändern, auch wenn wir noch ein paar Jahrhunderte dafür brauchen. Eltern müssen aufgeschlossener sein und ihre Kinder gleich behandeln. Sie müssen ihre Kinder auf eine Weise erziehen, die sie selbstbewusst und unabhängig macht. Sie müssen ihre Söhne für diese Themen sensibilisieren, damit sie sich nicht für höherwertig dem anderen Geschlecht gegenüber halten." The Daily Star, 2011

Wenn man* anfängt, alle diese Punkte wie ein Puzzle zusammenzusetzen, kann man die lange historische Verknüpfung von Kunsthandwerk, Frauen und Gewalt wirklich verstehen. Die Veranschaulichung von Erinnerungen war schon immer eine sehr aussagekräftige und ganz persönliche Art der Bewältigung eines Traumas und das besonders, wenn es sich um nakshi kantha handelt. Der Befreiungskrieg zwischen Bangladesch und Pakistan 1971 hinterließ viele traumatisierte Frauen, die völlig verstummten. Maleka Khan, Schriftstellerin und Sozialarbeiterin, setzte die Kunststickerei nakshi kantha als Beschäftigungstherapie für diese Opfer ein. Sie erinnert sich an ihre Erfahrung als Rehabilitationshelferin in einem Interview mit The Daily Star: “Das von den pakistanischen Soldaten zugefügte Trauma an den Frauen in Bengalen 1971 quälte sie immer noch und machte sie gefühl- und teilnahmslos. Es war, als wären ihre Münder erstarrt und ihre Ohren taub; dennoch schrien ihre Augen mit stillen Tränen. Als eine Frau sanft dazu gebracht wurde, sich auszusprechen, bat sie um eine Nadel und einen Faden, den ich ihr aus eingerissenen Borten alter Saris sofort gab. Ich stand staunend dabei und sah zu, wie sie all ihre Kraft und Konzentration aufbrachte—Stich für Stich und Schicht für Schicht—und eine kleine kantha Decke mit einer schlichten Umrandung und einem einfachen Design schuf. Auf diese Weise konnten wir schließlich einige der Opfer heilen: indem wir sie mit einer alltäglichen Fähigkeit beschäftigen, die es ihrem Unter-bewusstsein erlaubte, dem Trauma zu begegnen und, zum Glück, zu überwinden." - The Daily Star, 2019

Als ich Lily gegenübersaß, wurde mir bewusst, wie komplex die Realitäten sind, dennoch hatte sie nicht ein einziges Mal aufgegeben. Ähnlich wie Maleka Khan und Ruby Ghuznavi ist Lily eine lebende Heldin unserer Zeit. Ihre Wertevorstellungen und Prinzipien, nach denen sie leben, kann man gar nicht vergleichen mit denen der Politiker*innen, die auf der Bühne stehend von ihren privilegierten Positionen herab sprechen, und Jahr für Jahr Gewinne für sich erwirtschaften. "Wenn man nicht mit eigenen Augen sieht, wieviel Arbeit, die in der Herstellung von kanthas, jamdanis oder sogar im Bedrucken von Stoffen steckt, kann man nicht verstehen, warum diese Produkte so viel kosten." Ruby Ghuznavi, The Daily Star, 2011. Die Kunsthandwerksindustrie ist das Herz unserer Nation ebenso wie die Konfektionsbranche, aber wir würdigen nicht den Beitrag dieser Frauen, den sie täglich für unsere Volkswirtschaft leisten. Es gibt Faktoren, die jenseits von Wirtschaftlichkeit, umfangreicher Infrastruktur und Industrialisierung liegen. Diese müssen zur Förderung unseres Kunsthandwerks berücksichtigt werden, denn sie helfen unseren Kunsthandwerkern und Kunsthandwerkerinnen sich weiterzuentwickeln und andere zu inspirieren, sich für diese großartige Kunstwelt zu begeiste

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