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Ronya Othmann
Die Sommer

Ronya Othmann
© Cihan Cakmak

Du darfst diese Geschichte nicht vergessen, sagte der Vater, das ist deine Geschichte Leyla.
Ronya Othmann (geb. 1993) hat einen lavendelfarbenen Roman darüber geschrieben, wie es ist in der Nähe von München aufzuwachsen, mit halbem Herzen in Syrien, in den Sommern der Kindheit und einem Land, das in Auflösung begriffen ist.

Von Ditte Hermansen


Othmann ist wie ihre Hauptperson Tochter eines kurdischen Vaters und einer deutschen Mutter. Sie studierte Literatur in Biel und Leipzig. Für Die Sommer aus dem letzten Jahr und früher erschienene Gedichte wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Jeden Sommer flogen sie in das Land, in dem der Vater aufgewachsen war. So lernen wir Leyla kennen, die uns bald über das Land mit den zwei Namen aufklärt: dem Familiennamen Kurdistan und dem offiziellen Namen Syrien. Jeden Sommer kocht Oma Hühnersuppe, während Opa mit gerösteten Sonnenblumenkernen auf dem Hof hockt. Leyla spielt mit den Cousinen und hält Ausschau über die karge Landschaft zwischen den Hügeln. Zuhause in Süddeutschland wundert sie sich darüber, dass sie Kurdistan auf keinem Globus finden kann.

Im ersten Teil des Romans erzählt Leylas Vater ihr die Geschichte, die auch ihre eigene ist. Sie handelt von der Reise nach Almanya, von all den Möglichkeiten, die sie hat, und die sie wahrnehmen sollte. 2011 kommt Leyla aufs Gymnasium, während in Daraa die Menschen auf die Straße gehen. Vor dem Fernseher träumt der Vater von einem freien Syrien, während sich die Unruhen ausbreiten und die Familie beschließt, diesen Sommer in Almanya zu bleiben. 


tanzen oder sterben


Ronya Othmann: Die Sommer © Ditte Hermansen Leylas Geschichte hat Ecken und Kanten, handelt von vielen Konflikten und unausgesprochenem Schmerz. Die Stimmung in Syrien ist zunächst von der Hoffnung auf Freiheit geprägt ist, doch bald dominieren Flucht und Schrecken das Geschehen. Wann hörte man auf von einer Revolution zu sprechen, wann begann man, von Krieg zu reden? Währendessen fährt Leyla an den See fährt, geht zu Vorlesungen und feiert Sommerfeste mit den Freundinnen. Sie verliebt sich und ihr Herz wird gebrochen. Sie weint, abwechselnd über ihren eigenen Schmerz und das Leid im Land ihrer Kindheit, dass sie in YouTube-Videos verfolgt.

Othmann beschreibt die Szenen in langsamem Tempo, lässt aber stellenweise die Symbolik mit Großbuchstaben sprechen. Beispielsweise als Leyla klar wird, dass die die ganze Nacht hindurch getanzt hat, während ihr Cousin im Krieg erschossen wurde. Othmann brilliert in den Beschreibungen der kleinen und großen Katastrophen; von der Szene im Café, als Leylas Freundinnen einfach nichts mehr von Aleppo wissen wollen, bis hin zum Scheitern ihrer Mutter an der deutschen Bürokratie und der abgewiesenen Familienzusammenführung. Droh ihnen mit Presse, sagte Leyla. Schreib ihnen, unsere Familie ist in Gefahr. Sag, dass wir an die Öffentlichkeit gehen. An welche Öffentlichkeit sollen wir denn gehen, sagte die Mutter. 
  
Othmann schreibt mit viel Sehnsucht und einer wohlbekannten passiven Wut, die unter dem Schleier der Machtlosigkeit vor sich hin schwelt. Vom summenden Dorfleben in den Sommern bei der Oma im Syrien Anfang der 00er Jahre - Das Bellen der Hunde im Dorf, das Klopfen der Öl-Pumpen wie ihr eigener Herzschlag - hin zu einer kaputten Wirklichkeit und einer Oma auf der Flucht in Deutschland, die einfach nicht verstehen kann, warum die Nachbarn nicht auf einen Tee vorbei kommen. Leyla ist verwirrt und erkennbar unentschlossen - all das ist Othmanns Prosa auf jeden Fall nicht, deswegen kann ich Die Sommer nur aufs Wärmste empfehlen. Ein neues Buch von Othmann ist schon im Hanser Verlag erschienen, ein Gedichtband mit dem Titel die verbrechen.

 

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