Philosophie verständlich gemacht
ein interaktives Projekt von Ägyptern für Ägypter

Projekt bi-l-carabī falsafa
Foto: © Hassan Emad

Ist Philosophie alltagstauglich? Können philosophische Ansätze helfen, die Realität zu verstehen und zu bewältigen? Solche und andere grundlegende Fragen brachten im Juli 2017 das Projekt bi-l-carabī falsafa ins Rollen, das philosophische Inhalte leicht verständlich vermitteln will, und zwar – so legt es der Titel bereits nahe – auf Arabisch. Im Mittelpunkt stehen wichtige Themen, Denkmodelle und Herausforderungen, die im modernen Alltag das Individuum ebenso betreffen wie die gesamte Gesellschaft.

Während der letzten fünf Jahre wurde in Ägypten nicht nur das Thema Identität im öffentlichen Diskurs sehr ausführlich reflektiert, sondern auch Daseins- und Lebensformen an sich, die Rolle der Religion in der Gesellschaft und die Bedeutung von Begriffen wie Freiheit, Macht, Moral oder Gerechtigkeit. „Philosophen beschäftigen sich seit Urzeiten mit diesen Fragen und mit möglichen Antworten“, erklärt Yossra Hamouda, die ein Philosophie-Studium an der American University in Kairo (AUC) absolviert und das bi-l-carabī falsafa-Projekt ins Leben gerufen hat.

Yossra Hamouda
Yossra Hamouda | Foto: © Hassan Emad
„Die meisten philosophischen Abhandlungen existieren auf Englisch und sind selbst in der arabischen Fassung für viele Leser schwer verständlich, geschweige denn auf das tägliche Leben übertragbar“, so Yossra Hamouda weiter. „Das möchten wir ändern, indem wir eine Reihe von Seminaren und Vorträgen auf Arabisch anbieten, die zum einen leicht verständlich und zum anderen so angelegt sein sollen, dass das Publikum die Möglichkeit erhält, sich einzubringen und mit den Referenten interaktiv zu kommunizieren.“


Die Veranstaltungen finden jeweils in der direkt am Tahrir-Platz gelegenen Ewart Hall der American University mitten in Kairo statt. Als Referenten treten Studenten und Absolventen der philosophischen Fakultät der AUC auf. Bei einem ersten Seminar im Sommer ging es um Philosophie im Alltag, beim darauffolgenden Seminar im Herbst standen die wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts und ihre Thesen im Mittelpunkt.

Interaktive Veranstaltungen mit breitem Publikum

Philosophie gilt gemeinhin als elitär, schwer verdaulich und abgehoben. Deswegen ist das Fach bei ägyptischen Hochschulstudenten nicht besonders beliebt. Bei Veranstaltungen des bi-l-carabī falsafa-Projekts kann es hingegen vorkommen, dass 200 oder mehr Zuhörer anwesend sind – selbst für außerakademische Vorträge ein außergewöhnlich starker Andrang. „Das Spektrum des zumeist jungen Publikums reicht von links Orientierten über Liberale bis hin zu Anhängern des politischen Islam.

Man muss also den richtige Modus finden, damit ein derart breit gefächertes Publikum erreicht, intellektuelle Inhalte ideal vermittelt und ein optimaler Bezug zum gesellschaftlichen Alltag hergestellt werden kann“, erklärt Yossra Hamouda. Das Konzept der Seminare hebe sich dabei deutlich von dem einer klassischen Vorlesung ab: Das Publikum wird nicht nur bei der Themenauswahl miteinbezogen, sondern es kann sowohl untereinander als auch mit dem Referenten kommunizieren und interagieren.

Nietzsche und das Bildungswesen

In einem Vortrag mit dem Titel „Friedrich Nietzsches Sicht auf das Bildungswesen“ sollte geklärt werden, was Bildung ist und welchen Nutzen das Bildungssystem in seiner jetzigen Form bringt. Die Referentin, Wafaa Wali, bezog sich mit ihren Ausführungen auf  eine Reihe von Vorträgen, die von Friedrich Nietzsche 1872 an der Universität Basel gehalten und wegen der darin enthaltenen Kritik am Bildungswesen von der Universitätsleitung nach kurzer Zeit wieder abgesetzt worden waren. „Nietzsche hat in diesen Vorträgen zahlreiche Thesen zum Thema Bildung vorgebracht“, erklärt Wafaa Wali. „Er sprach sich gegen eine Erweiterung und Verbreitung der Bildung aus, weil dies eine Wissensvermittlung auf niederem Niveau erfordere, wodurch Wissenschaft letztlich wertlos werde. Nietzsche zufolge sei das Bildungswesen mittlerweile nutzlos, weil es nur noch darauf abziele, die Lernenden schnellstmöglich einer Berufstätigkeit zuzuführen. Nietzsches Ansicht über das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden lässt sich mit den drei Worten ,Gehorsam‘, ‚Zucht‘ und ,Unterordnung‘ auf den Punkt bringen.“

Im Anschluss an Wafaa Walis Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion über Nietzsches streitbare Thesen sowie über Nutzen, Zukunftsträchtigkeit und Ausbaupotenzial des Bildungswesens in seiner derzeitigen Form, aber auch über die Rolle von Digitalisierung und modernen Medien für Bildung und Wissensvermittlung. Ferner wurde über das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden sowie über Freiräume für didaktische Partizipation diskutiert. 

Ethik und Moral

Ethik (auch Moralphilosophie genannt) ist eines der Kernthemen, mit denen sich Philosophen von alters her befasst haben und auch heute noch befassen. In einem Vortrag mit dem Titel „Moralphilosophie“ stellte Waseem Sabry deshalb die wichtigsten Ethiktheorien von Philosophen wie John Stuart Mill, Immanuel Kant, Aristoteles und anderen vor, die sich mit Kriterien für gutes und schlechtes Handeln auseinandergesetzt haben. Bei der Betrachtung von Ethiktheorien müsse man dreierlei Konzepte unterscheiden, so Waseem Sabry, nämlich die Moral als Phänomen an sich, das moralische Wissen und das Wesen der Ethik.

Waseem Sabry
Waseem Sabry | Foto: © Hassan Emad
Betrachten wir Moral als Phänomen, so gehen wir davon aus, dass das menschliche Handeln zwangsläufig moralisch ist, weil wir als menschliche Wesen von Haus aus bestimmte Handlungen als notwendig erachten und bestimmte Handlungen als schuldhaft empfinden. Moralisches Wissen impliziert hingegen sowohl die Frage, was wir zu tun und was wir zu unterlassen haben, als auch die Frage, wie wir den Unterschied erkennen. Wollen wir jedoch explizit zum Wesen der Ethik vordringen, so fragen wir uns, genau genommen, wie Moral aussieht, ob es ein moralisches Gesetz gibt und was ethische Normen verbindlich macht.

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