Februar 2021
Lucy Fricke: Töchter

Bucheinband: Töchter von Lucy Fricke
© V&Q Books

Um die Fernsehserie Fleabag habe ich zunächst einen Bogen gemacht, als sie erschienen ist. Fremdscham finde ich wirklich unangenehm, und die peinlichen Momente im Trailer reichten aus, um mich abzuschrecken. Zwei Jahre später allerdings wohnte meine Schwester in Irland, und ich und mein Fernsehanschluss boten ihr die einzige Möglichkeit, die zweite Staffel zu gucken. Was passend war, denn genau die komplexe und intime Beziehung zwischen den Schwestern war der Grund, warum ich mich in die Serie verliebt habe. Für mich stand der „Hot Priest“ nie im Mittelpunkt der Staffel. Mein Leben besteht aus genau solchen komischen, tiefen, großartigen Beziehungen mit Frauen – meiner Schwester, Freundinnen, Kolleginnen – aber solche Verbindungen werden selten in Büchern oder im Fernsehen gefeiert. Als ich Fleabag geschaut habe, hatte ich das Gefühl, mich da endlich mal wiederzufinden.

Und genau deswegen war ich darauf gespannt, Töchter von Lucy Fricke zu lesen. Die ersten Seiten des Romans las ich wie im Rausch. Auf jeder zweiten Seite wollte ich meiner besten Freundin eine Sprachnachricht mit Zitaten schicken. Die Freundschaft in Töchter war mir so bekannt, dass es fast wehtat: eine Freundschaft, in der wir Kontinente überqueren, weil wir in der Stimme der anderen hören, dass sie fast zerbricht. Eine Freundschaft, in der wir über die winzigsten Kleinigkeiten lachen können, bis wir weinen.

Töchter beginnt damit, dass Bettys enge Freundin Martha sie um einen unerwarteten Gefallen bittet: Sie soll Martha helfen, ihren Vater zum Klinikum in die Schweiz zu fahren, wo er sterben will. So fängt ein wilder Road Trip durch Europa an.

«'Was soll das eigentlich werden?‘ fragte ich. ‚Thelma und Louise?‘
‚Die waren jung, sexy und unterdrückt‘, sagte Martha. ‚Guck uns an, wir sind nicht mal unterdrückt.‘
‚Tschick?‘ probierte ich weiter.
‚Das waren Jungs. Wir sind Frauen kurz vor den Wechseljahren. Ich hoffe, das willst du nicht vergleichen.‘»
 
Wie Fleabag nimmt auch Töchter sich schwieriger Themen – Krankheit, Trauer, Depression – an, behandelt sie aber mit Wärme und Humor. Es ist allerdings nicht die Art von Humor, die die Dinge einfach und seicht macht, sondern die, die wir uns in unseren dunkelsten Momenten aneignen – ein scharfer, schwarzer Humor, der dich im richtigen (oder falschen) Moment zum hysterischen Lachen oder schiefen Lächeln bringen kann: „Als ich auflegte, schiss mir eine Taube auf den Kopf. Dass das kein Glück versprach, wusste ich inzwischen.“
 
Ich beobachte, wie die Wortanzahl in der untersten Ecke meines Bildschirms langsam steigt, und ich habe noch nicht mal angefangen zu ergründen, wie das Buch die Beziehung von Betty und Martha zu ihren Eltern hinterfragt, oder wie die Geschichte sich dreht, als die Mafia auftaucht. Aber um dem Roman Töchter gerecht zu werden, sollte ich vielleicht mit einer Einordnung hier enden: Fleabag wird manchmal mit der Kritik abgewiesen, dass es einfach reiche Menschen zeigt, die sich schlecht benehmen. Die Figuren in Töchter kommen aus einem ganz anderen Milieu. Betty und Martha haben sich zwar bewusst von ihrer Herkunft losgelöst, aber, wie Betty erkennt: „Der Armut der Eltern konnte niemand entkommen, der Geruch blieb haften.“ Was das schlechte Benehmen angeht: Nun ja, es ist vielleicht nicht Bettys Glanzmoment, als sie sich betrinkt und versucht, den Sarg ihres Stiefvaters auszugraben. Aber vor allem zeigt das Buch, wie wir weitermachen, auch wenn wir einfach nur wollen, dass alles aufhört, und was wir alles für die Menschen, die wir lieben, tun würden.

Über die Autorin

Annie Rutherford ist eine hoffnungslose Leseratte, kann sich nie auf nur eine Sache festlegen und bewegt sich am Liebsten irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn. Sie ist Programmkoordinatorin bei StAnza (Schottlands internationalem Lyrikfestival), übersetzt vor allem literarische Texte aus dem Deutschen ins Englische, leitet den Buchclub der Lighthouse Buchhandlung in Edinburgh, der übersetzte Schriftstellerinnen diskutiert, und vieles mehr. Sie wurde schon erwischt, wie sie fahrradfahrend gelesen hat (was sie nicht empfehlt) und kann ein falsch gesetztes Apostroph aus fünfzig Metern Entfernung erkennen.


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