Januar 2021
Olga Grjasnowa: Gott ist nicht schüchtern

Book Cover: City of Jasmine
Cover © Oneworld Publications


Man kann sagen, dass die Reaktionen auf Exit West, dem neusten Roman des Britisch-Pakistanischen Autors Mohsin Hamid (übersetzt von Monika Köpfer), eher gemischt waren. Ich selbst habe die vielfältige und detaillierte Darstellung von Saeed und Nadia geliebt, einem ambitionierten jungen Paar, deren Stadt durch Krieg und Revolution erschüttert wird und das nach Mykonos, London, San Francisco flieht. Allerdings kritisierten manche Leser*innen das zentrale Konzept des Romans: mysteriöse schwarze Türen, die Reisende an ferne Orte bringen. Im besten Fall sei das Konzept verwirrend, und im schlimmsten Fall verschleiere es die sehr realen Gefahren, denen Geflüchtete auf ihren Reisen begegnen.

So oder so, wer sich für die Themen, mit denen sich Hamid auseinandersetzt, interessiert, sollte unbedingt auch Olga Grjasnowas Gott ist nicht schüchtern zur Hand nehmen. Der Roman folgt den Leben von Amal, Hammoudi und Youssef. Alle drei sind jung und begabt, mit Ambitionen die vom syrischen Bürgerkrieg abrupt unterbrochen werden. Ähnlich wie in Exit West beeindruckt der Roman u.a., in dem er die Normalität des Lebens vor – und manchmal sogar während – des Krieges schildert. Amal z.B. hat, dank ihres Vaters, eine komfortable Wohnung mit Terrasse, geht verkatert in die Uni, und tuschelt mit einer Freundin, die Dessous kaufen will, um dem neusten Freund zu gefallen. In einer meiner Lieblingsszenen, verbringt sie den ganzen Tag damit, ein Festmahl für eine spontane Party vorzubereiten, nachdem Soldaten ihre Terrasse eingefordert haben. Youssef erkennt, dass es wohl lange Zeit danach keine Feste mehr geben wird. Diese Szenen werden montiert mit Amals ersten, vorsichtigen Beteiligungen an pro-demokratischen Protesten, der Angst, die „sich wie ein Parasit in ihrem Brustkorb eingenistet“ hat, den anonymen Anrufen, die sie erhält, hinter denen ganz klar der Geheimdienst steckt.

Die Stadt, aus der Saeed und Nadia fliehen, wird in Exit West nie benannt und könnte irgendeine von vielen Großstädten im Nahen Osten sein. Dagegen ist Gott ist nicht schüchtern klar eingebettet in Zeit und Ort – Damaskus und Deir ez-Zor in der ersten Hälfte des Romans und später Beirut, Istanbul, Italien, Berlin. Die Details der pro-demokratischen Proteste und später des islamistischen Aufstands wirken manchmal so plausibel und real, dass ich oftmals dem Impuls widerstehen musste, nach meinem Handy zu greifen, um Wirklichkeit und Fiktion voneinander trennen zu können.

Wie auch Hamid scheut Grjasnowa nicht davor zurück, die Mitschuld und gefühllose Abgebrühtheit des Westens zu schildern – und in Gott ist nicht schüchtern gibt es dabei eine finstere Art von Humor. Wenn Amal und Youssef trotz unsicherem Schiff und einer Rettungsweste, die keine ist, Italien erreichen, lernen sie sofort: „Nach dem Überleben kommt die Bürokratie“. In Deutschland muss Amal ihren Stolz herunterschlucken, um sich für eine Kochshow zu bewerben:

Das Konzept der Kochshow besteht offenbar darin, Gerichte aus Ländern zu präsentieren, die grob zusammengefasst als unsichere Drittstaaten gelten. Der Name der Sendung soll Mein Flüchtling kocht lauten.

Gott ist nicht schüchtern ist ein bildhafter, sinnlicher Roman, durchdrungen von den Geräuschen, Geschmäcken und Gerüchen, von den Orten, die für Amal, Youssef und Hammoudi Heimat bedeuten. Vor allem aber bittet der Roman die Leser*innen, diese Szenen und Leben zu bezeugen, statt sich abzuwenden.

Über die Autorin

Annie Rutherford ist eine hoffnungslose Leseratte, kann sich nie auf nur eine Sache festlegen und bewegt sich am Liebsten irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn. Sie ist Programmkoordinatorin bei StAnza (Schottlands internationalem Lyrikfestival), übersetzt vor allem literarische Texte aus dem Deutschen ins Englische, leitet den Buchclub der Lighthouse Buchhandlung in Edinburgh, der übersetzte Schriftstellerinnen diskutiert, und vieles mehr. Sie wurde schon erwischt, wie sie fahrradfahrend gelesen hat (was sie nicht empfehlt) und kann ein falsch gesetztes Apostroph aus fünfzig Metern Entfernung erkennen.


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