November 2021
Ijoma Mangold: Das deutsche Krokodil

Bucheinband: Das deutsche Krokodil
© DAS

Mangolds Memoire – das zwischen Deutschland und Nigeria spielt – kommt mit ähnlichem Humor und emotionaler Tiefe daher wie Jackie Kays Autobiographie Red Dust Road.

Ich wusste nicht, was ich von Ijoma Mangolds Buch Das deutsche Krokodil erwarten sollte. Mangold ist einer der bekanntesten Literaturkritiker Deutschlands – mit einem ähnlichen Ansehen wie Charlotte Higgins im Vereinigten Königreich. Als ich in Deutschland studiert habe, waren seine Artikel die ersten, die ich aufgeschlagen habe in meiner wöchentlichen Ausgabe der ZEIT: Ich mochte seine Herangehensweise, seine scheinbare Integrität, die Tatsache, dass er sich selbst nicht allzu ernst nahm. Aber trotzdem fragte ich mich: Eine Autobiographie von jemandem, der auf Englisch kaum bekannt ist – wie soll das in Großbritannien gehen?

Aber dann habe ich angefangen zu lesen. Und ich musste an die Zeit denken, als die Autobiographie der Autorin Jackie Kay Red Dust Road (leider nie ins Deutsche übersetzt) vor Jahren erschien: Es wurde im Radio vorgelesen – und ich weiß noch, wie meine Mutter erzählte, wie sie unterwegs und irgendwo angekommen war und im Auto sitzen bleiben musste, weil sie nicht aufhören konnte zuzuhören. Im Buch erzählt Jackie Kay, wie sie als junge schwarze Frau in Schottland aufgewachsen ist und Schriftstellerin wurde, und beschreibt, wie sie den Kontakt zu ihren leiblichen Eltern – einer schottischen Mutter und einem nigerianischen Vater – suchte. Es ist ein fesselndes Memoire, durchzogen mit Witz und einer unverkennbaren Liebe.

Mangold hat zwar einen ganz anderen Ton, aber der Humor und die emotionale Tiefe der Bücher sind ähnlich. Der junge Ijoma wächst in Heidelberg auf und wird von seiner weißen deutschen Mutter erzogen – eine empathische Psychotherapeutin, die den Jungen immer wieder dazu drängt zu kommunizieren. (Ich geb’s zu: In meinem Kopf erscheint sie als Jean Milburn.) Seinen nigerianischen Vater trifft Mangold erst mit 22 – ein Ereignis, bei dem er mit einer neuen Familie, einer neuen Kultur und der Möglichkeit einer ganz anderen Zukunft konfrontiert wird.

Das deutsche Krokodil verwebt viele Fäden zu einem faszinierenden Teppich. Da ist zum Beispiel die Geschichte der Familie von Mangolds Mutter, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Schlesien fliehen musste. Oder Mangolds Lobgesang auf seine Mutter, deren Zwanglosigkeit ihm als Kind suspekt ist – erst als Jugendlicher begreift er, „dass die Mutter zum Star seiner Schulfreunde geworden ist“. (Das erste Kapitel wird in der dritten Person und Präsenz erzählt, wie eine Kurzgeschichte.) Ein wichtiger Fokus ist Mangolds unsicherer Bezug zu seiner Hautfarbe – seine Verweigerung als junger Mann zuzugeben, dass er mit Rassismus konfrontiert wird, und seine Faszination mit Schlesien und Preußen statt Nigeria. (“War ich überassimiliert, deutscher als jeder Deutsche?”) Schon als Jugendlicher fühlte er sich als Außenseiter, gibt er zu, aber nicht wegen seiner Hautfarbe – sondern vielmehr, weil er sich für Thomas Mann begeisterte.

Das ist der andere rote Faden in Das deutsche Krokodil – und ein Porträt des Künstlers als junge Leseratte kommt ja immer gut an! Bei Mangolds lebhaften Beschreibungen der Wein-lastigen Soireen bei seinem etwas fragwürdigen Mentor Tenno und den Intrigen des Schultheaters war ich wie gebannt. Die Entscheidung des jungen Ijomas und des schillernden Florians, sich vom Schultheater loszusagen – und die besten Schauspielerinnen dabei mitzunehmen – ist besonders glorreich.

Vielleicht wirken manche Passagen bei Mangold ein bisschen überspitzt. Aber er bearbeitet seine Ideen, während er schreibt, und irgendwie ist das erfrischend. „Daran kann ich mich nicht erinnern,“ gibt er irgendwann zu, „aber meinen Leumund als glaubwürdiger Zeuge habe ich, ich weiß schon, verspielt.“
 

Über die Autorin

Annie Rutherford ist eine hoffnungslose Leseratte, kann sich nie auf nur eine Sache festlegen und bewegt sich am Liebsten irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn. Sie ist stellvertretende Festivaldirektorin bei StAnza (Schottlands internationalem Lyrikfestival), übersetzt vor allem literarische Texte aus dem Deutschen ins Englische, leitet den Buchclub der Lighthouse Buchhandlung in Edinburgh, der übersetzte Schriftstellerinnen diskutiert, und vieles mehr. Sie wurde schon erwischt, wie sie fahrradfahrend gelesen hat (was sie nicht empfehlt) und kann ein falsch gesetztes Apostroph aus fünfzig Metern Entfernung erkennen.

Meet the author

Zu unserem 12. internationalen Online Buchclub Treffen am 23. November haben wir Ijoma Mangold eingeladen, sein Buch  Das deutsche Krokodil gemeinsam mit uns zu lesen.


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