Begehren und Denken für die Politik: Hannah Arendts Lektüre für die Gegenwart

Was bedeutet es heute, Hannah Arendt und ihr Denken nicht als Mahnmal zu begreifen, sondern als Herausforderung anzunehmen?

Seit Arendts Tod ist ein halbes Jahrhundert vergangen, und doch widersetzt sich ihr Vermächtnis einer endgültigen Beurteilung. Ihre einzigartige Stellung – weder Philosophin im engsten Sinn noch ausschließlich politische Theoretikerin – ist im Grenzbereich zwischen den Disziplinen verortet, und sie prägte eine Sprache, die den Widersprüchen und Umbrüchen des 20. Jahrhunderts etwas entgegensetzen kann. Ihre Schriften, mehr provokant als tröstend, wurden gleichermaßen gefeiert wie angefochten. Die sinnvollste Art, ihrer zu gedenken, liegt vielleicht nicht in bloßer Würdigung oder Kritik, sondern in der fortwährenden Anstrengung des – offenen und gewissenhaften – Denkens.

Anlässlich des 50. Todestages von Hannah Arendt im Jahr 2025 veranstaltet das Goethe-Institut Indonesien gemeinsam mit verschiedenen Partnern eine Vortrags- und Diskussionsreihe, in deren Rahmen sich Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, und Aktivist*innen kritisch mit Arendts disziplinübergreifenden Vermächtnis auseinandersetzen.

Auftakt des Programms ist der (Online-) Vortrag mit dem Titel Desiring and Thinking for Politics: Re-reading Hannah Arendt for the Present (dt. Begehren und Denken für die Politik: Hannah Arendts Lektüre für die Gegenwart), der uns zu Hannah Arendts grundlegenden Prinzipien und den Anfängen ihrer philosophischen und politischen Anschauung führt. Moderiert von Retno Daru Dewi GSP bietet das Programm zwei weitere einführende Vorträge von anerkannten Wissenschaftler*innen und Philosoph*innen: Dr. Mark Aloysius, SJ, und Dr. LG. Saraswati Putri.

Dr. Mark Aloysius, SJ, setzt sich mit Hannah Arendts bedeutendsten Werken The Human Condition (dt. Vita activa oder Vom täglichen Leben) (1958) und The Life of the Mind (1977) sowie ihrer intellektuellen Exploration des Denkens des Heiligen Augustinus auseinander. Arendt beschäftigte sich intensiv mit Augustinus' Ideen bezüglich des Begehrens und Denkens; Arendts Ausschließen eines tieferen religiösen Verständnisses führt jedoch laut Aloysius in eine philosophische Sackgasse. Eine Möglichkeit, dieser Situation zu begegnen, besteht darin, die Mystagogie – eine spirituelle und initiatorische Dimension – wieder in die Diskussion einzubringen. Für Aloysius liefert Arendts „augustinische Odyssee“ ihr nicht nur Sprache und Bilder für die Kritik des modernen politischen Lebens, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, sich dessen Erneuerung vorzustellen.

In ähnlicher Weise bietet Dr. LG Saraswati Putri eine parallele Lesart von Arendts Diagnose des gegenwärtigen politischen Lebens. Sie präsentiert eine fundierte und regional verortete Perspektive, indem sie die aktuelle Situation Indonesiens seit Beginn der Reformasi 1998 betrachtet und dabei anthropozentrische Denkmodelle hinter sich lässt. Sie argumentiert, dass Arendts Denken und Schreiben uns dazu herausfordern, die Idee einer gemeinsamen Welt, die von Unterdrückung, Desinformation und ökologischer Krise geprägt ist, zu überdenken und uns zu fragen, wie wir als Bürger*innen durch die Ausübung politischer Verantwortung einen Wandel einfordern können.