Chemnitz 2025
Jenseits der Schornsteine
Das renovierte Gebäude der Färberei Theodor Haase | Foto: Roberto Sassi © Goethe-Institut Italien
In seinem zweiten Artikel berichtet unser Autor, was von der industriellen Vergangenheit der sächsischen Stadt und ihres Umlandes geblieben ist – eines der Hauptthemen von Chemnitz 2025.
Von Roberto Sassi
Das sächsische Manchester
Auf den Luftaufnahmen aus dem frühen 20. Jahrhundert sieht das Stadtbild noch deutlich anders aus: Dutzende Schornsteine ragen wie schlanke Glockentürme in der Innenstadt empor und pusten schwarzen Rauch über die Fabriken und die eleganten Wohnhäuser im Gründerzeitstil. Auf vielen dieser Bilder sticht der imposante Klinkerbau der Sächsischen Maschinenfabrik von Richard Hartmann heraus, eines der wichtigsten Hersteller von Lokomotiven und Industriemaschinen im Deutschen Reich. Damals war Chemnitz das „sächsische Manchester“, eine von Industriearchitektur geprägte Stadt, deren Bevölkerung zu großen Teilen im Verarbeitungssektor tätig war. Rund um den Fluss, nordwestlich vom Stadtzentrum, zeugt die Toponymie noch immer von diesem Kapitel der Stadtgeschichte, ebenso wie diverse ehemalige Fabrikanlagen, die in den letzten Jahren wiederbelebt worden sind. Tourist*innen und Einheimische schlendern die Fabrikstraße entlang, heute eine charmante Allee. Einige kommen gerade aus der Hartmannfabrik und blättern dabei in den Broschüren von Chemnitz 2025.Die industrielle Vergangenheit ist einer der Schwerpunkte der Kulturhauptstadt Europas. Es könnte auch gar nicht anders sein, ist doch die Geschichte der Stadt und der gesamten Region gewissermaßen eine Geschichte von Industrialisierung und Deindustrialisierung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Karl-Marx-Stadt eines der größten Industriezentren der DDR, während in Zwickau, einer Wiege der Automobilindustrie, der berühmte Trabant produziert wurde, der spartanische Kleinwagen, der zur Pop-Ikone wurde. Der Zusammenbruch der DDR brachte für Chemnitz – wie auch für andere Ballungsräume im Osten – eine Phase des industriellen Niedergangs mit massiven und schmerzhaften Auswirkungen auf sozialer, städtebaulicher und demographischer Ebene: Die Einwohnerzahl sank von 301.000 im Jahr 1989 auf heute 251.000, viele Industriebauten blieben lange Zeit ungenutzt, und die Beschäftigungskrise veranlasste Tausende junge Menschen, ihr Glück im Westen zu suchen.
Schauplätze des Umbruchs
Mithilfe des Programms von Chemnitz 2025 erkunde ich einige der Orte, die von diesem Umbruch erzählen. Ich beginne mit dem Museum für sächsische Fahrzeuge im Stadtteil Kapellenberg, das sich im Erdgeschoss einer mehrstöckigen Garage aus den Zwanzigerjahren befindet. Der Eingang liegt ein wenig versteckt, getarnt neben einem Möbelgeschäft, aber im Inneren funkeln zweihundert Oldtimer – Autos, Motorräder und Fahrräder von historischen Marken wie Wanderer, Simson oder Audi. „Die Garage wurde für eine Gegend gebaut, in der die wirtschaftliche Elite der Stadt wohnte und in der sich zahlreiche Industrieanlagen befanden. Sie war ausgestattet mit einer Waschanlage, einer Tankstelle, einer Werkstatt und einem Restaurant“, erklärt mir Kathy Eichholz, Verwaltungsleiterin des Museums, während wir die auf Hochglanz polierten Fahrzeuge in Augenschein nehmen.Und dass hier früher einmal produziert wurde, beweist auch das nahegelegene Industriemuseum, das 2003 in einer ehemaligen Gießereihalle an der Zwickauer Straße eingerichtet wurde. Schon von weitem fällt das Gebäude mit seiner stattlichen Backsteinfassade, dem Sägezahndach und den großzügigen vertikalen Oberlichtern ins Auge; im Inneren birgt es das reiche Erbe der sächsischen Industrie. Sogar eine Hartmann-Lokomotive gibt es zu sehen. Bis November präsentiert das Museum eine der Hauptausstellungen von Chemnitz 2025, „Tales of Transformation“, wo man der Frage nachgeht, wie Chemnitz und andere europäische Städte sich den Herausforderungen der Deindustrialisierung gestellt haben.
Aber der Aktionsradius der Kulturhauptstadt Europas erstreckt sich über das gesamte Umland: 38 Gemeinden sind beteiligt, darunter Zwickau. Auch hier hatte die Deindustrialisierung schwerwiegende Folgen, insbesondere in den Neunzigerjahren. Die Investitionen von Volkswagen und der allmähliche Übergang zur Produktion von Elektroautos haben die lokale Industrie merklich belebt – und doch scheint die Zukunft ungewiss. Neben einem Abstecher in die lebendige und gepflegte Altstadt, die im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont blieb, mache ich halt beim August Horch Museum. Gemeinsam mit Annett Lang, der Marketingleiterin des Museums, spüre ich anhand von 160 Automodellen der industriellen Vergangenheit Zwickaus nach. Gegen Ende des Besuchs stehen wir vor einem Trabant 600. Er ist kompakt, leicht und in einer typischen Fertiggarage aus DDR-Zeiten geparkt. „Die Garagen waren für kleine Autos wie den Trabant gedacht. Viele moderne Fahrzeuge passen da nicht hinein“, so Lang. Ein Bild, das im Grunde als Metapher für das komplexe Verhältnis zwischen Erinnerung und Erneuerung dienen kann.
[Fortsetzung folgt …]
Eine Zusammenarbeit mit CHEMNITZ. ZWICKAU. REGION.
Die Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 ist das Herz der Region Chemnitz Zwickau. Ein reiches gemeinsames Kultur- und Industrieerbe verbindet Menschen und Orte. Das Kulturhauptstadtjahr ist eine Einladung zu einer vielfältigen Entdeckungsreise in den Osten Deutschlands: „C the Unseen“.
Kommentare
Kommentieren