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Interview mit Nadine Redlich
Auch Dinge haben Gefühle

Illustrationen von Nadine Redlich
© Nadine Redlich

Äpfel, die weinen, Steine, die sprechen, seltsame, vage anthropomorphe Figuren, die scherzen oder sich ärgern: Nadine Redlich ist seit 2015 im Bereich des deutschen Comics und der internationalen Illustration tätig, und wurde 2022 auch in Italien vom Rulez Verlag veröffentlicht. Wir haben sie interviewt, um über ihren Stil, ihre Werke (insbesondere „Paniktotem“ und „Stones“) und ihren Hintergrund zu sprechen.

Von Emilio Cirri

Ab wann stand für dich fest, dass du Illustratorin und Cartoonistin werden möchtest? Was war dein Weg?

Ich habe schon immer gezeichnet. In meinem Kindergarten hat man als Belohnung immer etwas zum Ausmalen bekommen. Damit die anderen Kinder mich mögen, habe ich selbst Vorlagen zum Ausmalen gezeichnet und an sie verschenkt. Man könnte sagen, das waren meine ersten Illustrationsjobs. In der Schule habe ich hauptsächlich Cartoons gezeichnet und dann während Studiums hatte ich meine ersten Aufträge für Geld und nicht für Zuneigung.

Wann hast du dein erstes Comic gelesen und was hat dich dazu inspiriert, eine Karriere im Bereich Comics und Illustration einzuschlagen?

An das erste Comic kann ich mich nicht erinnern, aber es wird etwas in Richtung Donald Duck oder Asterix und Obelix gewesen sein, als ich noch sehr klein war. Das waren die Comics, die in meinem Elternhaus rumflogen. Ich mochte alles von Walter Moers und die Peanuts. Später habe ich dann Comiczeichner wie Daniel Clowes, Jason und Lewis Trondheim entdeckt.

Du hast deine ersten Comics bei Rotopol Press veröffentlicht. Wie wichtig war der Verlag für deinen Weg zur Veröffentlichung?

Auf einem Comicfestival habe ich damals Rotopol meine Abschlussarbeit gezeigt. Die Arbeit war zu kompliziert für eine Veröffentlichung (Das Internet, eine analoge Version des Internets, gesammelt in einer Schachtel gesammelt, bestehend aus Comics und Illustrationen), aber seitdem waren sie interessiert an neuen Ideen, das hat mir enorm geholfen. Rotopol hat mich immer unterstützt und mir gleichzeitig viele Freiheiten gelassen.

Deine ersten Comics waren „Ambient Comics“ 1 und 2, die dann 2016 in einem einzigen Band zusammengefasst wurden. Eine Sammlung sehr spezieller einseitiger Comics: eine feste Struktur von sechs Vignetten, mit nur Objekten oder Umgebungen als Protagonisten, in denen nur eine kleine, nicht wahrnehmbare Veränderung von Anfang bis Ende beschrieben wird. Eine Erzählung von mikroskopischen Sachen und Änderungen: Kann man sagen, dass deiner erster Zugang zu Comics fast wissenschaftlich war, eine Studie darüber, wie man den Fluss der Zeit erzählt?

In den meisten meiner Comics spielt Zeit bzw. Timing eine große Rolle. Für Buchprojekte ist es mir wichtig, eine konzeptionelle Grundidee zu haben, an der sich z.B. auch die Gestaltung orientiert. Daher sind die Ambient Comics nicht Freihand gezeichnet, sondern eher mit Lineal und Schablonen und es gibt keine Charaktere. Sie sollte so nüchtern und sachlich wie möglich daherkommen.

Diese Art des Erzählens hast du dann auf deine beiden folgenden Sammlungen übertragen: „Paniktotem“ (das du in Italien zusammen mit Rulez vorstellt hast) und die von Kritiken und Publikum gefeierten „Stones“ (von denen du einige Tafeln schon in Paniktotem veröffentlicht hattest). In beiden hast du feste Protagonisten (in „Stones“ sogar nur einen Stein) eingeführt, die manchmal existenzialistische und psychologische Überlegungen vorstellen, manchmal leben sie nur grotesken Situationen. Wie sind diese beiden Comics entstanden? Und warum hast du Objekte und Tiere für diese Überlegungen gewählt und nicht Menschen?

Paniktotem ist eine Sammlung aus Comics und Cartoons, die sich über die Jahre angesammelt haben. Nachdem ich die Idee einer Sammlung zum Thema „Stress“ vom Verlag Rotopol angenommen wurde, habe ich noch mehr zum Thema produziert, um es dann zu einem Buch mit einem gewissen Leserhythmus zusammenfassen zu können. Darunter war auch ein Stein-Strip. Der Stein schien mir als Charaktere zum Erzählen von Geschichten sehr geeignet und so habe ich auch nach der Veröffentlichung noch weiter erarbeitet, so entstand die Idee zum Stones-Buch.
Ich finde, oft kann man Gefühle, Obsessionen, Neurosen etc. noch deutlicher darstellen, wenn sie nicht von anthropomorphen Figuren verkörpert werden. Ein weinender Apfel stellt für mich das Gefühl von Traurigkeit und Isolation deutlicher dar, als ein weinender Mensch. Indem man die Gefühle vom Menschen trennt, werden sie eindeutiger.

Dein Stil ist sehr klar, minimalistisch: einfache Linien, flache Farben. Wie hast du diesen Stil entwickelt?

Ich habe schon immer rundliche Figuren gezeichnet, die mit der Zeit immer einfacher wurden. Für Paniktotem habe ich angefangen, die Zeichnungen einheitlich zu kolorieren, damit die Cartoons und Comics noch durch eine zusätzliche Klammer zusammengehalten werden und das Buch nicht auseinander fällt und das hat sich dann durchgesetzt.

Du bist einer der profiliertesten Autorinnen der deutschen Szene der letzten Jahre, mit vielen Arbeiten, auch in internationalen Zeitschriften. Der Comic hat in Deutschland keine lange Tradition, aber in der letzten Zeit hat seine Produktion deutlich zugenommen und wird auch im Ausland, wie etwas in Frankreich, den USA und auch in Italien, wahrgenommen. Wie denkst du über die Welt der deutschen Comics? Welches sind deiner Meinung nach die stärksten Trends, die erfolgreichsten? Und warum hat die deutsche Comicproduktion in den letzten 10 Jahren zugenommen?

Ich bin froh über die positiven Entwicklungen im deutschen Comic. Verlage wie z.B. auch Rotopol arbeiten unermüdlich daran, junge Talente zu finden und zu fördern. Der Erfolg von Zeichner*innen wie Anna Haifisch, Aisha Franz, Max Baitinger tragen dazu bei, dass eine neue Generation an Zeichnern heranwächst, die dann wiederum eigene Festivals und Veranstaltungen organisieren und damit eine Inspirationsquelle für andere sind.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, Nadine! Wir hoffen, dass wir bald mehr von dir lesen können! Dank an den Verlag Rulez für die Kontaktaufnahme mit der Autorin.


Das Interview wurde zwischen Dezember und Januar 2022-2023 per E-Mail geführt.

 

Nadine Redlich © Nadine Redlich Nadine Redlich lebt und arbeitet als Cartoonistin in Düsseldorf. Dort studierte sie an der Fachhochschule und beendete dieses Studium nach gefühlten 100 Jahren mit ihrer Abschlussarbeit „Das Internet“, einer analogen Version des Internets in Form von Comics und Cartoons. Während des Studiums begann sie als freiberufliche Zeichnerin zu arbeiten, zu ihren Auftraggebern gehören The New York Times, Die ZEIT, Süddeutsche Zeitung, Google u.v.m. Im Jahr 2017 veröffentlichte sie bei Rotopol ihre erste Comicsammlung Ambient Comics mit einem Vorwort des Cartoonisten Nicolas Mahler. Von dem Zeitpunkt an veröffentlichte sie auch bei demselben Verlag I hate you - you just don't know it yet, Paniktotem und 2022 das gefeierten Buch Stones.


 

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