7 Fragen an Michael Heister
Berufliches Lehren und Lernen

Prof. Dr. Michael Heister
Prof. Dr. Michael Heister | © Goethe-Institut Rom - Foto: Paola Libralato

Prof. Heister ist Abteilungsleiter im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Er leitet dort die Abteilung „Berufliches Lehren und Lernen, Programme und Modellversuche“. In dieser Funktion ist er auch in den deutsch-italienischen Beratungen zu dualen Ausbildungssystemen aktiv. Zugleich hat er eine Honorarprofessur am Fachbereich „Sozialversicherung“ der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg inne.

Wie Sie wissen, sind aufgrund der jüngsten Schulgesetzgebung („La Buona Scuola“) in Italien in den letzten drei Jahren der Sekundarstufe II für die berufsbildenden Schulen 400 Stunden, für die allgemeinbildenden Schulen 200 Stunden die sogenannte „Alternanz: Schule – Berufswelt“ verpflichtend. Was ist hier der Unterschied zum Dualen System der Ausbildung in Deutschland.

Zunächst einmal finde ich es großartig, dass Italien die sogenannte „Alternanz: Schule – Berufswelt“ verpflichtend gemacht hat. Diesen Weg mehr berufliche Praxis in die Schulzeit zu integrieren halte ich für ganz wichtig um die Arbeitsmarktchancen Jugendlicher und junger Erwachsener zu verbessern.
Zum Dualen System der Ausbildung in Deutschland gibt es allerdings einen zentralen Unterschied. Hier erlernen die Jugendlichen im Regelfall innerhalb von drei Jahren einen konkreten Beruf, wobei sie einen Arbeitsvertrag mit einem Betrieb abschließen und dort auch ein Entgelt erhalten. Während im Unternehmen ein praxisnahes Lernen stattfindet, werden in der Berufsschule gleichzeitig die theoretischen Kenntnisse vermittelt.
 
Wie schaffen es in Deutschland auch kleinere Betriebe, Auszubildende einzustellen und ihnen eine Vergütung zu bezahlen? Wie hoch ist überhaupt der Anteil – prozentual und in absoluten Zahlen – der kleinen und mittleren Betriebe (KMU) an der Dualen Ausbildung?

Dies gelingt dadurch, dass die jungen Menschen insbesondere im späteren Verlauf ihrer Ausbildung vielfältige Aufgaben übernehmen und für das Unternehmen produktiv sind. Dies gilt auch für kleinere Betriebe. Interessanterweise weicht über alle Betriebsgrößen die Zahl der Auszubildenden an den insgesamt Beschäftigten mit rund 6 % kaum von einander ab. Dies zeigt wie wichtig gerade auch kleine Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten für die Duale Ausbildung sind. Allerdings bildet natürlich nicht jeder kleine Betrieb aus, während dies bei Großbetrieben weitgehend der Fall ist.
 
Trifft es zu, dass – wie erst kürzlich wieder von einem Vertreter der italienischen Handwerksvereinigung behauptet – Schulen und Betriebe im Rahmen des Dualen Systems von der deutschen Regierung finanziell unterstützt werden?

Wie auch die allgemeinbildenden Schulen werden auch die beruflichen Schulen im Regelfall aus öffentlichen Mitteln finanziert. Dies ist in Deutschland Aufgabe der einzelnen Bundesländer. Für einen Betrieb gibt es nur in wenigen Fällen finanzielle Unterstützungen, etwa wenn eigentlich schwervermittelbare Jugendlichen im Rahmen spezifischer Maßnahmen ausgebildet werden.
 
Wie hoch ist überhaupt durchschnittlich die monatliche Vergütung eines Auszubildenden?

Die Vergütungen von Auszubildenden variieren sehr stark von Branche zu Branche und differieren wie auch die Löhne von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein wenig auf regionaler Ebene.  Die tariflichen Ausbildungsvergütungen betrugen 2015 durchschnittlich 826 Euro pro Monat. 

Wie wird in Deutschland vermieden, dass sich der Staat aus seiner pädagogischen Verantwortung entlässt und die Ausbildung privatisiert, wenn die Ausbildungsverträge mit den Betrieben, also mit den Arbeitgebern abgeschlossen werden?

Einerseits natürlich dadurch, dass die Auszubildenden neben dem Betrieb auch noch zur staatlich organisierten und verantworteten Berufsschule gehen. Das Nebeneinander der beiden Lernorte Betrieb und Berufsschule ist ja gerade ein Charakteristikum des Dualen Systems. Zudem müssen auch die Ausbildungsverantwortlichen in den Betrieben über pädagogische Grundkenntnisse verfügen, die ihnen im Rahmen von Lehrgängen vermittelt werden und über die sie auch eine sogenannte Ausbildereignungsprüfung ablegen müssen.
 
Wie beurteilen Sie die Rolle von Start-Ups als Hoffnungsträger in der beruflichen Perspektive junger Menschen?

Start-Ups sind für eine innovative Wirtschaft von hoher Bedeutung. Sie treten aber zunächst nicht unbedingt als Ausbildungsbetrieb im Dualen System auf. Nach einer gewissen Etablierung am Markt dürfte sich dies aber in positiver Hinsicht ändern.

Wie kann man junge Menschen auffangen, die aus dem Prozess der allgemeinen und beruflichen Bildung herausfallen? Wir denken hier an die sogenannten „NEET“ (Not in Education, Employment or Training).

Es ist auch in Deutschland ein ernstes und schon lange währendes Problem wie man sinnvolle Lösungen für diese Personengruppe findet. Auch das Duale System ist hier überfordert. Es gibt allerdings immer einzelne Unternehmen, die sich bewusst auch an diese Jugendlichen richten und denen es zumeist über die Praxiserfahrung gelingt, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren.