Migration
Zuwanderung und Gesellschaft – Aufgaben der Politik
Die zukünftige Entwicklung der Zuwanderung aus Drittstaaten nach Europa ist kaum seriös zu prognostizieren, denn es ist unsicher, wie sich die weltweiten Krisen auf Migrationsbewegungen auswirken werden. Wichtig erscheint jedoch, dass sich Politik und Zivilgesellschaft deutlich mehr anstrengen müssen, um eine gelungene Aufnahme der bereits Zugewanderten zu ermöglichen.
Von Dr. Ferdinand Krings
Während einer viertägigen Reise nach Berlin und Hamburg tauschte sich eine Expertengruppe aus Italien mit ihren deutschen Kollegen zum Thema Zuwanderung aus Drittstaaten nach Europa und den Umgang der politisch Verantwortlichen mit den aktuellen Migrationsbewegungen aus.
Italien steht mit knapp 300.000 Schutz- und Asylsuchenden nach Deutschland, Frankreich und Schweden auf Platz vier der europäischen Länder, die Geflüchtete aufnehmen. In Deutschland lebten 2018 etwa 1,5 Millionen Schutzberechtigte und Asylbewerber. Die meisten Zugewanderten in Deutschland sind noch nicht lange im Land. Der größte Teil ist seit 2015 nach Deutschland gekommen. Sobald Schutzsuchende als Flüchtlinge anerkannt sind, werden sie zumindest einige Jahre in dem europäischen Land leben, in dem sie ihren Asylantrag gestellt haben. Deshalb sollten sie möglichst bald in der Lage sein, einer Arbeit oder Ausbildung nachgehen zu können. Das erleichtert ihnen und der aufnehmenden Gesellschaft die Inklusion.
Wie können politische und zivilgesellschaftliche Akteure diese soziale Integration unterstützen? Und können die deutschen Governance-Modelle mit den italienischen Maßnahmen in Vergleich gesetzt werden?
Diese und weitere Fragen diskutierten mit ihren deutschen Partnern, vermittelt durch das Goethe-Institut Rom, jeweils zwei Vertreter der zuständigen Ministerien und Behörden aus den fünf süditalienischen Regionen. Die Gruppe aus Vertretern der Regionen Apulien, Sizilien, Basilikata, Kalabrien und Kampanien, darunter die Landesminister von Apulien und Sizilien, wurde durch das gemeinnützige Konsortium Nova zusammengestellt. Das in Apulien ansässige Konsortium Nova führt in Italien Projekte zu Innovation, Inklusion, Kommunikation und gesellschaftliche Teilhabe durch.
Deutsche Asylpolitik
Der Eröffnungsvortrag in den Räumlichkeiten des Goethe-Instituts Berlin zeigte ein paar Unterschiede zwischen Deutschland und Italien auf. Vor dem Hintergrund der seit vielen Jahren anhaltend hohen Fluchtbewegung nach Italien, als Außengrenze der Europäischen Union, stellen die Zahlen der Zugewanderten nach Deutschland mit dem Höhepunkt im Jahr 2015 einen relativ kurzen Zeitraum dar - vergleichbar mit den Flüchtlingsankünften, ausgelöst durch den Jugoslawienkrieg und den beiden Irakkriegen. Was also in Deutschland eine im Abstand von etwa zehn Jahren wiederkehrende Ausnahmesituation darstellt, ist in Italien, zumindest in der Kontinuität, ein Normalfall. Neben den Unterschieden in den Herkunftsländern, in Deutschland überwiegen Syrien, Afghanistan und Irak, während es in Italien asiatische und afrikanische Länder sind, wurde während des Vortrags auch deutlich, dass durch die hohe Nachfrage nach Auszubildenden in Deutschland eine Berufsausbildung eine gute Chance für die Arbeitsmarktintegration von Migranten darstellt. Zahlreiche Ausbildungsplätze bleiben jedes Jahr in Deutschland unbesetzt. Als besondere Herausforderungen für die gesellschaftliche Integration in Deutschland und in Italien wurden die komplexe Gesetzeslage und vor allem bürokratische Hürden und die komplizierte Verteilung von Zuständigkeiten identifiziert. Die rechtlichen Regeln sind je nach Bundesland unterschiedlich.Als Hindernisse auf dem Weg zu einer gelungenen Inklusion in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erweisen sich außerdem eine mangelnde Kenntnis des deutschen Bildungssystems sowie der sprachliche und fachliche Aufholbedarf vieler Geflüchteter. Diskriminierungserfahrungen sowie belastende Wohnsituationen, die das Lernen erschweren, etwa in Sammelunterkünften, hemmen ebenfalls den Bildungserfolg.
Viele Fragen blieben nach dem Vortrag offen, die Anlass für reichlich Gesprächsstoff für die nächsten Termine und Begegnungen gaben.
Beide Termine ließen einen gewissen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der deutschen Asylpolitik erahnen. Am nächsten Tag lernte die Gruppe bei dem von der Stadt Berlin getragenen Projekt Arrivo ein Modell der Ausbildungsvermittlung für Migrant*innen kennen. Anschließend präsentierte der gemeinnützige Verein Refugio ein Projekt zum gemeinschaftlichen Wohnen von Geflüchteten im Berliner Stadtteil Neukölln. Der Besuch in der Behörde der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung informierte über deren Einwirken auf Regierungsentscheidungen beim Thema Flucht und Migration und rundete das Programm in Berlin ab.
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