4 Könige

4 Könige Foto: © PortAuPrincePictures - Kristian Leschner Regie: Theresa von Eltz, Deutschland 2015, 98 Min.
Mit Paula Beer, Jella Haase, Jannis Niewöhner, Moritz Leu, Clemens Schick


Die heilende Selbstfindung beginnt mit der Aufmerksamkeit für andere: Dr. Wolf hat den vier Schützlingen, mit denen er in der Jugendpsychiatrie das Weihnachtsfest verbringt, den Auftrag erteilt, mit einem Camcorder andere Bewohner, egal ob Patienten oder Personal, über ihr Leben und das bevorstehende Fest zu befragen. Allein schon in den Fragen klingen die Probleme der Jugendlichen an: Weihnachten, das Fest des Friedens und der Familie, muss für sie mit traumatischen Erfahrungen verbunden sein. Schon zu Beginn fragt die junge Lara direkt in die Kamera: „Bin ich scharf?“ - wohl eine bewusst provokante Doppeldeutigkeit. Weihnachten in der Familie vermisse sie nicht, fügt sie hinzu, sie mochte die spießigen und sentimentalen Feiern nicht.
 
Die Erfahrung, Weihnachten nicht in der Familie, sondern in der Psychiatrie verbringen zu müssen, teilt Lara mit Alexandra, die unter dem Terror ihrer Mutter und der Hilflosigkeit ihres Vaters leidet. Timo ist vermutlich erleichtert, denn Dr. Wolf hat ihn aus der geschlossenen in die offene Abteilung geholt. Und Fedja, der aus Georgien kommt und an Panikattacken leidet, verstummt und versinkt in seinen Ängsten, auch in der Furcht vor dem zu Gewaltausbrüchen neigenden Timo. Der junge Doktor Wolf, der sich an Weihnachten um das Quartett kümmert, steht vor einer schwierigen Aufgabe: Er muss nicht nur den Frieden wahren, er will auch seiner Verantwortung nachkommen und seinen Schützlingen den Weg zurück in ein ungefährdetes Leben zeigen. Die Möglichkeit dazu sieht er vor allem in Gruppengesprächen.
 
„Weihnachten in der Jugendpsychiatrie, das hat mich nicht mehr losgelassen.
Denn zunächst scheinen das Ereignis und der Ort diametral entgegengesetzt zu sein. Heiligabend als der Tag im Jahr, an dem alles einmal harmonisch und gut sein soll. Tag der Familie, der Lichter, der Hoffnung und Geschenke. Und die Jugendpsychiatrie als Inbegriff der Krise. Der Ort an den man geht, wenn nichts mehr funktioniert, wenn die Familie versagt hat, die Welt verrückt geworden ist. Und trotzdem leuchtete es mir sofort ein, dass eben gerade an diesem Ort, an dem die Hüllen fallen und das Innerste nach Außen kommt, ein Weihnachten stattfinden kann, das frei von jeder Künstlichkeit und falschen Erwartungen einen Moment wirklicher Hoffnung und Schönheit mit sich bringt.“ (Theresa von Eltz)
 
Natürlich, fast zwangsweise, eskalieren an Weihnachten die emotionalen Konflikte. Dass dies so überzeugend gelingt, ist nicht nur der Regie, sondern auch den hervorragenden, überaus sensiblen jungen Darstellern zu verdanken. Fedja hat einen glimpflich ausgegangenen Selbstmordversuch begangen, der Timo schwer zu schaffen macht. Mit einem aus dem Schwesternzimmer geklauten Schnaps besaufen und betäuben sich die vier jungen Patienten, und auf einem Nachtspaziergang kommt es zu einer Katastrophe, weil die betrunkene Lara von einem Boot ins Wasser fällt und verschwindet. Timo springt ihr ohne Zögern nach, findet sie nicht – bis die Vermisste an Land auftaucht und erklärt, sie habe die anderen nur gefoppt. Timos Wut hält noch an und eskaliert, als Dr. Wolf, von einer Pflegerin denunziert, zur Rechenschaft gezogen wird. Er geht mit Gewalt – sein wirksamstes Mittel, sich mitzuteilen - auf die Denunziantin los, bedroht auch Wolfs Chef und muss zurück in die geschlossene Abteilung. Fedja verteidigt Timo, vor dem er so lange Angst gehabt hatte. Alle vier Jugendliche haben die heilsame Erfahrung von Solidarität gemacht: sie wird Timo nur bedingt helfen. Dr. Wolf gehört zu den Verlierern, vielleicht nur scheinbar, denn er weiß nun, dass er auch einen Patienten, dem  vermeintlich nicht zu helfen war, auf den richtigen Weg zurückbringen könnte, wenn man ihn nur ließe. Also wäre auch der schwierige Timo kein hoffnungsloser Fall – falls ihm das System der Jugendpsychiatrie doch noch eine Chance gibt. Nach seinem verzweifelten und solidarischen Wutausbruch wurde er in einem Bett fixiert, Wolf befreit ihn von seinen Fesseln.