Als wir träumten

Regie: Andreas Dresen
Deutschland 2013-2015, 117 Min.
Drebuchautor Clemens Meyer und Wolfgang Kohlhaase
 

Der Anfang erzählt schon vom Ende. Dani betritt ein marodes Gebäude, ruft in der Dunkelheit nach Mark; der ist aus einer Entzugsklinik abgehauen und will in diesem Zustand selbst von seinem besten Freund nicht gesehen werden. Dani soll ihm nur die Bierflasche rüberrollen, die er ihm mitgebracht hat. Mark wird diesen Zustand nicht mehr lange überleben – aber das erfährt der Zuschauer erst im Finale. Zunächst blendet der Film zurück in die späten Jahre der DDR, in denen Dani, Mark, Rico und Paul noch kleine Schüler in Leipzig waren, das rote Halstuch der Pioniere trugen und sich schon als Kinder auf den „Ernstfall“ vorbereiten mussten – auf einen Bombenangriff des Westens. Später werden sie auch vor den „Aufmärschen der Krawallmacher“ gewarnt – gemeint sind damit offensichtlich die Leipziger Montags-Demos, die nicht unerheblich zum Ende der DDR beigetragen haben.
 
© RommelFilm-PandoraFilm - PeterHartwig Andreas Dresen und sein Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase klammern jedweden Jubel über den Fall der Grenze und die Wiedervereinigung aus – den politischen und den privaten. Der Film überspringt diese Wochen und Monate und erzählt von ihren bald einsetzenden Folgen. Dani und seine Freunde waren keine Musterschüler im Sinne ihres Staates, in dem sie auf gewisse Weise ebenso beengt wie geborgen waren. Mit dem Ende der DDR endet wohl auch ein Teil ihrer Wertvorstellungen, sie treffen unvorbereitet auf ein Vakuum, das ihnen zunächst einmal die Freiheit gibt, anarchische Fantasien nach Belieben auszuleben. Sie sind Rebellen – aber haben keine Ahnung, gegen was sie eigentlich rebellieren sollten. Das führt schnell an die Grenzen der Legalität und darüber hinaus. Die Jungs rasen betrunken mit gestohlenen Autos durch die nächtliche Stadt, nehmen Drogen und genießen ihre Freude am Vandalismus. Für sie ist es ein wildes und rauschhaftes freies Leben, in dem es über den Augenblick hinaus auch Träume gibt. Einer davon scheint aufzugehen: mit ihrer Disco „Eastside“ schaffen es die Freunde, sich etwas Eigenes aufzubauen – doch nach einem Jahr scheitert das Ganze an der Gewalt von Neonazis. Rico wollte Profiboxer werden und hat am Ende, als er sich wegen eines Überfalls der Polizei stellt, seine Chancen wenigstens vorläufig verspielt. Dani muss begreifen, dass aus seiner großen Liebe kaum was werden kann, weil sich „Sternchen“ mit dem Anführer der Neonazis eingelassen hat.
 
Dresen hat Als wir träumten in einem meist rasenden Tempo inszeniert, das dem visuellen Leitmotiv des Films sehr nahe kommt: dem flackernden, mitunter schmerzhaften Strobelight der Nachtlokale. Was immer die Figuren des Films unternehmen, stets wirken die oft sehr gewalttätigen Aktionen, als wäre ihr innerstes und geheimes Ziel die Betäubung gegen eine tiefe, unbewusste Enttäuschung. Der Regisseur scheint damit indirekt auch eigene Erfahrungen zu verarbeiten: „Vor allem in politischer Hinsicht war es eine Zeit der Desillusionierung, denn ich kam aus der Wendezeit ziemlich enttäuscht heraus. Wir hatten ja die Hoffnung gehabt, dass die Wiedervereinigung mehr sein könnte als nur eine schlichte Übernahme. Wir haben ja bislang vor allem über die Fragen von Schuld und Verstrickung debattiert, die großen Stasi-Dramen sind gezeigt. Mit den riesigen Möglichkeiten dieser Tage, der ungeheuren Kraft von Anarchie, haben wir uns zu wenig beschäftigt.“ (Dresen)

Text Hans Günther Pflaum