Barbara

Barbara kommt mit dem Bus in dem Provinzort an. Sie setzt sich auf eine Bank vor dem Krankenhaus, in dem sie künftig arbeiten wird, zündet sich eine Zigarette an – und scheint zu spüren, dass aus einem Fenster die Blicke auf sie gerichtet sind: Der Arzt André und ein zweiter Mann, von dem bald klar wird, dass er als Offizier der Staatssicherheit arbeitet, reden über die wartende Frau. „Ist sie das?“, fragt der Arzt. – „Ja", antwortet der andere, „sie wird nicht eine Sekunde zu früh kommen, die ist eben so!“ Der eine hat sich aus den Akten längst ein Bild gemacht, der andere wartet und beobachtet. Und der Arzt arbeitet von Anfang an mit dem Spitzel zusammen; ob er diese Kooperation vermeiden könnte, bleibt ebenso offen wie seine politischen Überzeugungen.
 
Barbara hatte einen Ausreiseantrag gestellt, war in Haft und wurde dann strafversetzt, von der renommierten „Charité" in Berlin an das kleine Krankenhaus in der Provinz. Gleich am ersten Tag fährt André, ihr neuer Chef, die Ärztin mit dem Auto zu ihrer Wohnung; verärgert stellt Barbara fest, dass er genau weiß, wohin er fahren muss; der Mann wurde vorab genau informiert. Forsch fordert die Hausmeisterin, ausgerüstet mit einem Schlüsselbund wie eine Gefängniswärterin, Barbara möge sich ihren Keller ansehen und Kohlen für den Winter bestellen.
In der Klinik wird von Uniformierten ein Mädchen eingeliefert, schon zum vierten Mal, „weil sie nicht zur Arbeit wollte". Stella lebt in der einst berüchtigten Erziehungsanstalt Torgau und ist schwanger. Die Ärztin wird versuchen, ihr zu helfen und bittet André, Stella möglichst lange zu behalten.

Barbara Foto: © Hans Fromm - Schramm Film Immer wieder ist Barbara mit dem Fahrrad unterwegs, im Ort und vor allem auf dem freien Land; stets weht ein kräftiger Wind, als würde sich der innere Aufruhr auch auf ihre Umgebung auswirken. An einem geheimen Treff erhält Barbara einen Umschlag mit einer hohen Geldsumme aus der Bundesrepublik - es stammt von Jörg, ihrem Freund im Westen und soll zur Finanzierung ihrer Flucht über die Ostsee nach Dänemark dienen. Sie versteckt das Geld im Freien bei einem Feldkreuz. Einmal trifft sie ihn, heimlich im Wald, doch bald wird das Liebesleben von einem Autofahrer gestört. Die Stasi durchsucht Barbaras Wohnung und findet nichts – auch nicht bei einer Leibesvisitation. Vermutlich geht es auch nur darum, die Frau einzuschüchtern.
Im Krankenhaus erzählt André, warum es ihn in die Provinz verschlagen hat; Barbara weiß nicht, ob sie die fast tragische Story glauben soll. Ein Junge wird eingeliefert; Mario hat nach einem Selbstmordversuch eine innere Kopfverletzung.
 
In einem Hotel trifft Barbara wieder ihren Freund Jörg. Er erklärt, notfalls zu ihr in die DDR ziehen zu wollen. Barbara lehnt das ab: „Hier kann man nicht glücklich sein!" So bleibt nur die Flucht als Ausweg. Am Tag vor der Nacht, in der Barbara von einem Schlauchboot abgeholt werden soll, überschlagen sich die Ereignisse. Mario muss dringend operiert werden, André hat Barbara, die offiziell einen freien Tag hätte, für die Anästhesie eingeteilt. Sie besucht ihn in seinem Haus, küsst ihn und geht; wird am Abend nicht im OP erscheinen. Als sie ihre Wohnung verlässt, taucht die flüchtige Stella wieder auf. Barbara bringt das verlorene Mädchen an den nächtlichen Strand, ermöglicht ihr an ihrer Stelle die Flucht und bleibt in der DDR. Am anderen Morgen – längst war die Stasi wieder in ihrer Wohnung – erscheint Barbara am Bett des erfolgreich operierten Mario. Sie sitzt André gegenüber, die beiden schauen sich an – die gemeinsame Freude ist spürbar.
 
„Es ging uns nicht darum, das Porträt eines Unterdrückerstaates zu filmen. Und dagegen dann die Liebe zu setzen, die unschuldige, reine, befreiende. Wir wollten keine Symbole. Man decodiert sie, und nichts bleibt übrig, nur das, was man schon zuvor gewusst hat. Wir wollten das filmen, was zwischen den Menschen ist, sich aufgetürmt hat, was sie misstrauen lässt oder vertrauen, abwehren und annehmen." (Christian Petzold).
 
Zu Beginn des Films verweist kaum etwas auf den Ort und die Zeit: 1980 in der DDR. Keine Spruchbänder und Parolen, keine Uniformen, keine Honecker-Bilder und auch nicht die heruntergekommenen Bauten, die in den Filmen über die DDR während der letzten zwei Jahrzehnte oft für symbolischen Overkill sorgten. Irritierend ist eher der Gestus des heimlichen Beobachtens, der anfangs die Position der Kamera prägt, die sich dann immer konsequenter dicht zwischen die Menschen begibt. Nur eine scheinbar beiläufig eingeblendete Radioreportage fixiert das Jahr; ein Reporter berichtet von den Olympischen Sommerspielen in Moskau 1980. Gerade diese Momente, die so zufällig daherkommen, zeigen, wie bewusst Petzold seine Geschichte erzählt. Barbara ist vermutlich einer der genauesten, ästhetisch klarsten und auch eindringlichsten Filme über den Beginn der späten Jahre der DDR. Die Auflösung ist schon zu ahnen, aber noch nicht manifest. Petzold, dessen Eltern einst aus der DDR geflohen sind, geht es nicht um Ideologien und Systeme, er erzählt praktisch in jeder Minute von Leben und Tod, nicht mehr und nicht weniger.

Hans Günther Pflaum