Finsterworld

Finsterworld Finsterworld | Foto: © Markus Förderer - Alamode Film Regie: Frauke Finsterwalder
Deutschland, 2013, 95 Min.
Darsteller: Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Emilia Pieske, Johanna Gastdorf, Dr. Sven Seeger, Prof. Dr. Martin Kostelka


Finsterworld spielt in einem scheinbar aus der Zeit gefallenen Deutschland. Ein Land, in dem immer die Sonne scheint, Kinder Schuluniformen tragen, Polizisten sich als Bären verkleiden und Fußpfleger alten Damen Kekse schenken. Hinter der Schönheit dieser Parallelwelt lauert jedoch der Abgrund – und dorthin geht die Reise.
 
Ein gleichermaßen verzauberter wie entzaubernder Heimatfilm und eines der aufregenden deutschen Spielfilmdebüts des Jahrs 2013, entstanden nach einem Drehbuch von Christian Kracht, dessen erster Roman Faserland (1995) immer schon dazu herausforderte, seinen Titel mit gelispeltem „s“ (also als „th“) auszusprechen, womit er sich unter der Hand zu „Fatherland“ verwandelte. Finsterworld schließt zwar auf raffinierte Weise an Faserland an, aber während die Protagonisten in Krachts Roman ausgiebig über die ästhetische Totalkatastrophe Deutschland sinnierten, ist Finsterworld eine eher zarte und behutsame Hasserklärung an Deutschland.

In fünf Handlungssträngen, verpackt im drollig kuscheligen Kostüm einer leichten Charakterkomödie werden erstaunlich souverän die Leerstellen zwischen Unschuld und Perversion, Liebenswürdigkeit und Barbarei, Beiläufigkeit und Pathos ausgelotet: die Fahrt eines Oberstufenkurses unter der Leitung des engagierten Lehrers Nickel (Christoph Bach) in ein ehemaliges Konzentrationslager, die Paar-Probleme eines Polizisten (Ronald Zehrfeld) und einer frustrierten Dokumentarfilmemacherin (Sandra Hüller), die Romanze eines Fußpflegers (Michael Maertens) mit einer Frau im Altenheim (Margit Carstensen), die Geschichte eines im Wald lebenden Einsiedlers (Johannes Krisch), der einen Raben großzieht, und die Autofahrt eines wohlhabenden und darüber etwas versnobt gewordenen Best-Agers-Paares (Corinna Harfourch und Bernhard Schütz), deren Sohn an der erwähnten Klassenfahrt teilnimmt und dessen Oma wiederum die Frau im Altenheim ist. Allein das Licht für jede dieser Episoden ist passgenau gesetzt – mal liegt es leicht mattiert und flächig auf den Lederpolstern der Limousine, mal gleißt es über dem blühenden Rapsfeld, dann wieder fällt es retro-staubig durch die zerschlissenen Vorhänge im Altenheim, wenn der Fußpfleger der Klientin seine Liebe gesteht.

Die einzelnen Segmente sind verstörend miteinander verwoben, und die Dialoge treffen wie Messerstiche in die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft und Zeit. Wie in einer Spirale drehen sich die Charaktere umeinander und sich selbst, bis hin zum dramatischen Schluss, den keiner wollte, den auch keiner kommen sah, der im Rückblick aber eine berückende Zwangsläufigkeit hat. Den Moment, in dem alles kippt, kann man indes nicht beschreiben, vielleicht weil er gar nicht recht auffindbar ist. Der große Umschwung, er passiert schleichend, viele kleine Abgründe tun sich auf und das mit großer Wirkung.

Ralph Eue