Phoenix

Phönix © Schramm Film

Regia: Christian Petzold, 35mm, Farbe, 98 Min., 2013/14

Bald nach dem Ende des II. Weltkriegs kehrt die Jüdin Nelly nach Deutschland zurück, gezeichnet von den schweren Gesichtsverletzungen, die sie in einem Konzentrationslager erlitten hat. Ihr Ex-Mann Johnny hat keine Ahnung, dass sie überlebt hat. Nelly sucht nach ihm, obwohl er sie einst an die Nazis verraten hat; davon ist zumindest ihre Freundin Lene überzeugt. Johnny wird sie nicht wiedererkennen; er nimmt nur eine deutliche Ähnlichkeit wahr, und diese will er ausnützen: Nelly soll seine Frau spielen, damit er an das Vermögen der Totgeglaubten kommt. Phoenix erzählt die Geschichte einer nicht mehr möglichen Heimkehr und einer wohl für immer verlorenen Identität.  

1945, bald nach Kriegsende: Die Jüdin Nelly kehrt schwer verwundet nach Deutschland zurück. Ihre schlimmen Gesichtsverletzungen sind auch ein Symbol; diese Wunden lassen sich mit den Mitteln der plastischen Chirurgie äußerlich korrigieren – anders als die inneren Verletzungen. Nelly sucht Johnny, ihren früheren Mann, der sie durch die Ehe jahrelang vor der Verfolgung geschützt hatte, bis zum 4. Oktober 1944, dem Tag ihrer Scheidung. Anders als Nelly glaubt ihre Freundin Lene nicht an Johnnys Unschuld, sondern ist sich sicher, dass er damals seine Frau an die Nazis verraten hatte. Zudem glaubt Lene, die davon träumt, nach Palästina auszuwandern, dass Johnny nun versuchen werde, an das Erbe seiner Exfrau zu kommen.

Nelly hofft, mit der Liebe zu Johnny auch ihre verlorene Identität zurückgewinnen zu können; sie sucht und findet den Mann im US-Nachtlokal „Phoenix“. Er hält seine Exfrau für tot und erkennt sie nicht, obwohl ihm ihre Ähnlichkeit mit der „Verstorbenen“ nicht entgeht. Johnny fasst einen infamen Plan: Nelly soll gegen einen kleinen Anteil als seine Exfrau auftreten und ihm so zum Vermögen ihrer im Holocaust ermordeten Familie verhelfen. Nelly willigt ein; sie will sehen, wie weit Johnny gehen würde und, mehr noch, herausfinden, ob er sie einst wirklich geliebt und später verraten hat. Johnny erschafft die ihm scheinbar fremde Frau neu: Kleidung, Gang, Haarfarbe, Makeup – alles gleicht er der Vergangenheit an und merkt nicht einmal, dass sich Nelly die Handschrift der Totgeglaubten viel zu mühelos „aneignet“. Für das Wiedersehen mit alten Zeugen soll sie sich Geschichten aus dem Konzentrationslager zurechtlegen, damit sie ein paar glaubwürdige Belege aufweisen kann. Sogar die berüchtigte eintätowierte Nummer am Arm der KZ-Häftlinge will er ihr verpassen; die reale hat er nie wahrgenommen. Nelly fühlt sich immer noch zu dem Mann hingezogen. Der aber geht sofort auf Distanz, wenn sie ihm näher kommen will als er es für ihre Rolle geplant hat. Schließlich kommt es zu ihrer fingierten Ankunft an einem Bahnhof und zum Wiedersehen mit den alten Freunden. Sie feiern in der Bahnhofsgaststätte. Nelly will, von Johnny am Klavier begleitet, spontan ein altes vertrautes Lied singen: Kurt Weills „Speak Low“. Jetzt muss Johnny die Wahrheit erkennen. Nelly geht weg und löst sich fast auf in der Unschärfe des Bildes.

„Ist es möglich, über den tiefen, nihilistischen Riss, den die Nationalsozialisten und die Deutschen vollzogen haben, über diesen Riss zurückzuspringen und etwas zu rekonstruieren – die Gefühle, die Liebe, die Barmherzigkeit, das Mitleid, das Leben? Phoenix erzählt die Geschichte einer Frau, die nicht einsehen will, dass 'keine Erzählung, kein Gesang, kein Gedicht', dass Liebe nicht mehr möglich sein soll.“ (Christian Petzold)

Der vergebliche Versuch, durch die physische Vortäuschung die Vergangenheit zurückzugewinnen, führt unweigerlich zum Motiv des Doppelgängers, das seit den Tagen der Romantik eine lange Tradition in der deutschen Kultur hat. Einmal verweist Petzold auf Fritz Lang – und der hat einen der berühmtesten Doppelgänger-Filme des deutschen Kinos gedreht: Metropolis, mit der künstlichen Maria: sie ist eine Art Vorläuferin der totgeglaubten Nelly und ihrer aus Johnnys Sicht neu erschaffenen Imitation. Nach der Wiederherstellung ihres früheren Gesichts fragt Nelly ihre Freundin: „Würdest du mich wiedererkennen?“ Die viel schwerer zu beantwortende Frage wäre: Ist mit dem alten Erscheinungsbild auch der Mensch wiederhergestellt, der Nelly einmal war?