Winter ade

Winter ade Foto: © Thomas Plenert Regie: Helke Misselwitz
Deutschland, 1987/88, 116 Min.


Helke Misselwitz, geboren 1947, beginnt ihre Reise in Planitz, einem Vorort von Zwickau (Sachsen) und berichtet aus ihrem Leben: Mit 19 habe sie ihren Heimatort verlassen, eine Berufsausbildung als Tischlerin abgeschlossen und zwei Ehen, beide wurden geschieden, hinter sich. Wenn sie von sich erzählt, deutet sie schon die thematischen Schwerpunkte ihres Films an: Es geht um Ehe, Beruf, Kinder – und Scheidung. Im Zug unterhält sich Helke Misselwitz mit Hiltrud Kuhlmann (42); sie hat mit 19 geheiratet, ein Kind bekommen, die Ehe hielt immerhin neun Jahre, doch sie hat ihren Mann so mächtig empfunden wie ihren strengen Vater. Später heiratete Hiltrud ein zweites Mal, ihr neuer Mann Peter brachte ebenfalls ein Kind mit in die Ehe, eine Tochter, mit der die „Stiefmutter“ offensichtlich ihre Probleme hatte. Aber Hiltrud und Peter sind immer noch zusammen, sogar beruflich ist sie, als stellvertretende Direktorin der HO-Werbung in Berlin, erfolgreich. In Altenburg (Sachsen) steigt sie aus und erzählt noch am Bahnsteig, wie sie einst vom Genossen Schabowski mit der „Banner der Arbeit“ ausgezeichnet wurde – gemeinsam mit 300 anderen, aber nur 5 Prozent davon waren Frauen. Kurz sieht man am Bahnhofskiosk ein Poster: „Frauenglück“ von Franca Rame und Dario Fo. „Ihr müsst ganz charmant zu den Männern sein!“, rät die Tanzlehrerin Liselotte Schaller (73) ihren Schülerinnen. Da werden noch die uralten Maßstäbe aufrecht erhalten, nach denen die Frauen sich um die Männer bemühen müssten, von Gleichberechtigung, wenigstens als Idee, keine Spur!

Christine Schiele (37) hat zwei Kinder und schuftet in einer Brikettfabrik, klopft mit einem Vorschlaghammer auf die Schlote, damit sich innen kein Kohlenstaub festsetzen kann sondern abzieht ins Freie: Ein Knochenjob, und die Fabrik sieht aus wie aus einem anderen Zeitalter, primitiv und alles andere als umweltfreundlich. Schon als Kind musste Christine schwer arbeiten, während ihr Bruder seine Freizeit genoss. 1969 hatte sie geheiratet, ihr erstes Kind bekam sie schon vorher, die Ehe wurde 1973 geschieden. Die Tochter leidet an einer geistigen Behinderung, der Sohn gibt der Mutter, nach ihrer eigenen Aussage, die Kraft zum Leben. Christine träumt von einem Mann, der sie versteht, von Pferdesport und Reisen – Träume, die sich nie erfüllen werden. Auch nicht für die Jugend: Die Teenager Kerstin und Anja sind von zu Hause abgehauen und suchen die große Freiheit. Katja landet in einem Heim für Schwererziehbare, Kerstin in einem Jugendwerkhof.

In der Uckermark feiert, umgeben von Kindern, Enkeln und Urenkeln, ein altes Ehepaar die diamantene Hochzeit. Endlich, denkt der Zuschauer, eine Szene der Harmonie und des privaten Glücks. Doch dann gesteht die alte Dame: „Ich hätte einen besseren Mann heiraten sollen!“ Ein trauriges und schmerzhaftes Dementi der nach außen zelebrierten Erfüllung. Auch Erika Banhardt, stellvertretende Bürgermeisterin, Kreistagsabgeordnete und Leiterin eines Heims für schwer erziehbare Kinder, erklärt resigniert: „Ich wollte mein Leben besser machen als es gelungen ist!“

Oft lastet auf den schwarzweiß-Bildern ein sehr trübes, winterliches Licht, dessen Kühle, mit den vielen schmutzig feuchten Schneeresten in den Hintergründen, die emotionale Ebene der Erzählungen noch verstärkt. In den tristen Hintergründen erzählt der Film von einer ganz anderen als jener, die die SED zum 40-jährigen Jubiläum der DDR 1989 zu propagieren versuchte. Die DDR ist hier alles andere als ein Arbeiterparadies. Und die Feier zum Internationalen Frauentag hebt sich fast brutal ab von der Realität, die der Film aufspürt. Winter Adé erzählt von vielen tapferen Versuchen zur Emanzipation und doch auch von unerfüllten Lebensläufen. Keine der zahlreichen Ehen, von der die Filmemacherin berichtet, hat die Partner auf Dauer glücklich gemacht. „Hinterher lässt sich das immer leicht sagen, aber im Rückblick sieht es tatsächlich so aus, als hätten auch solche Filme mitgeholfen, klarzumachen, dass und wie sehr die Menschen in der DDR am Ende ihrer Kraft angekommen waren. Helke Misselwitz ist ein herausragender Film über die Situation der Frauen in ihrem Land gelungen, der durch ihre Aufmerksamkeit für die von ihr Porträtierten auffällt...“ (Fischer Film Almanach 1990). So ist Winter Adé – auch mit seinem scheinbar paradoxen Titel – einer der wenigen wirklich feministischen Filme, die die DDR hervorgebracht hat.

Hans Günther Pflaum, 24.09.2015