Wir sind jung. Wir sind stark.

Wir sind jung. Wir sind stark.

Regie: Burhan Qurbani
Deutschland 2013/2014, 128’
mit Devid Striesow, Jonas Nay

Wir sind jung. Wir sind stark. © Stephan Rabold - team Worx Television und Film GmbH Am Morgen des 24. Augusts 1992: Das Radio berichtet von mehreren hundert Randalierern, die mit Gewalt gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge (ZAST) in Rostock-Lichtenhagen vorgegangen sind. Noch sind vor allem die Roma aus Rumänien gefährdet. Doch die Vietnamesin Lien, die mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin im sogenannten Sonnenblumenhaus lebt und in einer Wäscherei arbeitet, lässt sich helle Strähnen in ihr Haar färben – als könnte sie damit weniger auffallen. Ihr Chef schätzt die „Asiaten“ – wegen ihrer „Arbeitsmoral“. Der Lokalpolitiker Martin Boll diskutiert mit Kollegen, wie die Behörden mit den fremdenfeindlichen Aggressionen umgehen sollen. Martin hat vorerst keine Ahnung, dass sich sein Sohn Stefan längst einer gewalttätigen Gang angeschlossen hat. Meist treffen sich die Jugendlichen auf einer öden Wiese: Philipp erinnert sich an die alten Zeiten in der DDR, als er und sein Vater noch Arbeit hatten. Seine Kumpane, unter ihnen der neurotisch gewalttätige und skrupellose Robbie, nehmen ihn nicht ernst. Enttäuscht verlässt Philipp die Gruppe – er wird Suizid begehen. Der rechtsradikale Sandro, der sich als Anführer fühlt, will aus dem Toten einen patriotischen Märtyrer machen. Robbie liest amüsiert aus dem Abschiedsbrief des Selbstmörders vor und bestiehlt ihn.

Am Nachmittag werden die Romas aus ihrem heillos überfüllten Heim evakuiert – unter dem Beifall gaffender Bürger. Allmählich füllen sich die Freiflächen vor dem ZAST und dem Sonnenblumenhaus mit Schaulustigen, die ihre Klappstühle mitbringen und auf weitere Aktionen warten. Aber die Polizei zieht sich vorübergehend zurück. So eskaliert am Abend die Gewalt endgültig, vor den laufenden Kameras einiger Fernsehteams. Steine fliegen auf das Sonnenblumenhaus, Molotow-Cocktails durchschlagen die Fenster und setzen die Wohnungen in Brand, immer noch unter dem Beifall der Gaffer. Stefan, Robbie und Goldhahn steigen in das Haus ein, legen weitere Brände und zerstören alles, was sie finden. In ihrer Todesangst haben sich die letzten Vietnamesen auf das Hausdach zurückgezogen, von dort retten sie sich in ein Nachbarhaus. Von einem Balkon aus winkt Stefan der jubelnden Meute zu. Endlich ist auch die Polizei wieder da.

Wir sind jung. Wir sind stark ist mitunter ein eher chaotischer Film – und mit dieser Dramaturgie trifft er genau die hysterische Eskalation dieser Nacht. Burhan Qurbani, Sohn afghanischer Einwanderer, versucht nicht, seine Figuren zu erklären – schon gar nicht ideologisch. Die gleichen Jugendlichen, die „Deutschland!“ wie einen Schlachtruf grölen, singen auch die Internationale oder das in der DDR beliebte Lied vom kleinen Trompeter. Ihre Haltung ist eher von dumpfer Wut geprägt als von bewusster Ideologie. „Wenn man mich fragt, was Wir sind jung. Wir sind stark für ein Film sei, dann antworte ich: ein Heimatfilm. Alle meine Figuren bewegen sich in diesem Spannungsfeld: Daheim sein, eine Heimat haben an einem Ort, in einem Land. Der Film spielt in einer Zeit der gesellschaftlichen und politischen Neuorientierung und des Vakuums. Und gerade die Bewertung des Begriffs der Heimat, zumindest für die Bevölkerung der damaligen DDR, hatte sich zu diesem Zeitpunkt radikal geändert. Ich glaube, dass in Rostock-Lichtenhagen ein Grund für die erschreckende Gewalt, das tatenlose Zuschauen und Applaudieren, das Nichtwissenwollen und Wegsehen auch seine Wurzeln in der Frustration dieser Zeit hat. Diese Wut ist in der Nacht des 24. August 1992 zu etwas Monströsem gewachsen.“ (Qurbani)

Wir sind jung. Wir sind stark betreibt keine politische oder ideologische Analyse, sondern leistet Erinnerungsarbeit, um ein unter dem Deckmantel des Patriotismus geschehene nationale Katastrophe ins Gedächtnis zurückzurufen und auch davon zu erzählen, wie Zeiten der Krise dem dumpfen Rechtsradikalismus als Nährboden dienen, damals im gerade wieder vereinten Deutschland – oder auch heute in vielen Staaten Europas.

Hans Günther Pflaum, März 2015