Tetsuya Ozaki | Chefredakteur, Webmagazin „Realkyoto Forum“
Ein Prost auf die Kunst!


Tetsuya Ozaki Tetsuya Ozaki Eigentlich bin ich in Tokyo geboren und aufgewachsen, begann aber 2009 ein Leben in Kyoto. Fünf Jahre später kehrte mein alter Bekannter Markus Wernhard mit seiner Gattin Eriko nach Japan zurück. Markus arbeitete schon lange beim Goethe-Institut und übernahm nach Aufenthalten in Tokyo, Peking und fünf Jahren in Taipei die Stelle des Direktors der Villa Kamogawa.
Kurze Zeit später bat er mich um ein Gespräch. Der Villa Kamogawa ist das Restaurant Café Müller angegliedert, das nach dem Meisterwerk von Pina Bausch benannt ist. Dort gibt es wunderbares Weizen- beziehungsweise Weißbier. Doch fand unsere Unterredung leider in einem Büro im Obergeschoss statt.

Markus war sehr eloquent. Mit einem Glas Mineralwasser in der Hand schilderte er enthusiastisch die Situation der Villa Kamogawa. Sie funktioniere gut, doch wisse die Mehrheit der Kyotoer*innen nicht, dass sich hier ausgezeichnete Künstler*innen aufhielten. Bestimmt würden Gespräche zwischen den Stipendiat*innen und japanischen Kulturschaffenden zu interessanten Ergebnissen führen. Die Villa Kamogawa solle nicht ein bloßer Aufenthaltsort für Stipendiat*innen sein, sondern sich zu einem Ort entwickeln, an dem talentierte Menschen beider Länder ihre Gedanken austauschen.

Sein Vorschlag sah wie folgt aus: »Ich möchte Podiumsdiskussionen veranstalten und dich bitten, die Auswahl der Themen und japanischen Podiumsteilnehmer*innen sowie die Moderation zu übernehmen.«
»Ich bin dabei!«, antwortete ich sofort. »In meinem Bekanntenkreis gibt es Menschen aus vielen Berufszweigen und unterschiedlichen Beschäftigungsfeldern. Außerdem habe ich Interesse an deutscher Kultur und Kunst. Sicher ist es nicht einfach, aber es ist ein wichtiges und erfolgversprechendes Projekt«, waren meine Gedanken dabei. Allerdings wollte ich den Auftrag nur unter einer Bedingung annehmen.
»Markus, eine Bitte musst du mir aber erfüllen.«
»Welche? Um Simultandolmetscher*innen kümmere ich mich schon.«
»Nach der Podiumsdiskussion soll eine Abschlussfeier im Café Müller stattfinden, jedoch keine im üblichen Sinne, vielmehr schweben mir unbeschwerte Gespräche mit dem Publikum vor.«
Markus stimmte zu und damit startete das neue Projekt Creators@Kamogawa. In den Jahren 2014 bis 2019 fand es 33 Mal statt, und jede Veranstaltung war von intensiven Gesprächen bestimmt. Ich denke, dass dieses Projekt viel dazu beigetragen hat, den Austausch zwischen der Villa Kamogawa und den Einwohnern*innen zu vertiefen. Dies ist natürlich in erster Linie ein Verdienst der Podiumsteilnehmer*innen sowie des Direktors und der Mitarbeiter*innen der Villa Kamogawa sowie der ausgezeichneten Dolmetscher*innen, doch nicht zuletzt auch des gut gekühlten Weizenbiers und der dampfenden Currywurst.

Nachdem Markus sein Amt niedergelegt hatte, fiel Covid-19 über die Welt her. Der neue Direktor Enzio Wetzel ist zu bemitleiden. Allen Widrigkeiten zum Trotz setzt er seine ganze Kraft ein, um sich den unvorhersehbaren Umständen entgegenzustellen. Es ist zu bewundern, wie souverän er Wege findet, um den Kulturaustausch im Fluss zu halten.
Im Februar 2021 präsentierten die Komponistin Brigitta Muntendorf und der Dramaturg Moritz Lobeck Rauminstallationen im Kagan Hotel in Kyoto. Brigitta hatte als Stipendiatin der Villa Kamogawa 2017 auch an Creators@Kamogawa teilgenommen. Leider war es für die beiden nicht möglich, nach Japan zu kommen, auch eine Party konnte nicht realisiert werden, doch fand am ersten Tag der Präsentation ein Online-Vortrag statt.
Vor Beginn des Vortrags hielt Direktor Wetzel eine einfühlsame und herzliche Rede. Nach der Veranstaltung unterhielten sich die versammelten Menschen angeregt. Ich grüßte Brigitta über den Bildschirm und machte mich anschließend auf den Heimweg. Als ich zu Hause die Tüte mit den Souvenirs öffnete, fand ich darin Bier. Es war zwar kein Weizenbier, aber trotzdem süffig.

Eine Künstlerresidenz steht nicht für ein System, das sich allein um den Aufenthalt und das Schaffen von Künstler*innen kümmert. Wenn sich Menschen versammeln, sich ihre Herzen öffnen und sie miteinander kommunizieren, entsteht eine Form von Gemeinschaft. Wie für Brigitta wurde zum Beispiel auch für die im Herbst 2021 am Kyoto Experiment (Kyoto International Performing Arts Festival) teilnehmende Begüm Erciyas der Aufenthalt in der Villa Kamogawa zum Anlass, Werke in Kyoto zu präsentieren. Dies gilt auch für andere Stipendiat*innen. Die Villa Kamogawa hat viel Hervorragendes geleistet.
Unterhaltungen können zwar auch mit Wasser und Kaffee gefördert werden, doch kommt jemandem, der gerne zecht und bechert, das Angebot von Alkohol schon sehr entgegen. Natürlich sind Politik und Wirtschaft wichtig. Aber an Kultur und Kunst Interessierte erfreuen sich mehr an Kunst, Musik und Theater. Die Villa Kamogawa, die uns mit gutem deutschen Bier, hervorragender Kunst und heiteren Gesprächen beschenkt, ist zu einer für Kyoto unersetzbaren wichtige Institution geworden.


 

Deutsche Übersetzung: Isolde Kiefer-Ikeda