„Das Leben auf der Praça Roosevelt“ von Dea Loher

Das Leben auf der Praça Roosevelt
Foto: Marius Macevičius, menufaktura.lt

„ 'Es wurde uns allen sehr früh beigebracht, wie man das Nagelbrett akzeptiert, das das Leben hingestellt hat.' Die Praça Roosevelt ist ein Platz im Herzen von São Paulo: Büros, Bordelle, Kneipen, eine Bingohalle, eine Änderungsschneiderei... Der arbeitslose Raimundo, genannt Mundo, hat sich einfach auf diesen Platz gesetzt und ist dort sitzen geblieben.
Eine schwarze Plastiktüte bedeckt ihn fast vollständig, manchmal raucht er eine Zigarette. Auf dem Platz und bei Mundo, der gut zuhören kann, überschneiden sich meist zufällig und oft nur flüchtig die Lebensgeschichten der einzelnen Figuren: Hier beginnt die Geschichte des Polizisten, der keine schmutzigen Geschäfte machte und eines abends seinen Sohn beim Dealen sieht. Hier trifft sich die krebskranke Sekretärin Concha mit ihrer besten Freundin Aurora, einem Transvestiten. Der Chef von Concha, ein Waffenfabrikant, der alle Mitarbeiter entlassen hat, verliebt sich hier in Bingo. Außerdem begegnen wir hier einem Mann mit Anzug, Koffer und Handy, der doppelten Maria, Bibi, einem Mann mit Elefantenkrankheit, dem überirdisch schönen Transvestiten Susana, einer Frau mit Knochen...

Dea Lohers Stück beschreibt das Leben in einer Großstadt, in der alle einsam sind und doch aufeinander aufpassen. Doch als ein Ehepaar am Fenster auf dem Platz so etwas wie einen schwarzen Schwan sieht, kündigt sich das unheilvolle Ende der Suche eines Vaters nach seinem Sohn an.“
(Thalia Theater Hamburg)

Stimmen zur Inszenierung in Litauen

Das Stück von Dea Loher fließt geradezu über vor Erzählungen und Monologen. Statt die Handlung anzutreiben, wirken sie auch oft als Bremse – etwas monotone, sich oft wiederholende Variationen (ein und) desselben Zustands. Es ist nicht leicht, ihnen zuzuhören, wenngleich der Wunsch des Regisseurs, den Text nicht zu kürzen und die Figuren sich aussprechen zu lassen, um auf diese Weise ihren gesamten Reichtum mit all dem Schmerz und der Einsamkeit bloßzulegen, der Inszenierung eine gewisse gelassene, sogar hypnotisierende Art der Entfaltung verleiht. Andernfalls wären wir kaum in der Lage zu begreifen, wie schwer und gleichzeitig kostbar jede verstreichende Stunde oder Minute ist, die auf den ersten Blick leer und sinnlos scheint, aber unbezahlbar ist, wenn man Abschied nehmen muss.
(Rasa Vasinauskaitė „Das Leben auf der Praça Roosevelt“, 7 meno dienos, 18.01.2008)

Die Figur im „Leben auf der Praça Roosevelt“ ist eine undefinierte Größe, eingerahmt durch Bruchstücke aus Lebensgeschichten, Erinnerungen und Wiederholungen. Die Wiedergabe bruchstückhafter, jeglicher Kausalität trotzender Lebensgeschichten stellt die Schauspieler in diesem Stück vor eine schwierige Aufgabe. Die erzählerische Technik und eine auf fragile Distanz basierende Schauspielkunst gehören nicht zur starken Seite der litauischen Schauspielschule. Der vielschichtige Stil des Stücks wirkt sich auch auf die Rollen aus – die Charaktere des Stücks sind Wirrware verschiedener Möglichkeiten: physische Erinnerung, die Vorahnung eines Traumas, demonstratives Erzählen und der Widerhall einer zarten psychologischen Tiefe. Um diese Vielschichtigkeit zu „auszugleichen“, versuchen die Schauspieler, ihre Rollen auf jeweils eine Ebene zu reduzieren; dabei schlagen sie manchmal sogar einen komischen Stil an, karikieren ihre eigenen Figuren und machen aus ihnen lächerliche Sonderlinge.
(Jurgita Staniškytė „Verloren zwischen Ursache und Wirkung“, Kultūros barai, 2008, Nr.3)

Inszenierung in Litauen

Premiere 11.01.2008
Regie Gintaras Varnas
Bühne Gintaras Makarevičius
Musik Marius Baranauskas
Mit Sigitas Šidlauskas, Viktorija Kuodytė, Dainius Svobonas, Asta Baukutė, Gytis Ivanauskas, Aurelija Tamulytė, Daiva Stubraitė, Eimutis Kvoščiauskas, Ričardas Vitkaitis, Tomas Erbrėderis, Vilija Grigaitytė, Vainius Sodeika, Ainis Storpirštis.
Übersetzung Jūratė Pieslytė