„Philoktet“ von Heiner Müller

Philoktet
Philoktet, © Marius Macevičius

„Philoktet“, geschrieben 1958/1964 und uraufgeführt 1968 am Münchner Residenztheater, ist eines der bekanntesten und wichtigsten Stücke des Autors. „Die griechische wie die deutsche Version des tragischen Lebens von Philoktet zeigen deutlich, dass die Sprache der Partner des Todes ist. Man hört ihn als ein dunkles musikalisches Branden im Epos, aus dem das Ensemble der großen griechischen Tragödien hervorgeht. Man hört ihn auch, nicht nur in seinem Philoktet, im Ensemble der Stücke von Müller. Wenn es sich nicht um eine Komödie handelt, ist das Theater ein Akt des Tötens – wie der Stierkampf. Das Instrument, das Werkzeug dieser Tötung ist das Wort. Diese Macht zeigt sich nirgends so radikal, so klinisch wie in diesen beiden Werken.“

Stimmen zur Inszenierung in Litauen

Am folgenden Tag fand in der "Kunstdruckerei" (Menų spaustuvė) eine skizzenhafte Lesung der „Philoktetes“-Inszenierung von Jonas Jurašas statt, der nahezu gleich alt wie Gotscheff und in Sachen Emigration noch erfahrener ist. Wenngleich dieses frühe Stück von Müller, in dem die drei Helden der Antike Philoktetes, Neoptolemus und Odysseus miteinander um drei Positionen streiten - Vergebung, Rache und Nutzen - von viel einfacherer Gestaltung ist, fällt es im Grunde schon schwer, den primären Handlungsstrang zu verstehen, ganz zu schweigen von den Verweisen auf die Mythen des Trojanischen Krieges und die verschiedenen Weltanschauungen der Handelnden.
(Vaidas Jauniškis „Savipakankamumo sindromas“, LR „Kultūros savaitė“, 24.07.2010)

Gemessen an der Lebenserfahrung scheint der Regisseur sich mit Philoktet, dem Vertriebenen zu identifizieren. Bewusst oder unbewusst jedoch hat der Regisseur die Figur verzerrt: diese wirkt sehr pompös, ihre Art zu sprechen und die Gesten verschärft. Das Karikieren der Philoktet-Figur macht viel Sinn: na gut, du bist ein Opfer, du wurdest verlassen und vertrieben, aber come on, get over it – zehn Jahre sind vergangen, hör auf zu klagen, lebe weiter. Wenn du dich aus deinem Groll nicht befreist, schadest du nur dir selbst.
(Marija Liepa „Dein Philoktet und mein Philoktet: von Verantwortung und Ethik“, www.suru.lt, 12.09.2010)

Szenische Lesung in Litauen

Premiere 30.05.2010
Regie Jonas Jurašas
Mit Saulius Bareikis, Dainius Gavenonis, Eglė Mikulionytė
Übersetzung Antanas A. Jonynas