100 Jahre Bauhaus
Bauhaus-Einflüsse in Lettland

Entwurf für die Einrichtung des Lehrerzimmers und Modell des Erweiterungsprojekts für die Schule in Zvejniekciems (das Erweiterungsprojekt wurde nicht realisiert), 1963. Architektin – Marta Staņa.
Entwurf für die Einrichtung des Lehrerzimmers und Modell des Erweiterungsprojekts für die Schule in Zvejniekciems (das Erweiterungsprojekt wurde nicht realisiert), 1963. Architektin – Marta Staņa. | Foto: Sammlung des Kulturzentrums Saulkrasti

Von Ieva Zībārte

Bauhaus-Einflüsse sind in der heutigen Welt so selbstverständlich, dass wir sie oft gar nicht bemerken. Selbst das Design unseres Lieblingssmartphones basiert auf Bauhaus-Ideen. Lettland bildet da keine Ausnahme, insbesondere in der Architektur.

Neue Forschungen und Ausstellungen, die weltweit noch immer das hundertjährige Jubiläum des Bauhaus feiern, waren ein guter Anstoß, auch die Geschichte der Architektur und des Designs in Lettland neu zu betrachten. Das Wichtigste dabei ist, dass es so viel zu erforschen gibt! Über männliche Architekten in Lettland wurde schon viel geschrieben. Über die faszinierende Lidija Hofmane-Grīnberga, nach deren Entwürfen in der Zwischenkriegszeit mindestens 180 Gebäude errichtet wurden, ist jedoch nur sehr wenig bekannt. Sie setzte ihre Ideen aus der Bauhaus-Zeit frei und schnell mit kommerziellem Erfolg um, indem sie ihr eigenes Büro eröffnete und eine unabhängige Arbeitsweise etablierte. Leider wissen wir nichts über das Schicksal der Architektin nach ihrer Zwangsrepatriierung nach Deutschland Ende der 1930er Jahre. Auch über andere Architektinnen, die in den Jahren des Modernismus zwischen 1920 und 1930 in Lettland ausgebildet wurden und arbeiteten, gibt es keine Forschungsergebnisse.

Von Riga nach Paris und Dessau

Die Aufmerksamkeit der Forscher für Bauhaus-Studentinnen und Frauen in Design und Architektur hat eine bisher unbekannte Rigenserin ans Licht gebracht – Ļjuba Monastirski. Die 1906 in Riga geborene Ļjuba wuchs in einer Zeit auf, in der sich der neu gegründete lettische Staat rasch vom Ersten Weltkrieg erholte. Mit dem Fortschritt in Europa wurden auch in Lettland Neuerungen eingeführt – Museen wurden gegründet, neue Bildungseinrichtungen eröffnet, Schulen und Krankenhäuser gebaut. Die Modernisierung spiegelte sich auch in der Kultur wider – in der Architektur, der Kunst und auf der Theaterbühne. 1925 kehren die Künstler der progressiven Porzellanmalerei-Werkstatt Baltars mit Medaillen von der Internationalen Ausstellung für dekorative und industrielle Kunst in Paris zurück. Dutzende von Publikationen in allen Sprachen Rigas mit moderner Grafik und Illustrationen erscheinen. Es ist nicht verwunderlich, dass Ljuba, angeregt durch diese Entwicklungen, ein ebenso inspirierendes Studienumfeld sucht und 1926 nach Dessau kommt.
 

Ljuba lernt in einer Weberei. Ihr Gesicht mit der runden Brille ist auf mehreren berühmten Fotos der Bauhaus-Gruppe zu erkennen. Darunter auch ein Foto aus dem Jahr 1928, auf dem die Leiterin der Weberei, Gunta Stölzl, mit ihren Schülerinnen auf der Treppe der Dessauer Schule posiert. Ljuba schloss die Schule 1930 ab und begann nach einem lehrreichen Praktikum in der Textilfabrik Pausa AG eine erfolgreiche Karriere in Deutschland. Als die Verfolgung der Juden begann, kehrte Ljuba nach Lettland zurück, wo sie ihr eigenes Textilunternehmen gründete. Die Rückkehr in ihre Heimat schützte die junge Frau jedoch nicht. Ihr vielversprechender Start als Designerin und ihre Arbeit fanden 1941 ein grausames Ende, als Ļjuba im Rahmen des Massenmords an Juden im Wald von Rumbula erschossen wurde.

Erfolgreiche Architekten

Das Schicksal der lettischen Modernisten verlief unterschiedlich. Es gab erfolgreiche Architekten wie  Aleksandrs Klinklāvs, der vor dem Krieg und den Repressionen ins Exil floh und über deutsche Vertriebenenlager nach Kanada und später in die USA gelangte. Dass Klinklāvs „der herausragendste Architekt seiner Zeit” war, der „im Stil des Bauhaus” arbeitete, bestätigten auch seine Kollegen in seinem Nachruf von 1982.
 

Wenn Sie nur eine Stunde Zeit in Riga haben, lohnt es sich, einen architektonischen Spaziergang zum Stadtteil Grīziņkalns zu machen, wo mehrere Werke von Klinklāvs mit Bauhaus-Einfluss zu sehen sind. Zum Beispiel den vom Lettischen Roten Kreuz in Auftrag gegebenen Gebäudekomplex mit einer orthopädischen Werkstatt in der Pērnavas iela 62 und die Schule für barmherzige Schwestern in der Jāņa Asara iela 5. Ebenso das Bürogebäude der Schokoladenfabrik von Vilhelms Ķuze in der Artilērijas iela 55, wo wir sowohl die für den Bauhaus-Stil charakteristische asymmetrische Anordnung der Gebäudeteile, die der Funktion folgt, als auch die Betonung der horizontalen Linien und die klassischen Bauhaus-Balkone sehen können – ein hervorragender Ort für ein unbeschwertes Gruppenfoto! Einen ähnlichen Balkon wie die Bauhaus-Meister für ihre Villen in Dessau entwarf Klinklāvs auch für das Haus des Künstlers Konrāds Ubāns in Pārdaugava. Dieses Gebäude wurde jedoch nie fertiggestellt und später abgerissen.

Als es noch keinen Namen für Design gab

Das Bauhaus wurde in der lettischen Presse zu allen Zeiten erwähnt, darunter auch in der beliebten deutschsprachigen Tageszeitung Rigasche Rundschau, die sowohl den Umzug der Schule von Dessau nach Berlin als auch ihre Schließung im Jahr 1933 erwähnte. Auch während der sowjetischen Besatzungszeit wurde über das Bauhaus geschrieben, insbesondere über Design als integrierte und multidisziplinäre Praxis. Für das, was das Bauhaus war und was heute als Design bezeichnet wird, gab es damals noch keinen Namen, so dass das Bauhaus sowohl eine „experimentelle Bildungseinrichtung” als auch der „Bauhaus-Stil”, „künstlerisches Entwerfen”, „künstlerisches Konstruieren” und „technische Ästhetik” war.

Der integrierte Ansatz, bei dem Innenarchitektur, Design und Kunst der Architektur untergeordnet sind, manifestierte sich in Lettland am deutlichsten in den 1960er- und 1970er-Jahren. Dies ist auch die Zeit, in der Lettland massiv industrialisiert wurde. Staatliche Planungsbüros waren tätig(während der Sowjetzeit war es nicht möglich, private Architektur- und Designbüros zu gründen), in Fabriken wurden Designbüros eingerichtet, die  als Büros für künstlerische Konstruktion bezeichnet wurden, und es wurden Innenarchitektur- und Designprogramme an Kunst- und Designschulen und Hochschulen eingerichtet. Es war eine Zeit aggressiver Entwicklung, aber die für Architekten typische Begeisterung und Humanität trugen dazu bei, bedeutende und für die Architekturgeschichte bleibende Projekte zu schaffen. Eines davon war das ehemalige Fischerdorf Zvejniekciems, wo die Architektin Marta Staņa bereits in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zusammen mit anderen Gebäuden mit dem Entwurf einer modernen Schule begann. Entsprechend der Bauhaus-Tradition entwarf sie nicht nur die Architektur, sondern auch das Gelände und die Möbel und integrierte Natur und Kunst in Zusammenarbeit mit Studenten von Designschulen.

Sorge um Menschen und Gemeinschaft

Der Geist der Bauhaus-Gemeinschaft in Lettland wird am besten durch die strategische Initiative der Europäischen Kommission „Das neue Europäische Bauhaus” verkörpert, die Kommunen, Unternehmer und Bürgergemeinschaften dazu mobilisiert hat, verlassene Gebäude oder vernachlässigte Orte wiederzubeleben. Ob es sich nun um das historische Zentrum von Aizpute, ein kleines Haus in Pitrags, ein Theater in Valmiera, ein Wissenschaftszentrum in Riga oder ein riesiges ehemaliges Militärgelände in Alūksne handelt, versammeln sich wie vor hundert Jahren unter dem Banner des Bauhauses Gleichgesinnte – Optimisten und Protagonisten einer idealen Zukunft.
 

Top