Tauschkultur
Eine Bibliothek der Dinge

© Jonathan Bookmeyer

Muss man wirklich kaufen und besitzen, was man nur selten braucht? Der Leila Leihladen in Leipzig ist ein Gegenentwurf zur Überflussgesellschaft.

Von Text: Isabel Galindo; Video: Philipp Schüller und Isabel Galindo

10.000 Objekte soll ein Europäer im Durchschnitt besitzen. Ist das der normale Wohlstand oder leben wir im Überfluss? Spätestens beim nächsten Umzug stellt man wieder fest, welch ein Sammelsurium an Dingen man über die Jahre anhäuft. Das Zelt liegt die Hälfte des Jahres im Keller, die Brotbackmaschine ist nur einmal im Monat in Aktion und auch das Federballset bewacht die meiste Zeit die Abstellkammer. Aber auch Erinnerungsstücke sind die üblichen Verdächtigen, die sich oft über Jahre hinweg einen Platz im Keller oder auf dem Dachboden sichern. Blickt man auf seinen Besitz, stellt man fest, dass man nur einen Bruchteil wirklich nutzt. Da stellt sich die Frage: Muss man wirklich kaufen und besitzen, was man selten braucht?

Benutzen statt besitzen

„Platzklauer, Staubfänger und Geldfresser“ nennen Lars und Jana Gegenstände, die ungenutzt in Kellern verstauben. Die Idee, dass es Alternativen zum Überfluss geben muss, führte das Paar 2014 dazu, in Leipzig eine Bibliothek der Dinge zu eröffnen. Kurzerhand schufen sie einen Ort zur gemeinschaftlichen Nutzung von Gegenständen.
 
  © © Jonathan Bookmeyer Leila Leihladen © Jonathan Bookmeyer

Denn in den Regalen des Leila Leihladens entfliehen die Gegenstände dem Elend des Vergessens: Rucksäcke sind öfter unterwegs, Bohrmaschinen mehrmals in Aktion und auch Reiseführer landen nach abgeschlossener Reise nicht im Regal, sondern gelangen in neue, abenteuerlustige Hände. „Wir möchten, dass sich Menschen Gedanken über den Konsum machen“, erklärt das junge Paar. „Man muss nicht alles neu kaufen, sondern kann auch gemeinschaftlich konsumieren“. Für einen monatlichen Beitrag von drei Euro kann man bei Leila Mitglied werden und die bereitgestellten Gegenstände für maximal eine Woche ausleihen. Damit der Pool größer wird, soll jedes neue Mitglied einen neuen Gegenstand in das Sortiment einbringen. „Wir wollen Inspiration sein, nicht an Gegenständen zu hängen, sondern das Nutzen von Gegenständen zu teilen“.

Vom Prozess der Befreiung 

Auf der Website von Leila prangen Ausrufe und Aufforderungen wie: „Befrei dich!“ oder „Besitzen wir was uns gehört oder besitzt es uns?“
 
„Leila ist für mich eine Art Therapie und soll auch für die anderen eine Inspiration sein, sich von Dingen zu befreien“, beschreibt Jana ihre Motivation. „Mich macht es glücklich zu sehen, dass andere Menschen Glücksmomente erleben und mit leuchtenden Augen den Laden verlassen, wenn sie genau den Gegenstand finden, den sie gerade gesucht haben“, schwärmt sie. Doch auch Jana hat hin und wieder Probleme, sich von Dingen zu trennen. Besonders, wenn ein heiß geliebtes Erinnerungsstück weg soll. Aber auch hier ist eine Lösung gefunden. „Ein Foto in der Schreibtischschublade reicht, um die Erinnerung an dieses Objekt festzuhalten“, verrät sie lachend. Für sie bleiben somit die Erinnerungen im Kopf und im Herzen.

Leila als Gemeinschaft und Begegnungsort

  © © Jonathan Bookmeyer Leila Leihladen © Jonathan Bookmeyer
Aber nicht nur der Prozess der Befreiung steht im Vordergrund. Lars und Jana bezeichnen den Leila Laden auch als einen Prozess zurück zu mehr Gemeinschaft. Gegenstände mit anderen zu teilen, macht nicht nur die Nutzer glücklich, sondern auch diejenigen, die sich von dem Gegenstand getrennt haben und damit anderen geholfen haben. Über den geteilten Gegenstand können Gespräche und ein Gemeinschaftsgefühl entstehen, das einen Gegenentwurf zur Ellenbogengesellschaft bietet.
 
„Das Gemeinschaftsdenken ist unserer Meinung nach in der heutigen Gesellschaft verloren gegangen. Wir kennen die Nachbarn nicht und laufen in den Baumarkt, anstatt jemanden anzusprechen“, sagen sie. Die Idee ist es auch, eine Gemeinschaft aufzubauen, die Leute aus verschiedenen Gesellschaftsschichten zusammenführt. Jana und Lars sind davon überzeugt, dass das auch in einer Großstadt wie Leipzig möglich ist.
 
Aber nicht nur in Leipzig und Berlin gibt es Projekte dieser Art, sondern auch in vielen anderen europäischen Städten. Im Sommer ziehen die beiden los und besuchen die Projekte. „Wir nehmen die Leihläden als Reiseziele“, erklärt mir Lars. In diesem Jahr geht es erstmal nach England, und letztes Jahr waren die beiden in Slowenien. „In Ljubljana kann man sich sogar ein Brautkleid ausleihen“, erzählt er lachend.
 
Dieser Artikel erschien zuerst bei goethe.de/tudoalemao, tschechische Übersetzung: goethe.de/jadu.

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