Erinnerungskultur
Das Pathos vermeiden

Holocaust-Mahnmal | Berlin
Holocaust-Mahnmal | Berlin | Foto (Ausschnitt): Marko Priske

Deutsche Städte sind voller Erinnerungsorte. Allerdings hat sich die Memorialkultur nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und nach der Wiedervereinigung 1989 grundlegend gewandelt.

Denkmale früherer Jahrhunderte sind zumeist Standbilder, etwa das Stadtrecht symbolisierende Rolandstatuen vom 14. bis 17. Jahrhundert oder an römischen Vorbildern orientierte Reiterstandbilder von Feldherren und Fürsten. Ihnen folgten Goethe- und Schiller-Statuen im Zeitalter der deutschen Klassik. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg und der Reichsgründung 1871 und feierte sich die Nation mit einer Vielzahl patriotischer Siegerdenkmale. Insbesondere der Bismarck-Kult fand in 146 Bismarcktürmen und -säulen und weiteren 550 Denkmalen seinen Ausdruck.

Deutsche Städte sind voller Erinnerungsorte. Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich allerdings häufig ihr Charakter. Statt auftrumpfender Siegerdenkmale entstanden vielfach Orte zu Ehren der, wie es hieß, heldenhaft gefallenen Soldaten. Nach dem Ende des verheerenden Zweiten Weltkrieg verspürte man kaum noch Bedürfnisse zur Heldenverehrung und fügte vielerorts den vorhandenen Denkmälern einfach weitere Namenstafeln der gefallenen Mitbürger hinzu.

Mahnmal statt Denkmal

Denkmale, die den Nationalstolz oder herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft feiern, sind mittlerweile nicht mehr opportun. Anstelle von Denkmalen dieser Art entstehen Mahnmale gegen den Krieg, gegen Vertreibung und Völkermord. Seit etwa Mitte der 1970er-Jahre die Aufarbeitung der Verfolgung und Ermordung der Juden Europas begann, wurden mehr und mehr Gedenkstätten zu dieser Thematik errichtet, zuletzt das Berliner Holocaust-Mahnmal. An vielen Orten präsent sind die „Stolpersteine“: kleine, messingglänzende, mit Namen versehene Pflastersteine. Sie liegen vor den Häusern, in denen die hier Benannten einst gewohnt haben, bevor sie Opfer nationalsozialistischer Verfolgung wurden. In einem in anderen Ländern kaum denkbaren Maße thematisieren die Deutschen ihr eigenes politisches und moralisches Versagen während der NS-Diktatur mittels Mahn- und Gedenkstätten.
 
  • Holocaust-Mahnmal | Berlin Foto: Marko Priske

    Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin 2005. Das von dem amerikanischen Architekten Peter Eisenman gestaltete Holocaust-Mahnmal ist als zentraler Gedenkort in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tors zum Publikumsmagneten geworden. Es besteht aus einem Feld von 2711 unterschiedlich hohen, zum Teil schräg stehenden Betonstelen und einem unterirdischen Ort der Information, in dem die Geschichte der Judenverfolgung veranschaulicht wird.

  • Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas Foto: Marko Priske

    Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, Berlin 2012. Der israelische Künstler Dani Karavan entwarf den Erinnerungsort im Stadtteil Tiergarten als kreisrundes, tiefschwarzes Wasserbecken mit einer dreieckigen Insel, auf der immer eine frische Blume abgelegt wird. Glastafeln mit eingeschriebener Chronologie des Völkermords umfrieden das Areal.

  • Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde Foto: Marko Priske

    Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde, Berlin 2014. Zunächst wurde eine nahe der Philharmonie postierte, aus zwei rostenden Stahlplatten bestehende Monumentalskulptur des amerikanischen Künstlers Richard Serra aus dem Jahr 1986 zum Mahnmal umgewidmet. 2014 entstand nach dem Entwurf von Ursula Wilms und Heinz W. Hallmann als Ergänzung eine hellblaue Glaswand und ein lang gestrecktes Betonpult mit Informationstexten und Videostationen.

  • Stolpersteine Foto: Karin Richert

    Stolpersteine. Vor den jeweiligen Wohnhäusern auf dem Gehweg eingelassen sind die „Stolpersteine“ zu finden, mit denen der Künstler Gunter Demnig an zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgte und ermordete Hausbewohner erinnert. Von den quadratischen Messingplatten mit von Hand eingeschlagener Beschriftung sind seit 1992 in Deutschland und in 20 weiteren europäischen Ländern 60.000 Stück verlegt worden.

  • Zum Gedenken an die politisch Verfolgten in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR zwischen 1945 und 1989 Foto: Kristian Philler

    Zum Gedenken an die politisch Verfolgten in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR zwischen 1945 und 1989, Jena 2010. Das Denkmal fand vor der ehemaligen Außenstelle Jena des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit seinen Platz. Nach einem Entwurf der Künstler Sibylle Mania und Martin Neubert wurden auf einer Stahlplatte 285 Aktenbehälter aus gefärbtem Beton gestapelt, die auf die seelenlose verwaltungstechnische Perfektion der Verfolgung von Regimegegnern verweisen.

  • Denkmal für Freiheit und Einheit © Milla & Partner

    Denkmal für Freiheit und Einheit, Berlin. Der von der Eventagentur Milla & Partner und der Choreografin Sasha Waltz gestaltete Entwurf „Bürger in Bewegung“ soll am Ort des früheren Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals vor dem Schloss errichtet werden. Eine begehbare Schale wird sich, je nach Aktion der Besucher, auf und ab bewegen. Das „Einheitswippe“ genannte Bauwerk ist nach wie vor umstritten.

  • Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn Foto: Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn

    Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. Auf der 7,5 Hektar großen Anlage an der A 2, einst der wichtigste Grenzübergang zur DDR, können ehemalige Transitreisende heute einen Blick hinter die Kulissen werfen und die Passbearbeitung, die Fahrzeugkontrollen und internen Diensträume besichtigen. Im ehemaligen Stabsgebäude informiert eine Dauerausstellung über die Geschichte des Kontrollpunkts.

  • Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen © Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen/Gvoon

    Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen, Berlin 1994, 2013. Das zentrale Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit war der berüchtigtste Ort des DDR-Unrechtsstaats. Die Vernehmungsräume und Zellen, in denen die Gefangenen durch spurenlose „weiße Folter“ psychisch gebrochen wurden, sind in ihrer ganzen beklemmenden Banalität und Freudlosigkeit erhalten. Der Architekt HG Merz hat die Baulichkeiten und die Ausstellung sensibel zu einem eindrücklichen Gedenkort gestaltet.

  • Ehrenmal der Bundeswehr Foto: Bundeswehr/Bienert

    Ehrenmal der Bundeswehr, Berlin 2009. Der Architekt Andreas Meck errichtete auf dem Gelände des Bundesverteidigungsministeriums dieses von außen zugängliche Ehrenmal in Form eines Betonquaders mit durchbrochenen, bronzenen Seitenwänden. Im Inneren werden die Namen von 3100 im Dienst ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen im Fünfsekundentakt an die Wand des „Raums der Stille“ projiziert.

  • Wald der Erinnerung Foto: Bundeswehr/Hannemann

    Wald der Erinnerung, Potsdam 2016. Die von Rüthnick Architekten gestaltete Anlage zum Gedenken an im Ausland gefallene Bundeswehrsoldaten ist in den Baumbestand der Kaserne des Einsatzführungskommandos eingebettet. Ein 150 Meter langer Weg mit einem Ausstellungsgebäude am Beginn und einem Raum der Stille am Ende ist gesäumt von sieben Stelen mit Gedenktafeln und von Ehrenhainen, die von den ausländischen Einsatzorten der Bundeswehr zurückgeführt wurden.

Die jüngeren Mahnmale versuchen mit ihrer Typologie und Gestaltung, Gefühle von Bedrohung, Entwurzelung und Hoffnungslosigkeit zu vermitteln und erinnern mal symbolisch, mal konkret durch Szenarien mit Eisenbahnwagen, Reisegepäck und dergleichen an Verschleppung und Vernichtung. Dabei weitete und differenzierte sich der Blick im letzten Jahrzehnt. Nach den zahlreichen, an die Schicksale jüdischer Mitbürger erinnernden Gedenkorte wurden jüngst solche errichtet, die etwa an verfolgte Sinti und Roma, Homosexuelle sowie Euthanasieopfer erinnern.

Erinnerung Wachhalten

Neuen Anlass zum Gedenken gab die deutsche Wiedervereinigung. Allerdings hat man sich bislang weder in Leipzig am Ort der Montagsdemonstrationen 1989, noch in der Hauptstadt Berlin auf Einheitsdenkmale einigen können. Einfacher schien es, die Erinnerung an den Unrechtsstaat DDR wachzuhalten. Das Mauermuseum in Berlin versucht, die unmenschlichen Sperranlagen zu veranschaulichen, obwohl diese nach der Wende fast restlos getilgt wurden. Der Grenzübergang an der A2 zwischen Braunschweig und Magdeburg, seit 1996 „Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn“, wurde zum Ort der Erinnerung und der historisch-politischen Bildung. Ehemalige Einrichtungen und Gefängnisse der DDR-Staatssicherheit von Rostock bis Erfurt sind als Dokumentations- und Gedenkstätten geöffnet, allen voran das berüchtigte Stasiuntersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen und das Stasimuseum im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit.   
 
Die Aufarbeitung des NS-Unrechts und der SED-Diktatur gehören zu den Förderungszielen der Bundesregierung. Andere politische Themen und die aktuellere politische Geschichte wie etwa die europäische Einigung sind weniger präsent und werden durch Erinnerungsstätten nur selten thematisiert.

Zwei Denkmale jüngeren Datums mit militärischem Bezug weisen neue Formen auf: Auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums in Berlin steht seit 2009 das zentrale Ehrenmal der Bundeswehr zum Gedenken an die im Dienst umgekommenen Bundeswehrangehörigen. „Wald der Erinnerung“ heißt ein Gedenkort bei Potsdam, der den in Auslandseinsätzen der Bundeswehr ums Leben gekommenen Soldaten gewidmet ist.
 
Den jüngeren Denk- und Mahnmalen ist gemeinsam, dass ihre Architektur durch Zurückhaltung und schlichte Gestaltung jegliches Pathos vermeidet. Sie symbolisieren nicht Nationalstolz und Herrschaftsansprüche und sind nicht gegen andere Völker gerichtet, sondern sie haben einen moralischen Bildungsauftrag. Sie sollen Einsicht und Demut vermitteln und an Toleranz und Menschlichkeit appellieren.

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