Kulturarbeit von Flüchtlingen
Training für die sozialen Muskeln

Im „Social Muscle Club“ erhalten Teilnehmer Einblicke in fremde Kulturen;
Im „Social Muscle Club“ erhalten Teilnehmer Einblicke in fremde Kulturen; | Foto (Ausschnitt): © the photographers

Kochkunst, Musik oder fremde Sprachen: Geflüchtete ermöglichen Menschen in ihrem Aufnahmeland Einblicke in fremde Kulturen. In Deutschland integrieren viele Projekte Flüchtlinge deshalb in die kulturelle Arbeit.

Sport ist gesund, hält fit und gibt dem Körper Kraft. Wer also Muskeln aufbauen will, geht joggen, schwimmen, Fußball spielen. Aber wie trainiert man eigentlich seine sozialen Muskeln – das, was es braucht, um trotz Scheu und Unsicherheit in Kontakt mit Fremden zu kommen? Die Frage stellt sich umso häufiger, seit viele Menschen in Deutschland Zuflucht suchen – die meisten von ihnen aus Syrien, Irak und Afghanistan. Brücken bauen zwischen Geflüchteten und „Einheimischen“, das wollen darum mehr und mehr Kunst- und Kulturprojekte.

Die Macher des performativen Formats „Social Muscle Club“ (SMC) haben dafür sogar ein Fitnessprogramm entwickelt. Ohne Zwang und Steifheit wird hier jeder Teilnehmer motiviert, Fremde aus der eigenen Heimat und Geflüchtete unterschiedlicher Herkunft in verspielter Atmosphäre kennenzulernen.

Ein Geben und Nehmen

Etwa alle zwei Monate verwandelt der SMC die Berliner Sophiensæle in einen wie für eine wilde Hochzeitsparty geschmückten Festsaal. Auf der Bühne bieten Musiker, Sänger und Performer Trainingsunterstützung – und das inzwischen dreisprachig auf Deutsch, Englisch und Arabisch. Denn das 2012 gegründete Team hat sich um viele Neu-Berliner aus dem Ausland erweitert. Auch ein junger Mann aus Syrien moderiert nun, die angebotenen kulinarischen Köstlichkeiten hat ein syrisches Paar zubereitet, viele im Publikum kommen aus Ländern, in denen Krieg herrscht.

Das Prinzip des SMC ist denkbar simpel: Jeder Gast wird an einem Tisch mit ihm unbekannten Sitznachbarn platziert und schreibt einen persönlichen Wunsch auf einen Zettel und etwas, das er geben möchte. So treffen „Biete einen syrischen Koch-Abend“ oder „Gebe einen Crashkurs in Obertongesang“ auf „Suche eine Erdbeerpflanze für meinen Balkon“ oder „Hätte gerne eine Deutschstunde“. Möchte am Tisch jemand einen Wunsch erfüllen oder ein Angebot annehmen, ist das ein „Match“ – und zwei vorher völlig Fremde tauschen Nummern aus. Innerhalb weniger Stunden lernen sich so Menschen aus aller Welt kennen – wer Geflüchteter ist und wer nicht, spielt keine Rolle.

Sprachen, die jeder versteht

An einer der Tafeln sitzt auch Mohamad Al Halabi. Der 25-Jährige wird am Ende des Abends  mit syrischen und deutschen Tänzern über den Boden der Sophiensæle wirbeln. „Dort wo ich herkomme, sagen manche, Tanzen sei nichts für Männer. Und um auf der Straße zu tanzen, brauchte man eine Erlaubnis der Regierung“, erzählt der aus dem syrischen Damaskus stammende Breakdance-Profi. Darum verließ er seine Heimat schon vor dem Bürgerkrieg Nach einem beschwerlichen Weg erreichte er Anfang 2016 Berlin, wo er bei einer Tanzparty für Geflüchtete in Kontakt mit dem SMC kam – und sich einer Tanzgruppe anschloss. „Die Idee für die heutige Choreografie war Integration“, sagt er. „Wer tanzt, kann auch ohne Sprache kommunizieren“.

Das passt in das Konzept des SMC: „Alles ist Übung – auch die Kontaktaufnahme mit Fremden“, sagt die aus den USA stammende Performerin Jill Emerson, die den SMC mit anderen Künstlern in einem Wohnzimmer ins Leben rief, bevor das Projekt 2013 in die Sophiensæle zog. „Aber wir wollten dem sozialen Training den Druck nehmen.“ An diesem Abend des unterhaltsamen Gebens und Nehmens geht die Idee auf. Es entsteht Raum für das, was Mohamad als sein Lebensmotto betrachtet: „Share if you care.“

Nach dieser Devise arbeiten immer mehr Kunst- und Kulturschaffende in Deutschland. Was dabei alles gedeihen kann, zeigt auch das Projekt Berlin Mondiale, das Partnerschaften vermittelt. Seit seinem Start 2014 hat es bereits Menschen aus 13 Geflüchteten-Unterkünften in Berlin mit einer Universität und 13 Kultureinrichtungen zusammengebracht.

Ein Stadtplan für gemeinsame Orte

Das Haus der Kulturen der Welt (HKW) hat in diesem Rahmen seit Herbst 2014 seine Türen für Geflüchtete aus der Unterkunft Haus Leo in Berlin Moabit geöffnet. „Nachdem wir ursprünglich Workshops mit den Kindern und Jugendlichen des Hauses machten, brach nach und nach auch das Eis mit den Eltern, immer neue Impulse folgten“, erzählt Leila Haghighat, Programmkoordinatorin im HKW. „So kamen wir 2015 gemeinsam auf eine Idee, die wirklich hilfreich ist: das digitale Stadtplanprojekt ‚Arriving in Berlin‘, das Berlin mit Blick auf die Erfahrungen und Bedürfnisse von Zufluchtsuchenden kartiert“, sagt Haghighat.

Eine Kerngruppe aus vier Geflüchteten – der afghanische Stadtplaner Hamidullah Ehrari, der syrische Kaufmann Alhadi Aldebs, der afghanische Übersetzer Mohammad Yari und der iranische Biotechnologe Farhad Ramazanali – entwickelten die Karte. Asylberater und mehrsprachige Ärzte sind ebenso verzeichnet wie Polizeistationen als Orte für Schutz und Bibliotheken als Anlaufpunkte für freies Internet, das in Asylunterkünften oft fehlt. Und die Karte, die inzwischen auf Arabisch, Farsi, Englisch und Französisch verfügbar ist, soll weiter entwickelt und um eine App ergänzt werden, um den Plan auch offline nutzbar zu machen. So wird der Raum für geteilte Erfahrungen und gemeinsame Orte weiterwachsen. Ganz nach dem Motto: „Share if you care“.

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