Kulturelle Bildung
„Kein Schulwissen vermitteln“

Das Projekt „Cinderella in a Box“ der Mittelschule am Winthirplatz in München beim Theaterfestival „Politik im Freien Theater“
Das Projekt „Cinderella in a Box“ der Mittelschule am Winthirplatz in München beim Theaterfestival „Politik im Freien Theater“ | Foto (Zuschnitt): ©Seitz/Bahro

Beim Festival „Politik im Freien Theater“ setzen sich Jugendliche mit politischen Themen auseinander. Was kann hier das Theater, was die Schule nicht kann? „Es bietet Gesprächsanlässe und eröffnet so einen guten Zugang“, sagt die Theaterpädagogin Anne Paffenholz.

Seit dreißig Jahren veranstaltet die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) das Theaterfestival „Politik im Freien Theater“. Bei der zehnten Ausgabe 2018 in München setzten sich über 800 Kinder und Jugendliche mit politischen Themen auseinander. Ein Gespräch mit der bpb-Referentin und Theaterpädagogin Anne Paffenholz.

Frau Paffenholz, Sie haben beim Theaterfestival „Politik im Freien Theater“ das Programm Jugend und Schule geleitet. Erstmals wurde ein so breit angelegtes Programm für Kinder und Jugendliche entwickelt. Wieso haben Sie das Angebot ausgeweitet? 

Beim vorangegangenen Festival in Freiburg 2014 hat sich gezeigt, dass es einen hohen Bedarf an Veranstaltungen für Lehrkräfte und Schüler gibt. Dieses Jahr haben wir in Zusammenarbeit mit vielen Partnerorganisationen und Künstlern politische und kulturelle Bildung verknüpft. Thema des Festivals war „Reichtum“ – dieses Themahaben wir mit den Schülern in seine einzelnen Bestandteile zerlegt und in Workshops, Ferienwerkstätten oder Schulprojekten neu zusammengesetzt. 
 
Wie genau kann man sich das vorstellen?

Die Kinder haben Filme erstellt, ein Theaterstück mit Menschen und Puppen erarbeitet, in Schaukästen Upcycling-Stories erzählt, aber auch Texte für Lieder geschrieben und diese aufgenommen – all das unter Anleitung von Künstlern. Es gab außerdem Stadtführungen, die Jugendliche an Plätze wie Selbsthilfestellen oder Brot- und Suppenausgaben führten.  
 
Was kann die Kulturform Theater für politische Bildung leisten, was Schule nicht kann? 

Themen werden im Theaterkontext nicht ausschließlich rational erarbeitet. Es läuft körperlicher ab, mithin auch emotionaler als im Schulunterricht. Theater bietet Gesprächsanlässe und eröffnet so einen guten Zugang, auch gerade für junge Menschen. Wir haben den Jugendlichen klargemacht: Wir wollen hier kein Schulwissen vermitteln und später abklopfen, wir erwarten keine Standard-Schulantworten, sondern möchten dazu animieren, dass ihr euch eine eigene Meinung bildet und die Meinungen der anderen zur Kenntnis nehmt. Das kam gut an, das haben wir an vielen Rückmeldungen gesehen.
 
Der Workshop „Millionäre von morgen“, geleitet unter anderem von der bpb-Referentin Anne Paffenholz Der Workshop „Millionäre von morgen“, geleitet unter anderem von der bpb-Referentin Anne Paffenholz | Foto: © Gianmarco Bresadola Der Workshop „Millionäre von morgen“, geleitet unter anderem von der bpb-Referentin Anne Paffenholz Der Workshop „Millionäre von morgen“, geleitet unter anderem von der bpb-Referentin Anne Paffenholz | Foto: © Gianmarco Bresadola Können Sie dazu ein Beispiel aus Ihrer Festivalarbeit geben? 

Ich habe selber mit einem Kollegen eine der Ferienwerkstätten geleitet, zum Thema „Millionäre von morgen“: Die Jugendlichen haben hier eine Art Live-Tutorial mit Textcollagen, Musik, Puppen- und Objekttheater erarbeitet und sich dafür intensiv mit der Bedeutung von Reichtum auseinandergesetzt. Ein Mädchen sagte: „Ach, ich will gar nicht reich werden. Reiche sind so unsympathisch.“ An solche Aussagen kann man anknüpfen, spielerisch in weitere Gespräche und die inhaltliche Auseinandersetzung gehen. 
 
Wie lauteten die Rückmeldungen, von denen sie eben sprachen?

Ein Lehrer sagte uns, wir wären mit unseren Mitteln so gut an die Jugendlichen herangekommen. So seien Diskussionen entstanden, die sonst nicht stattfänden. Von den Kindern wiederum hörten wir Aussagen wie: „Hier, in diesem Umfeld, macht mir Lernen Spaß.“ 
 
Teil des Festivalprogramms war ein Jugend-Workshop zum Thema „Transkulturelle Bildung in Zeiten kultureller Globalisierung“, den Sie in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut veranstaltet haben. Er sollte um „dieKultureinrichtung der Zukunft“ gehen. Mal ehrlich: Können Jugendliche etwas mit abstrakten Begriffen wie „Transkulturalität“ anfangen? 

Auf Anhieb können sie den Begriff sicher nicht einordnen. Aber wenn man es ihnen beschreibt, dann sehr wohl. Schülerinnen und Schüler müssen sich nur in ihrer Umgebung umsehen: Haben hier alle die gleiche Herkunftsgeschichte wie sie, die gleiche Sozialisation? Wie unterscheiden sie sich – und welche unterschiedlichen Bedürfnisse haben sie, gerade, was Kultur und Theater angeht? Uns war wichtig, dass sich die jungen Menschen bewusst werden, dass es viele unterschiedliche Lebensentwürfe und Biografien gibt, und wie sich dies im Kulturangebot abbildet.
Schüler bei der Abschlusspräsentation von „Millionäre von morgen“ Schüler bei der Abschlusspräsentation von „Millionäre von morgen“ | Foto: © Gianmarco Bresadola Schüler bei der Abschlusspräsentation von „Millionäre von morgen“ Schüler bei der Abschlusspräsentation von „Millionäre von morgen“ | Foto: © Gianmarco Bresadola Vielleicht auch, dass sie die Diversität zu schätzen lernen?

Sicher auch das. Ich kenne Transkulturalität ja aus meinem eigenen beruflichen Umfeld: In meinen Kulturprojekten und in der bpb arbeite ich mit Juristen, Kulturwissenschaftlern oder Musikern zusammen, die teils aus unterschiedlichen Ländern kommen. Das ist ungeheuer gewinnstiftend. Natürlich bringt transkulturelles Arbeiten auch Auseinandersetzungen mit sich und ist manchmal anstrengender, als in der eigenen Filterblase zu verharren. Aber die Gesellschaft braucht dieses Vermischen, diese Verschränkung von Perspektiven, Diskurs und Vielfalt. Den Kindern und Jugendlichen diese Vorteile zu vermitteln, ist mein Ziel. Ihnen über Theaterarbeit Perspektivwechsel zu erlauben und zu zeigen: Transkulturelles Miteinander kann einen nur weiterbringen.