Kinder und Jugendfilm Der Junge muss an die frische Luft

Ein Ausflug Foto: UFA Fiction GmbH

Mi, 18.03.2020

19:30 Uhr

Goethe-Institut Peru

Kohlestaub und Karneval

Basierend auf den Memoiren des Komikers Hape Kerkeling wird dessen Kindheit im von Kohlestaub und Karneval geprägten Ruhrgebiet erzählt, komisch, traurig und warmherzig zugleich. Früh schon hatte Hans-Peter (Hape ist die spätere Verkürzung) bemerkt, dass er die Gabe besitzt, andere Menschen zum Lachen zu bringen: Seine Großeltern, die Kunden in Omas Tante-Emma-Laden, die feierlustige Verwandtschaft, die Eltern der Mitschüler – nur an seiner depressiven Mutter arbeitet sich der Junge erfolglos ab, sie nimmt sich das Leben, als er neun Jahre alt ist.
 

Recklinghausen im Ruhrgebiet, Anfang der 1970er Jahre. Hans-Peter ist neun Jahre alt und ein wenig pummelig. Das kann das große Selbstvertrauen des kleinen Luftikus allerdings nicht erschüttern, denn er kann andere Menschen mit seinen Späßen und Parodien zum Lachen bringen – ein Talent das ihn später, als Hape Kerkeling, zu einem der bekanntesten und besten deutschen Komiker werden lässt, auf dessen Memoiren der Film von Oscar-Preisträgerin Caroline Link (Nirgendwo in Afrika) basiert.

Bei aller Komik bietet Der Junge muss an die frische Luft aber auch die genaue Studie einer Gesellschaft der Verdrängung, von Menschen, die noch immer vom Zweiten Weltkrieg traumatisiert sind und das Lachen wie die Luft zum Atmen brauchen. Hans-Peter hat das früh verstanden. Doch bei der für ihn wichtigsten Person scheitert er: Seine depressive Mutter nimmt sich das Leben, als er neun Jahre alt ist.

Mit viel Gespür für Details und liebevoll gezeichneten Charakteren, wie den sich kümmernden Großeltern, der feierwütigen Verwandtschaft und anderen Ruhrgebietstypen, liefert das Biopic eine warmherzige Milieuschilderung und das Porträt einer Epoche in der Geschichte der Bundesrepublik.

Pressestimmen

„Aus großer Tragik entsteht große Komik, und wer sich je gefragt hatte, woraus Hape Kerkeling seinen so warmherzigen Humor modellierte und seine Figuren vom Hannilein bis Horst Schlämmer, der bekam 2014 in seinem Buch Der Junge muss an die frische Luft die Antwort. Als er neun Jahre alt war, hatte sich seine Mutter das Leben genommen. (…)

Eine Tragikomödie, die wirklich beides zusammenbringt: Lachen und Weinen. Die Humor als probates Mittel zeigt, um sich gegen die Zumutungen des Lebens zu wehren. Die die Großfamilie ohne einen falschen Ton feiert als Fundament, auf dem man stehen kann. Und ein Sprachkunstwerk, das den Ruhrpott-Slang in allen Schattierungen schillern lässt, derb und deutlich, ehrlich und herzlich. Die Sprache ist hier niemals aufgesetzt, sie atmet Leben. Wer das Kino verlässt, könnte versucht sein, der Welt künftig immer per dat und wat die Schärfe zu nehmen.“
(Oliver Kaever, Zeit Online)

„Der junge Julius Weckauf, der in einem Mönchengladbacher Schreibwarenladen entdeckt wurde, ist ein Glücksfall. Genau so dürfte Hape Kerkeling als Kind ausgesehen und sich aufgeführt haben. Das sieht auch Kerkeling selbst so: 'Ich kann nicht umhin zu sagen, dass ich einerseits tief gerührt war, als ich dieses Kind da hab agieren sehen, und andererseits schwer begeistert. Der hat für sich ein Talent, eine Strahlkraft. Er ist komisch, er ist dramatisch, also insofern war ich sehr erfreut, als ich die ersten Aufnahmen von Julius sah.'“
(Krischan Koch, NDR)

„Der Junge muss an die frische Luft ist (…) ein Sommerfilm. Das Licht in den Bildern ist wunderbar warm. Ein bisschen wie das, was Vadders Super-8-Kamera aufs heimische Großleinwandhandtuch warf, sieht es noch aus. Das Licht und die Wärme sind gleich da, tragen den Film, halten ihn hell und leicht selbst dann noch, wenn die Verdunkelung über die Familie kommt.
Wie die Bilder hält auch die Ausstattung uns Kerkelings Geschichte auf angenehme Halbdistanz. Kein toter Disney-Park einer verlorenen Kumpelwelt ist das rekonstruierte Recklinghausen, durch das Caroline Link Hape, seine Omas und Tanten kutschieren, tanzen, gehen, fahren lässt. Man kann sich gar nicht sattsehen an den Dingen von damals, den Details, möchte den Film anhalten und seinen Kindern erzählen und sich zum Affen machen. Wie ein gut renovierter Opel Rekord hat dieses Diorama aber Gebrauchsspuren, es lebt, es erzählt Geschichten hinter den Geschichten.“
(Elmar Krekeler, Die Welt)

„Letztlich kreist Der Junge muss an die frische Luft um die alte Frage, wie man wurde, wer man ist, wie die Kindheit im Erwachsenen fortwirkt, ihn prägt und bestimmt. Und was so berührt, ist die Sehnsucht, man könnte Kontakt aufnehmen mit dem verzweifelten Kind, das man einmal war, es trösten und in den Arm nehmen, ihm sagen, dass alles gut wird. Im Film geht das: Schuss, Gegenschuss, ein schneller Schnitt und fertig ist der Blickwechsel zwischen dem kleinen Hans-Peter und dem erwachsenen Hape; sie winken einander zu und lächeln. Der Schnitt ist Kitsch, aber hier geht er schon in Ordnung.

Aus dem Off erklingen dazu die Sätze, mit denen Kerkelings Autobiografie schließt – Sätze, mit denen er daran festhält, mehr zu sein als das eigene Trauma, die jeden Fatalismus durchstreichen und die Verbindung zur Welt als Resilienzressource begreifen: 'Und gleichzeitig bin ich auch Tante Lore und die Richtung, in die sie mich im Kinderwagen auf dem Feldweg schiebt. Ich bin die gescheckte Kuh auf der Weide, das gelbe Korn auf dem Feld und der rote Mohn am Wegesrand. Ich bin der schmale Trampelpfad und dessen Ende. Ich bin der wolkenlose Himmel. Ich bin wach."
Wie seltsam, wie tröstlich. (Elena Meilicke, Spiegel Online)

Frederik Lang, 11.07.2019

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