Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz und die neuen Grenzen der literarischen Übersetzung

Künstliche Intelligenz und die neuen Grenzen der literarischen Übersetzung
Die automatische Übersetzung mitsamt der immer optimierteren künstlichen Intelligenz eroberte sich in effektiven Werkzeugen und Programmen diskret einen Platz in unserem Alltag. | Bild: Shifter © Goethe-Institut

Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den letzten Jahren immer weiter entwickelt, wobei sie nach und nach in immer mehr Bereiche des modernen Alltagslebens vorgedrungen ist, ohne dass dieser Tatsache besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Angesichts der heute vorliegenden hoch entwickelten Anwendungen kommen nun die Fragen und Sorgen der Menschen auf, die der Maschine den Umgang mit komplexen Fragen nicht zutrauen, oder die Angst davor haben, dass die Maschinen ihren Platz einnehmen könnten. Es besteht die Notwendigkeit, ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Maschine zu denken und aufzubauen.

Von João Gabriel Ribeiro

Die literarische Übersetzung ist ein Gebiet, in dem Systeme mit KI bereits häufig Übersetzer unterstützen, und bietet in diesem Kontext so die Möglichkeit zu einem besseren Verständnis und zur Erkenntnis des Potentials, das diese Beziehung birgt. Wenn wir die Möglichkeiten und die Fragen, die bei der Anwendung in diesem Bereich aufkommen, betrachten, wird klar, wie KI entwickelt wird und wir erkennen, anhand praktischer Beispiele, die unendlichen Möglichkeiten, die diese Interaktion prägen

Seit dem Anbeginn des Internets ist die Anwendung von Hilfsmitteln zur automatischen Übersetzung eines seiner herausragenden Funktionalitäten. Wie aus dem Nichts erschienen vor zwei Jahrzehnten die ersten Lösungen, bei denen man ein Wort eingeben konnte und dann, wie durch Zauber, der Übersetzungsvorschlag ausgegeben wurde. Es war ein System, das die ersten Algorithmen künstlicher Intelligenz öffentlich zur Verfügung stellte, ohne dass man sie als solche erkannte. Wer sich noch an die Zeiten dieser ersten Lösungen erinnern kann, bemerkt sicherlich auch, wie viel weiter fortgeschritten die Technik heutzutage ist. Die automatische Übersetzung mitsamt der immer optimierteren künstlichen Intelligenz eroberte sich in effektiven Werkzeugen und Programmen diskret einen Platz in unserem Alltag. Man hat sich daran gewöhnt, einer Maschine die augenblickliche Übersetzung von Straßenschildern anzuvertrauen, auch wenn sie in einem fremden Alphabet geschrieben sind. Die Maschine übersetzt Nachrichten ausländischer Webseiten und bringt uns die Aussprache von Wörtern aus einer Fremdsprache bei. Die Vorherrschaft der künstlichen Intelligenz breitet sich jetzt in vielen weiteren Bereichen aus und es stellt sich die Frage, bis zu welchem Grad das Vertrauen in die Maschine erweitert werden kann. Kann künstliche Intelligenz einen mit besonderen Nuancen gespickten literarischen Text übersetzen? Kann diese Übersetzung genauso akzeptiert werden, wie die eines Menschen?

Ana Margarida Abrantes
Für Ana Margarida Abrantes, Forscherin an der Universidade Católica Portuguesa, Künstliche Intelligenz unterscheidet sich von natürlicher Intelligenz. | Foto: © FCH - Universidade Católica Portuguesa
„Ohne Zögern wird DeepL die Übersetzung eines sachlichen Textes anvertraut, aber der gescheiterte Versuch der maschinellen Übersetzung eines Sonetts von Shakespeare wird höchstens paternalistisch belächelt“, behauptet die Wissenschaftlerin Ana Margarida Abrantes, die in Übersetzungswissenschaften promovierte und sich für die Forschungsgebiete um Kultur und Kognition und Sprache und Kognition interessiert. Diese Reaktion hatlässt sich auf zwei Gründe zurückführen. Der erste hat mit unserer Auffassung von künstlicher Intelligenz zu tun, und der zweite mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz selbst – und hier ist die Auswahl des lyrischen Textformats in dem Beispiel ausschlaggebend.

Die Maschine lernt

Wie von der Forscherin Ana Margarida Abrantes behauptet, „ist die ausgewählte Textgattung hier ausschlaggebend; die Maschine übersetzt Geschichten besser als Lyrik“, eine Feststellung, die uns zu dem Verständnis jener Aspekte bringt, die unser Verhältnis zur künstlichen Intelligenz prägen. Obwohl der Name dieser Technologie auf dem ersten Blick klar scheint, müssen die Unterschiede zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz umrissen werden. „Künstliche Intelligenz unterscheidet sich von natürlicher Intelligenz“ stellt die Forscherin fest und bietet damit einen Hinweis auf eine andere Konzeption der Maschine. Bei natürlicher Intelligenz gibt es augenscheinlich kein vorhersehbares Verhältnis zwischen dem Erlernten und dem Erschaffenen. Künstliche Intelligenz ist das Ergebnis der mathematischen Analyse großer Datenmengen. „Sie basiert auf dem ‘Erlernen’ einer enormen Datenmenge und auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen, mit dem Ziel, bestimmte Aufgaben erfüllen zu können“. Ihre Fähigkeiten stehen in direktem Verhältnis zu den Dingen, mit denen die Maschine in Kontakt kam. Diese Tatsache wird besonders wichtig, wenn man über Aspekte der Kreativität spricht, wie dies bei Literatur der Fall ist.

Da die Algorithmen der künstlichen Intelligenz sich auf einen Lernprozess stützen, der auf einer großen Menge aufgenommener Muster basiert, sind sie beeinflussbar und durch die Datenmenge eingeschränkt, weshalb die literarische Übersetzung mit ihren vielen Nuancen für das Verständnis von Sprache für die Maschine eine symbolische Herausforderung darstellt. Man nennt es das Prozessieren natürlicher Sprachen.
 

Die Literatur ist möglicherweise der Bereich der Sprache, in dem die Kreativität die bedeutendste Rolle spielt. Deshalb ist dieser Bereich ein gutes Testfeld für die Fähigkeiten und die Anpassungsfähigkeit eines Algorithmus zur Übersetzung.

Zunächst wurden die Algorithmen der künstlichen Intelligenz für die automatische Übersetzung mit einer beschränkten Datenmenge gefüttert. Das betraf den Sprachstil insofern, als dass besonders die offiziellen Texte des EU-Parlaments angewandt wurden, mit denen ein zwischensprachlicher Vergleich gleicher Inhalte in mehreren Sprachen möglich war. Die Innovation und Entwicklung der Algorithmen fand vor allem in diesem Bereich statt. Ana Abrantes betont, dass „die Dateien mit literarischen Klassikern und die kollaborative Übersetzung auf Plattformen wie Google Translate, bei denen man der Maschine bei der Übersetzung hilft, und diese Entscheidungen im Lernprozess gespeichert werden“, zu einer „schnellen und allgegenwärtigen“ Entwicklung der künstlichen Intelligenz in diesem Bereich führen.

Die formbare und in sich aufbauende Eigenschaft, die sich stark entwickelt, deutet auf mehr als nur ein Ziel hin. KI entwickelt sich in mehrere Richtungen weiter. Auch wenn die Tendenz Daten nachzuahmen als Mangel gelten könnte, ist es eine für den Menschen unerreichbare Fähigkeit, die kreative Anwendungsfelder in sich birgt, je nachdem wie die Systeme programmiert werden.

Die hybride Zukunft

„Ich denke, dass die automatische Übersetzung mit künstlicher Intelligenz dabei ist, sich verschiedene Stile anzueignen, die sie je nach gestellter Aufgabe anwenden können wird“, behauptet Ana Margarida Abrantes und unterstreicht dabei die beschränkte Vermittlereigenschaft der Maschine, eine wichtige Tatsache in ihrer Positionierung im Verhältnis zum Menschen und zur Gesellschaft. Die Forscherin begründet dies folgendermaßen: „Ein System mit KI fordert die Normen nicht heraus, denn es müsste erstmal die Absicht dazu haben.“ Es ist also nicht zu erwarten, dass das Ergebnis einer Shakespeare-Übersetzung mit KI zu beeindrucken vermag, doch die Möglichkeiten der Einbindung von Maschinen im Übersetzungsprozess sollten nicht außer Acht gelassen werden. Sie ergänzen den Menschen und verleihen der häufig gestellten Frage nach der Autorenschaft bei Übersetzungen eine neue Bedeutung. „Die Frage zur Autorenschaft eines übersetzten Werkes ist nicht neu, doch die Maschine als Übersetzerin verleiht ihr eine neue Dimension. Und es geht nicht nur um die Anerkennung der Autorenschaft der Maschine oder des Menschen, des Autors oder des Übersetzers. Es geht auch um die Akzeptanz einer von einer Maschine geschaffenen Übersetzung“, fügt die Forscherin abschließend hinzu.

Die Möglichkeiten der Maschine und der KI in der Literatur, und insbesondere in der Übersetzung, sind nicht zu bestreiten; „die Herausforderung“ liegt in der Art und Weise, wie sie eingebunden werden, so dass es konstruktive, am Menschen ausgerichtete Prozesse werden. Dazu nennt Margarida Abrantes folgendes Beispiel aus einem anderen Bereich: „Sicherlich möchte niemand, dass gerichtliche Urteile von einem Algorithmus gefällt werden“, „aber alle sehen ein, dass Algorithmen bei der effizienten Informationsbeschaffung zu vergleichbaren juristischen Prozessen hilfreich sind, damit die Urteile anhand von mehr Information und kurzfristiger gefällt werden können.“ Im Bereich der Kreativität kann ein ähnliches Verhältnis entstehen. Der Kontext kann in diesem Falle zu einem besserem Verständnis verhelfen, sobald kulturelle Hintergründe es ermöglichen, von der Idee der Maschine als Menschenersatz Abstand zu nehmen, und zulassen, dass man langsam hybride Konzepte akzeptieren lernt, wie sie bei jeder Übersetzung zwischen Autor und Übersetzer aktuell der Fall sind, „wenn man die Übersetzung als eine Neuerschaffung auffasst.” 


Artikel in Zusammenarbeit mit der portugiesischen Plattform Shifter.

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