Claudia Rusch
Kaukasusblog VI: Medeas Töchter

Gleich an meinem zweiten Abend in Tbilissi lande ich, eh ich mich versehen kann, an einer sich von Essen biegenden Tafel. Klarer Fall von Supra. Frische Krebse, Mzwadi (faustgroße Fleischstücken an Schaschlikspießen, die jedem Florett Ehre machen würden und in Westeuropa vermutlich unters Waffengesetz fallen…), der sagenhaft leckere, mit Kräutern überhäufte kaukasische Rohkostsalat, gegrilltes Gemüse, Chinkali (georgische Teigtaschen, deren Verzehr genauen Anweisungen folgt), Sulguni (Sulguni!), gekochte Maiskolben, in Vierteln gebratene Kartoffeln, warmes Brot, Äpfel, Feigen, Wein, Schnaps und so weiter.

„Das ist alles, was wir ohne Frauen selbst zubereiten und anbieten können“ kommentiert der Gastgeber, ein herzlicher, sympathischer Strohwitwer, Mitte 50 und hebt sein Glas. Es bleibt offen, ob er das kokett oder ernst meint…

Tatsächlich beginnen Texte über Georgien gern mit dem Hinweis auf die großartigen, starken, hochgebildeten Frauen Georgiens. Auch ich kann nur schwärmen. Frauen sind im Straßenbild Tbilissis aus irgendeinem Grund wesentlich präsenter als Männer. Sie sitzen allein lesend oder Gruppen in Cafés, laufen nachts plaudernd (oder, wenn sie sehr jung sind, auch gern mal laut singend) durch die Straßen und haben super Jobs. Sie rauchen, sie trinken, sie lachen, sie streiten, sie leuchten. Ich liebe sie!

Was sofort auffällt (und sich durchaus als kennzeichnend erweist) ist die äußere Vielfalt. Georgierinnen sind weit entfernt von modepuppenhafter, überschminkter Uniformität. Sie sind natürlich, lässig, individuell, witzig, detailbetont und wunderschön. Sie sehen nicht aus wie Frauen, die versuchen einem Bild zu entsprechen, sie sehen aus wie Frauen, die vor allem sie selbst sein wollen. Ich kann nicht einschätzen, wie stark ihnen das am Ende auch gelingt – aber allein der Versuch ist ein Akt wahrer innerer Freiheit…

Bei meiner Freundin, der Tbilisser Schriftstellerin Ana Kordsaia-Samadaschwili (auch so eine kluge, wilde Medeanachfahrin) klingt das dann so: „Jede Frau - ich rede von Frauen und nicht von biologischen Einheiten weiblichen Geschlechts - jede Frau möchte mit einem Mann zusammen sein. Sie will nicht dem Mann gehören oder dass er ihr gehört, sondern mit dem Mann zusammen sein.“ (in: „Wer hat die Tschaika getötet“ Verlag Hans Schiler 2016).

Dass mir hier zuerst die Frauen und ihr Selbstverständnis auffallen, kommt nicht von ungefähr. Jaja, davon war ich (wie von allem anderen, siehe oben) vor sieben Jahren auch schon total begeistert (und ich habe keineswegs in jedem Land der Welt das Gefühl, eine von vielen zu sein…). Aber es geht diesmal über naives, touristisches Gestarre durchaus hinaus. Denn in diesem Herbst sehe ich (wie immer wenn ich an einem längeren Text schreibe) auch alles durch die Brille meines neuen, noch in der Entwicklung befindlichen Romans. Ich hab schon oft versucht, zu erklären, worum es in dieser eigentlich nicht sehr komplizierten Dreiecksgeschichte, wirklich geht – und tadaa, am Fuß des Mtazminda hab ich nun die bestmögliche Zusammenfassung gefunden. Wieder in besagtem Buch von Ana:

Sie war mit den Männern zusammen, die sie liebte und die sie liebten. Sie war eine glückliche Frau. Wer mit wem Sex hatte und wer mit wem herummachte, da können Sie überzeugt sein, ist überhaupt nicht von Belang. Wen kümmert’s.

Ich hätte es nicht treffender ausdrücken können! Karoline, Storchi, Tschaika – egal. Spree oder Mtkwari – who cares. Frauen auf der Suche nach dem Glück der Freiheit jenseits der überbrachten Rollenzuteilung, ähneln sich alle. GIRLPOWER!

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