Claudia Rusch
Kaukasusblog X: Extragon

„Extragon“, sagt Maja und schaut mich an: „da ist ganz viel Extragon dran. Nimm das!“

Ich zögere, sie zu korrigieren. Denn zum einen klingt Extragon so schön vertraut familär als sei es von meiner wortspielverliebten Oma erfunden worden (die z.B. Wassermillionen aß und Sowjetten benutzte). Und zum anderen finde ich es generell ein bisschen anmaßend, jemanden wie Maja zu verbessern. Maja Badridse ist eine wundervolle, sehr kluge, witzige, geistreiche Frau mit leuchtend roten Locken und einem absolut ansteckenden, rauen Lachen. Sie ist Übersetzerin aus dem Deutschen ins Georgische und hat hierzulande unter anderem Broch, Musil und C.G.Jung unter die Leute gebracht hat. Davor hab ich sehr viel Respekt. Ich sag’s dann aber doch und bestelle die Suppe. Welche uns direkt zum zweiten Platz der häufigst gestellten Fragen führt (das war ich ja noch schuldig): Essen. Wie riecht es, wie schmeckt es?

Das Essen in Georgien schmeckt und riecht nach tausend frischen Kräutern, Knoblauch, gebackenem Käse, warmem Teig, nach Walnüssen und Granatapfelkernen. Obst und Gemüse haben kräftige Farben, kommen aus den umliegenden Dörfern und schmecken auch so. Als ich in Kutaissi nach dem Geheimnis des absolut unvergleichlichen georgischen Tomatenkleinhäcksels frage, zuckt die DAAD-Frau Dana nur mit den Schultern und sagt: die georgischen Tomaten.

Die Georgier lieben Gewürze und Kräuter. Ganz besonders Estragon, das hier ტარხუნა (sprich: Tarchuna) heißt und sogar zu Brause verarbeitet wird (absolut köstlich!).

Man kocht damit eine grüne Suppe (also mit dem Estragon, nicht mit der Brause) namens Tschakapuli, die außerdem noch aus wilden sauren Kirschpflaumen und wahlweise Fleisch (oder in der Fastenzeit Pilzen) besteht. Die Kombination aus Estragon, den grünen Pflaumen und Weißwein ergibt einen absolut einzigartigen Geschmack. Ich habe noch nie zuvor irgendwo etwas auch nur ansatzweise Ähnliches gekostet. Entsprechend war Maja sehr zufrieden mit ihrer Empfehlung, deren Erfolg bei mir kaum zu überhören war. Das Rezept hab ich sofort notiert – zum Nachkochen in Berlin, denn darauf will ich nie mehr verzichten. Und natürlich wird Tschakapuli bei uns in der Familie für alle Zeiten EXTRAGONSUPPE heißen (Danke, Maja!).

Auch Tschichirtma werd ich nachkochen zu Hause (und zwar gleich nachdem ich gelernt hab, es richtig auszusprechen). Das ist die traditionelle georgische Hühnersuppenvariante, über die es auf der englischen Wikipediaseite so schön heißt, sie käme „fast vollständig ohne rein pflanzliche Basis aus“... Äh ja, das hat Hühnersuppe so an sich. Ohne Schlachten läuft da gar nix. Abgesehen von Huhn wird Tschichirtma mit Eiern gekocht und mit Zimt, Zitrone, schwarzem Pfeffer und einem dicken Strauß frischer Kräuter (Koriander, Schnittlauch, Petersilie, Basilikum, Dill, Minze) gewürzt. Ein Aromaerlebnis.

Und wenn wir schon bei lecker sind: Schqmeruli! Das ist für eine norddeutsche Soßentrulla wie mich genau das richtige Winteressen! Ein goldbraun gebratenes Hühnchen wird zerlegt und in typisch georgischen Steingut namens Ketsi mit einer sagenhaften Sauce aus Milch, Knoblauch und Kräutern übergossen. Dann nur noch alles etwas schmoren lassen… Der absolute Wahnsinn!

Und zu all dem trinkt man natürlich den ebenso berühmten wie hervorragenden georgischen Wein, dessen Herstellung das älteste Kelterverfahren der Welt ist (er wird zum Reifen in riesigen Keramikkrügen in die Erde gegraben) und zum immateriellen Unesco-Weltkulturerbe der Menschheit gehört (wie übrigens auch unser gutes deutsches Brot).

So. das war‘s. Ich geh jetzt was essen.

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