WM 2018
Gegen Gewalt und Rassismus im Fußball

Thomas Müller, Andre Schürrle und Mario Götze: Torjubel nach dem Siegtreffer im Finale der WM 2014. Foto (Ausschnitt): © picture alliance / Rolf Kosecki

Die deutsche Mannschaft ist ausgeschieden, aber die WM geht weiter: Fakten, Fans und Stars – zur Fußball-Weltmeisterschaft 2018 zeigen wir einige Aspekte deutscher Fußballkultur. Und in unserem Quiz können Fußballphilosophen und Teilzeit-Fans ihr Wissen testen.

Fanprojekte: Gegen Gewalt und Rassismus im Fußball

Fußballfans
Fußballfans
Für viele Deutsche ist Fußball ein Teil ihrer Identität. Doch gerade junge Menschen tragen oft auch ihren Frust ins Stadion. Um Gewalt zu verhindern, setzt die Politik auf engagierte Sozialarbeit.


Fast 130 Jahre ist es her, dass in Berlin mit dem B.F.C. Germania 1888 der erste deutsche Fußballverein gegründet wurde. Heute ist der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit rund 25.000 Vereinen und über 6,8 Millionen Mitgliedern der größte Sportverband der Welt – und fast überall wird Fußball gespielt, sei es nun in München, der Heimat des deutschen Rekordmeisters FC Bayern, oder beim TSV Schilksee, dem Fünftligisten aus Schleswig-Holstein.

Für viele fußballverrückte Männer und immer mehr Frauen hat Heimat etwas mit den Farben ihres Vereins zu tun: Blau und Weiß für Schalke 04, Schwarz und Gelb für Borussia Dortmund, Rot und Weiß für den Hamburger SV. Für welchen Klub man sich begeistert, ist fast schon eine Glaubensfrage. Offenbach und Frankfurt zum Beispiel liegen im Bundesland Hessen und sind nur zehn Kilometer voneinander entfernt. Aber nichts auf der Welt würde einen Fan der Offenbacher Kickers dazu bringen, für die Frankfurter Eintracht zu jubeln – und umgekehrt ist es genauso.

Wenn Begeisterung in Gewalt umschlägt

Aber die Fußballbegeisterung im Land des dreimaligen Weltmeisters hat auch ihre Schattenseiten, denn immer wieder kommt es vor, dass die Leidenschaft für einen Verein in Gewalt umschlägt. Zwar sind die meisten Zuschauer vollkommen friedlich, aber die Zahl der Gewalttaten steigt. Laut Angaben der Zentralen Informationsstelle für Sporteinsätze, die bei der nordrhein-westfälischen Polizei angesiedelt ist, wurden in der Saison 2012/13 knapp 1.700 Strafverfahren wegen Körperverletzung eingeleitet. Fünf Jahre zuvor waren es nur rund 1.200. Bundesweit sind über 10.000 Personen erfasst, die als gewaltbereit oder gewaltsuchend eingeschätzt werden.

Betrachtet man diese Angaben im Verhältnis zu den Zuschauerzahlen, wird allerdings deutlich, dass Gewalt unter deutschen Fußballfans die Ausnahme ist. Bei rund 18,2 Millionen Zuschauern, die 2012/13 in die Stadien der ersten und zweiten Liga strömten, liegt der Anteil derer, die gewalttätig wurden, bei 0,009 Prozent. Aus Sicht des Sportsoziologen Gunter Pilz sind das „fast schon paradiesische Zustände“. Viele Fans betrachten sich heute als sogenannte Ultras, als wahre Fußballfans, die sich an südeuropäischer Fußballeuphorie orientieren, sagt der Experte für sportbezogene Sozialarbeit. Ihre Gewaltbereitschaft sei nicht zu vergleichen mit der in den 1980er- und 1990er-Jahren, als aggressive Hooligans überall in Europa Schule machten.

Nationales Sicherheitskonzept und präventive Fanarbeit

Trauriger Höhepunkt war die Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion 1985, als beim Europapokalfinale zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin 39 Menschen durch eine von britischen Hooligans ausgelöste Massenpanik starben. In Deutschland dauerte es danach noch weitere sechs Jahre, bis Politiker und DFB begriffen, dass sie das Thema Fangewalt nicht mehr kleinreden konnten. Nachdem Hunderte Fans von Dynamo Dresden beim Europapokalspiel gegen Roter Stern Belgrad im März 1991 dermaßen randaliert hatten, dass das Spiel unter massivem Polizeieinsatz abgebrochen werden musste, brachten die Innenminister der 16 Bundesländer 1993 das Nationale Konzept Sport und Sicherheit (NKSS) auf den Weg. Damit wurden zum ersten Mal Richtlinien für die präventive Fanarbeit festgeschrieben.

Im Zentrum stehen Fanprojekte, die von den Jugendhilfe-Einrichtungen der Städte und Gemeinden getragen werden und sich durch „einen szenenahen und sozialpädagogischen Zugang“ auszeichnen. Die Finanzierung erfolgt nicht durch die Vereine, sondern durch Bundesländer, Kommunen und den DFB, wobei die Kommunen mindestens 60.000 Euro pro Jahr zur Verfügung stellen müssen. Der DFB gibt denselben Betrag noch einmal dazu. Die Profivereine bis in die dritte Liga sind verpflichtet, als Ansprechpartner einen Fanbeauftragten einzusetzen.

Unterwanderung durch rechtsradikale Fans verhindern

Inzwischen gibt es in Deutschland 49 Fanprojekte, auch im brandenburgischen Cottbus, wo der FC Energie gerade in die dritte Liga abgestiegen ist. Schwerpunkt des mit rund 200.000 Euro geförderten Projekts ist die „aufsuchende Sozialarbeit“, wobei die drei Mitarbeiter versuchen, die jugendlichen Fußballfans mit einem abwechslungsreichen Freizeitangebot auch außerhalb des Stadions zu erreichen. Die Arbeit der vergangenen 15 Jahre habe sich gelohnt, sagt Sozialarbeiter Sven Graupner. So sei die Zahl körperlicher Gewalttaten im Umfeld der Spiele spürbar zurückgegangen. Hauptproblem sei vielmehr ein „latenter Rassismus“, der sich durch alle Zuschauerschichten ziehe. „Das demokratische Verständnis mancher Fans ist wenig entwickelt“, so Graupner. Um die Unterwanderung durch rechtsradikale Fans zu verhindern, werde in Cottbus daher auch „politische Aufklärung“ betrieben.

Michael Gabriel, langjähriger Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, lobt die „intensive Beziehungsarbeit“, die in den einzelnen Projekten jeden Tag geleistet werde. „Es eine Wohltat, mit so vielen engagierten Leuten zu tun zu haben“, sagt Gabriel. Auch Sportsoziologe Gunter Pilz hält die Fanprojekte für unverzichtbar. Allerdings müssten sie finanziell besser gefördert werden. „Wenn 3.000 Polizisten das Problem nicht lösen können, wie sollen es dann ein bis zwei Sozialarbeiter schaffen?“, so Pilz. Hier sei vor allem die Politik gefordert, denn die Ursachen der Gewalt, sagt der Fanforscher, lägen nicht im Fußball, sondern im sozialen Umfeld der Fans. Die Lebenswelten junger Menschen müssten so gestaltet werden, „dass sich Jugendliche darin wohl fühlen“.
Daniel Marschke lebt als freiberuflicher Journalist in Berlin und arbeitet unter anderem für die Sportredaktion von Deutschlandradio Kultur.

Goethe-Institut e. V., Internet-Redaktion
Juni 2014

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