Rush Hour
Performance Installation
Rush Hour ist eine Performance-Installation, die sich in einem fahrenden Zug als filmische Erzählstruktur entfaltet. Ausgehend von den Themen Migration, Vertreibung und Zeitreise verbindet sie das Konzept von Sankofa, einem Aufruf zur Erinnerung an die Geschichte, mit der Theorie der Selbstreferenz als fruchtbaren Boden für skulpturale Formen, räumliche Interventionen und Bewegungsphrasen. Durch eine surrealistische Linse unterbricht das Werk die Dichotomien zwischen Körper und Maschine, Natur und Industrie sowie stellarer Bewegung und mechanischer Zeit. Die in drei Akten inszenierte Rush Hour bekräftigt die Sprache als Hilfsmittel, das die Selbstbestimmung jenseits des weiblichen Opfers in Geschichten und Träume verwandelt. Die Choreografie und die Anzüge der Objekte in dem Werk verweisen auf die zyklische Natur der Geschichte. Der Zug als Vehikel ist ein Grenzraum, der die Motive des Kolonialismus widerspiegelt: die Reise ins Paradies zur Entdeckung als Mittel der Eroberung. Als Stipendiatin des Studio 170 des Goethe-Instituts Boston 2025 wird Mandeng Nken eine Vorschau auf Vestibule or Act 2 geben, in der der Körper eine Projektion von Bildern als flüchtige, spielerische Übung mit Licht und Silhouette animiert. Sie wird auch Act 1, Conductor, präsentieren, in dem der Zugführer zum Geschichtenerzähler wird, der banale Beobachtungen mit kosmologischen Geheimnissen verbindet. Der Rhythmus dieses Abschnitts, der in und um eine Miniatur-Eisenbahnanlage herum spielt, folgt der Wiederholung einer tickenden Uhr, die in eine Störung ausbricht.
Installation, Performance und Künstlergespräch
Donnerstag, 24. April, 18:00 Uhr
Vorgespräch mit der Künstlerin
1. Kannst du uns etwas über die Inspiration hinter Rush Hour erzählen und wie du den Zug als Symbol in dem Stück verstehst?
Rush Hour: Unraveling Across Temporal Distortions ist eine choreografische-skulpturale Studie von Topografien durch ihre spektralen Eigenschaften – sie stellt Spuren und Überreste als materielle Beweise in den Vordergrund. Du überträgst dabei Umweltforschung in kinetische Bewegungen, um auszudrücken, wie Zustände des Exils sich in den Körper einschreiben. Das zentrale Element des Werks, ein ferngesteuerter Miniaturzug, wird zur Hauptfigur und gleichzeitig zu einem spektralen Überbleibsel. Die Choreografie entwickelt sich in, um und als Reaktion auf dieses Gerät, im Rhythmus und mit der Wiederholung eines tickenden Uhrwerks, das schließlich in eine Art „Glitch“ übergeht. Der sich bewegende Zug dient als leitende Kraft, die das Publikum innerhalb eines zyklischen Rahmens neu orientiert und gleichzeitig desorientiert – ein Rahmen, der die festen zeitlichen Bedingungen des historischen Dokuments infrage stellt. Durch den Einsatz von Technologie entsteht eine meditative Auseinandersetzung mit Unsicherheit und Scheitern – mit der Frage, wer überhaupt Geschichte erzählen darf.
2. Sankofa spielt eine zentrale Rolle in deiner Arbeit. Kannst du erklären, wie dieses Konzept – das sich der Geschichte als Wissens- und Orientierungshilfe bedient – in die Performance eingebunden ist und was es für dich bedeutet?
Sankofa ist ein Prinzip aus der Akan-Kultur und bedeutet sinngemäß: „Geh zurück und hol es.“ In deiner Arbeit wird es zu einem Aufruf, Geschichte wieder aufzusuchen, um sich zu erinnern. In Verbindung mit dem Konzept der Selbstreferenz – also der Idee, dass Informationen zugänglicher sind, wenn sie sich auf uns selbst beziehen – wird Erinnerung zu einem legitimierenden Werkzeug. Losgelöst von einem konkret bewohnbaren Raum, eröffnet die Erinnerung den Zugang zu unseren Ahnen-Wissenssystemen – über mündliche Traditionen, die durch folkloristische Praktiken bewahrt wurden. Du nutzt Lorna Simpsons Bild Waterbearer (1986) als eine Art Schlüssel in deinem Werk. Die abgebildete Figur trägt in einer Hand ein antikes Stahlgefäß, in der anderen einen modernen Plastik-Wasserkanister. Ihr Rücken ist uns zugewandt, sie befindet sich ständig zwischen verschiedenen Zeitlinien und geografischen Spuren – ein Balanceakt, bei dem sie das Gleichgewicht immer wieder neu auslotet. Die Bildunterschrift lautet: „SIE SAH IHN AM FLUSS VERSCHWINDEN. SIE FRAGTEN SIE, WAS GESCHEHEN WAR. NUR UM IHRE ERINNERUNG ZU IGNORIEREN.“ Das Bild verweist auf die historische Unsichtbarmachung und Abwertung der subjektiven Stimme schwarzer Frauen – eine Idee, die du nutzt, um den wiederkehrenden Takt der Geschichte infrage zu stellen.
3. In Rush Hour wird Sprache als Werkzeug der Selbstbestimmung beschrieben. Wie gehst du mit Sprache in deiner Arbeit um, und wie transportiert sie die Themen, die du erforschst?
In Looking for Zora (1975) begibt sich Alice Walker auf die Suche nach Zora Neale Hurstons unmarkiertem Grab – ein Akt, der die Geschichte der Auslöschung konfrontiert, indem er Hurstons spektrale Präsenz materiell sichtbar macht. Diese symbolische Bewegung durch geologische und generationenübergreifende Zeitlinien unterstreicht die Kraft zeitlicher Verzerrung als nichtlineare Erzählform. Dieses Ahnenritual prägt deine Beziehung zur Sprache – als eine Praxis, die immer im Dialog mit der Vergangenheit steht. Sprache wird zum Anker für Erfahrungen von Orten, zu denen du keinen materiellen Zugang hast, über die du aber reflektieren musst, um das zu verstehen, was geblieben ist. Zeit ist dabei äußerst formbar. Du denkst darüber nach, wie Spektralität einem „Glitch“ gleicht – einem Körper, der sich über mehrere Zeitlinien hinweg aufspaltet. In diesem gleichzeitigen Dasein und Nicht-Dasein erhebt die Figur in Rush Hour Einspruch gegen das Verharren – ähnlich wie die Figur in Lorna Simpsons ikonischem Bild.