Rimini Protokolls Home Visit USA Los Angeles

Rimini Protokolls Home Visit USA Los Angeles

Rimini Protokoll Home Visit USA Device
Als ich zu Home Visit USA eingeladen wurde, ein interaktives Theater des international anerkannten deutsch-schweizerischen Künstlerkollektiv Rimini Protokoll, habe ich mit einer Vielzahl von kreativen und intellektuellen Geschehnissen gerechnet, jedoch gewiss nicht mit einer Partie Armdrücken.


Rimini Protokolls Home Visit USA am Goethe-Institut Los Angeles – Diskussionen über kulturelle Identität und Werte.
Parlor Game Featuring National Discourse, Cultural Identity and Cultural Values
Ein Erfahrungsbericht von Saskia Tex

Als ich zu Home Visit USA eingeladen wurde, ein interaktives Theater des international anerkannten deutsch-schweizerischen Künstlerkollektiv Rimini Protokoll, habe ich mit einer Vielzahl von kreativen und intellektuellen Geschehnissen gerechnet, jedoch gewiss nicht mit einer Partie Armdrücken.
Durch mein geisteswissenschaftliches Studium fühlte ich mich gut auf die Veranstaltung vorbereitet, jedoch konnte ich unglücklicherweise nichts von all dem gebrauchen, als ich mich der schweißtreibenden körperlichen Auseinandersetzung mit einer Fremden auf der anderen Seite des Tisches ausgesetzt sah, die mir eine gehörige Portion Muskelkater im rechten Arm verursachte.
Aber ich möchte nicht vorweg greifen, sondern lieber der Reihe nach vorgehen.

Die Arbeiten des im Jahr 2000 in Berlin gegründeten Kollektivs Rimini Protokoll um Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel demonstrieren das Geschick des Theaters, ungewöhnliche Perspektiven auf die Realität zu erlauben.
ies setzen sie recht erfolgreich um: Ihre Werke wurden bereits an öffentlichen Plätzen und in renommierten Theatern und Museen ausgestellt und auch auf namhaften Festivals wie dem Festival d’Avignon, dem Singapore International Festival of Arts und dem Skirball Center for the Performing Arts in New York war das Kollektiv vertreten. Rimini Protokoll wurde außerdem mit zahlreichen bedeutenden Awards ausgezeichnet, wie 2007 mit dem Deutschen Theaterpreis der Faust, 2011 mit dem Silbernen Löwen der Biennale di Venezia, 2014 mit dem Excellence Award des 17. Media Festival in Japan und zuletzt mit dem Schweizer Theaterpreis 2015.

Ihr Werk Home Visit USA ist eine interaktive Aufführung, die als Mischung aus Gesellschaftsspiel, Theateraufführung und Kunstwerk verstanden werden kann. Jede Aufführung ist eine Zusammenkunft im Haus oder in der Wohnung eines Teilnehmers.
Um einen großen Tisch herum sitzend, spielen die Teilnehmer ein Spiel in ungezwungener Atmosphäre, bei dem sie über die sich ständig transformierenden Ideen diskutieren, die die USA ausmachen. Hier liegt der Schwerpunkt auf Fragen rund um die Themen kulturelle Identität, Werte und Grenzen. Während des zweistündigen Spiels stellen die Künstler die abstrakten und oft überspitzten Ideen von nationaler Identität in den USA gegenüber.
Was sich zunächst anfühlt wie eine politisch motivierte Versammlung nimmt schnell eine spielerische Wende: Eine Weltkarte wird auf dem Tisch ausgebreitet, sanfte Hintergrundmusik eingeschaltet, Herausforderungen entstehen und gemeinsame Entscheidungen werden getroffen. Persönliche Anekdoten und das aktuelle politische Klima des Landes werden eins.

Das Goethe-Institut Los Angeles war Gastgeber der ersten Aufführung von Home Visit USA in Los Angeles im Mai 2017. Im Frühjahr diesen Jahres fanden bereits einige Aufführungen in Santa Barbara statt, wo Home Visit USA im Januar Premiere im Contemporary Museum of Art Santa Barbara (MCASB) als Teil der Ausstellung Rimini Protokoll: City as Stage feierte.

An der ersten Veranstaltung nahmen 15 Spieler teil. Als Sarah Dildine, Angestellte beim MCASB und Koordinatorin der Veranstaltungsreihe in Los Angeles nach der Rolle des Goethe-Instituts als Gastgeber des Home Visit USA gefragt wurde, antwortet sie, dass das Goethe-Institut ein großes und breitgefächertes Netzwerk besitzt.
Dies habe den Vorteil, dass ein weitgefasstes Publikum erreicht werden könne. Denn was das Projekt so reizvoll macht sind die vielen unterschiedlichen Charaktere, die daran teilnehmen. Außerdem werden im Goethe-Institut als Heimatort deutscher Kunst und Kultur die Sinne für viele Prämissen und Fragestellungen rund um das Thema Interkulturalität unmittelbar geschärft.
Tatsächlich haben sich die meisten Teilnehmer zuvor nicht gekannt. Umso interessanter war es daher zu erleben, wie schnell sich eine Atmosphäre von Vertrautheit, Intimität, Offenheit und Vertrauen aufbaute.
Während des zweistündigen Spiels mussten die Teilnehmer Fragen beantworten und Aufgaben erfüllen, um Punkte zu erhalten. Diese entschieden wiederum  über die Größe des Kuchenstücks, das den Teilnehmern am Ende der fünf Runden zustand.
Die Allegorie der Aufteilung eines tatsächlichen Kuchens unter den Teilnehmern des Spiels und der gesellschaftlichen Teilnahme außerhalb des Spiels war äußerst interessant. Denn die Einstellung zu verschiedenen Thematiken, Fragestellungen und Situationen entscheidet darüber, welchen Rang man im Spiel erhält, der wiederum die Größe des Kuchenstücks bestimmt.
Diskussionen über Eliten, nationale Identität, Vertrauen in Demokratie, Kapitalismus, Konfliktbewältigung durch Gewalt und die Belohnung der Benachteiligten durch die Bestrafung der Elite waren gewiss die sensibelsten Gesprächsthemen, die durch das Spiel angeregt und über dessen Dauer hinaus diskutiert wurde. Die Art und Weise wie all diese Fragen und Aufgaben gestellt wurden, verlieh der Veranstaltung einen transhumanistischen Charakter. Nicht etwa der Spielführer, sondern eine kleine Maschine bestimmte den Spielverlauf, indem Fragen und Aufgaben auf einen Papierzettel gedruckt wurden, die dann von den Teilnehmern vorgelesen werden sollten. Die Maschine war auch für die Verteilung und Zählung der Punkte verantwortlich und sorgte unter den Teilnehmern für viel Neugierde. Denn auf viele ihrer Fragen schien es keine richtige oder falsche Antwort zu geben, was die Punktevergabe für die Teilnehmer undurchschaubar machte. Es schien, als würde die Gruppe unbewusst darüber entscheiden, was richtig und falsch ist und somit eine Eigenlogik für sich selbst entwickeln, in der sich das Phänomen, das wir Sozialverhalten und öffentlichen Diskurs nennen, widerspiegelt.

Nun mag man sich fragen, was die Teilnehmer von Home Visit USA nach der Veranstaltung mitnehmen. Wie viele der Fragen, die im Verlauf des Spiels aufkamen, sind die möglichen Antworten darauf natürlich sehr subjektiv. Möglicherweise haben die Teilnehmer der Veranstaltung neue Blickwinkel auf politische und soziale Fragestellungen erhalten und ihnen ist eventuell klar geworden, wie es dazu kommen kann, dass sich eine Gruppe von Fremden zur selben Zeit am selben Ort aufhält und offen über private Themen spricht und dabei verbissen um ein Stück Kuchen kämpft. Vermutlich haben die Teilnehmer etwas über sich selbst lernen können, weil das Konkurrenzdenken im Spielverlauf stetig angestiegen ist.

Für mein persönliches Erlebnis bei Home Visit USA treffen alle diese Punkte zu –ich habe jedoch gelernt, dass ich mich beim Armdrücken mit einer 55-jährigen Tätowiererin aus Venice nicht so schlecht geschlagen habe, wie ich es vermutet hätte.

Home Visit USA wurde bereits in Kollaboration mit zahlreichen angesehenen Vorführstätten in 23 europäischen Städten aufgeführt. Mehr Informationen und Einblicke dazu gibt es auf der Home Visit Europe Performance Website.