Feminismus weltweit
„Beeindruckende Mobilisierung“

Für Frauenrechte auf der Straße
Für Frauenrechte auf der Straße | Foto: © Jen Grantham/iStock

Gibt es so etwas wie einen globalen Feminismus? Welche Themen bewegen Frauen in unterschiedlichen Weltgegenden? Und wie ist das Verhältnis zwischen Aktivistinnen verschiedener Generationen? Ein Interview mit der italienisch-amerikanischen Philosophin Silvia Federici.
 

Frau Federici, Sie haben 2017 ihren 75. Geburtstag gefeiert. Ist es für Sie schwierig, mit jüngeren Feministinnen ins Gespräch zu kommen?
 
Ganz im Gegenteil! Die meisten Menschen, die ich heutzutage kennenlerne, sind jüngere Aktivistinnen. Ich glaube, das liegt daran, dass es eine neue feministische Bewegung gibt, und zwar weltweit. Es ist für mich eine große Freude, von diesen Frauen umgeben zu sein, denn die Welt liegt in ihren Händen.
 
Ist dieser neue Feminismus einfach nur jünger oder auch anders als die Frauenbewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre, bei denen Sie bereits aktiv waren?
 
Die Aktivistinnen haben natürlich dazugelernt. Um ein Beispiel zu nennen: Wir sind damals für den „Lohn für Hausarbeit“ eingetreten. Heute macht man sich keine Illusionen mehr über die Befreiung der Frauen durch Lohnarbeit. Denn die meisten Frauen arbeiten zwar, haben aber prekäre Jobs und davon oft zwei oder drei, um zu überleben. Außerdem setzen junge Feministinnen weniger Hoffnungen in die staatlichen Institutionen als Motor gesellschaftlicher Veränderung.

In den USA gingen im Januar 2017 Hunderttausende Frauen beim „Women’s March on Washington“ auf die Straße. Wie haben Sie das erlebt?
 
Nicht nur Feministinnen, auch viele andere soziale Akteure waren an diesem Tag dabei, sowohl Frauen als auch Männer. Die Größenordnung dieser Veranstaltung hatte sicherlich viel damit zu tun, dass die Menschen ihrer Wut auf Donald Trump und seinen Sexismus Luft machen wollten. Und sie wollten ihre Sorge darüber ausdrücken, dass die neue Regierung wieder ein Verbot von Abtreibungen einführen könnte.
 
Also ging es an diesem Tag um die Verteidigung bestehender Errungenschaften?
 
Außer dem Recht auf selbstbestimmte Familienplanung haben die Frauen in den USA gar nicht so viele Errungenschaften, die es zu verteidigen gilt. Neueste Zahlen zeigen etwa, dass die Lebenserwartung von Frauen der Arbeiterklasse deutlich gesunken ist. Statistisch gesehen, werden sie fünf Jahre früher sterben als ihre Mütter. Auch darüber gibt es ein großes gesellschaftliches Unbehagen, das sich beim Women’s March artikuliert hat.

„Zunehmende Brutalität gegenüber Frauen“

Auch in anderen Regionen gibt es derzeit häufig feministische Demonstrationen, etwa in Lateinamerika. Hier heißt das Motto „Ni una menos“ – auf Deutsch etwa „Nicht eine einzige weniger!“. Der Protest richtet sich gegen Frauenmorde und Machokultur.
 
Eine wirklich beeindruckende Mobilisierung. 2017 war „Ni una menos“ Thema des Internationalen Frauentages, ausgerufen von den Frauen in Argentinien. Dort gab es an diesem Tag auch einen landesweiten Frauenstreik, unterstützt von den großen Gewerkschaften. Erst kürzlich habe ich drei argentinische Aktivistinnen in New York getroffen, die mir ein Video ihrer Kundgebung in Buenos Aires zeigten. Das hat mich fast zu Tränen gerührt.
 
Sind Frauenmorde und der Kampf dagegen denn ein rein lateinamerikanisches Thema?
 
Sicherlich nicht. Weltweit nehmen die Brutalität und die Häufigkeit dieser Fälle zu. In Indien und in einigen afrikanischen Ländern erleben wir eine regelrechte Hexenjagd auf Frauen. In ländlichen Gebieten in Kanada gibt es Mordserien. Und Italien hat vor einigen Jahren ein Gesetz gegen Frauenmorde verabschiedet. Das ist schon sehr bezeichnend. Während meiner Kindheit in Italien wurde über eine solche Tat monatelang gesprochen, so außergewöhnlich war das. Heute gibt es dort fast täglich Frauenmorde.
 
Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für diese Zunahme der Gewalt?
 
Frauenmorde stehen immer auch in einer Beziehung zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Sie sollen Angst machen und ein Gefühl des Terrors hervorrufen. Die genauen Ursachen variieren. In Lateinamerika etwa trifft es häufig Frauen, die in Regionen leben, in denen Mega-Projekte angesiedelt oder geplant sind, die der rücksichtslosen Ausbeutung von Rohstoffen dienen. Frauen stehen bei den Protesten der lokalen Bevölkerung oft in der ersten Reihe. Bringt man sie um, dann zeigt man damit der Gemeinschaft, dass Widerstand zwecklos ist. Ich bin Mitglied eines Netzwerks von Feministinnen aus verschiedenen Ländern. Gemeinsam tragen wir die weltweiten Entwicklungen zusammen und forschen nach den Ursachen für Gewalt gegen Frauen.
 

Silvia Federici,

geboren 1942 in Parma, ist Wissenschaftlerin und Aktivistin. Die emeritierte Professorin für Politische Philosophie und Women Studies lebt in New York und hat vor allem zu marxistischer und feministischer Theorie und dem Konzept der „Commons“ (Gemeingüter) publiziert.