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Lana Lux
Kukolka

Lana Lux
© Joachim Gern

»Keine Beine, kein Sex, keine Kinder, keine Fragen, keine Probleme«, sagte ich mit der Stimme meiner Meerjungfrau-Barbie. 
Lana Lux’ (geb. 1986) Spiegel-Bestseller-Debüt von 2017 ist eine barsche Geschichte darüber, was ein Mensch eigentlich aushalten kann. Über die Sehnsucht nach einer Barbie, die Herrschaft des Kapitalismus über den Körper und über Manipulation.

Von Ditte Hermansen



Wir treffen Samira in der Ukraine zu Beginn der 90er Jahre, wo sie in einem unbarmherzigen Kinderheim aufwächst. Ein grausamer Geniestreich von Lana Lux ist es, dass Samira die rücksichtslosen Bedingungen überhaupt nicht selbst realisiert. Das ist der rote Faden in dieser hardcore Coming-of-Age Erzählung vom unteren Rand einer osteuropäischen Gesellschaft.

Als Samiras einzige Freundin Marina von einer deutschen Familie adoptiert wird, beschließt Samira, aus dem Schlafsaal zu flüchten. Der Wunsch, Marina und ein Zuhause zu finden, ist der Beginn einer langen Reise: Ich dachte mir, wenn ich den Winter überlebe, dann kommen der Frühling und der Sommer. Da könnte ich gut Geld verdienen, und weil ich dann nichts mehr an Rocky abgeben müsste, würde ich mir ein Ticket nach Deutschland kaufen. Vielleicht.

Ein Stück Plastik wird zu Samiras Sehnsuchtssymbol, als Marina ihr eine echte Barbie aus dem Westen schickt. Die Puppe wird zu Samiras wichtigsten Besitz und in meiner Interpretation sowohl ein Bild für den westlichen Traum, sein eigenes Leben zu formen, als auch das tragische Bild für die hübsche Frau, dessen Existenzberechtigung allein der männliche Blick ist.


Vom Püppchen zur Ratte


Lana Lux: Kukolka © Ditte Hermansen Alle nannte man immer mit ihrem Namen, nur ich war erst Kukolka und dann Krysa. Von Püppchen zu Ratte. Ein derber Abstieg.

Samiras erster Reality-Check wartet auf sie am Bahnhof, von dem aus sie nach Deutschland reisen will. Geld ist alles in dieser schönen neuen Welt nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs. Als Samira Rocky trifft, scheint es, als würde sie das Glück aus einer verdreckten Ecke aus anlächeln. Es folgt das reinste Elend auf Elend; vom Betteln zum Klauen, vom Singen für Geld zu privaten Shows vor zwielichtigen Gestalten - von den Augen zu den Händen, und Schwupps sind wir beim Trafficking angelangt.

Ob Samira ihre Marina je findet, will ich an dieser Stelle nicht verraten, aber das Ende hat mich überrascht, so viel kann ich sagen. Kukolka ist eine Geschichte über Hoffnung und Schmerz, darüber, ein Zuhause zu verlassen, weil man nichts mehr hat. Lux wanderte selbst mit ihrer Familie nach Gelsenkirchen aus, als sie zehn war. Heute wohnt sie in Berlin und lebt davon, zu schreiben.

Ihr neuer Roman Jägerin und Sammlerin erschien letztes Jahr, der verflixte zweite Roman nach dem großen Durchbruch mit Kukolka. Ihr Debüt ist gerade in der Übersetzung von Ann-Claire Olsen auf Dänisch im relativ neu gegründeten Mikroverlag Klara W. erschienen, der bis jetzt sowohl neue als auch übersehene deutschsprachige Literatur im Programm hat.  

Als ich Lana Lux zu einem Interview in Berlin treffe, frage ich sie nach der Kinderperspektive im Roman: Das ungerechte Elend der Welt gesehen mit dem naiven Blick eines Kindes. Sie erzählt mir, dass Samira ohne den Barbie-Traum und den nahezu provozierend naiven Glauben an das Gute im Menschen nicht überlebt hätte. Trotzdem sind es die kurzen Augenblicke einer erwachsenen Wirklichkeit, die einem als Leser*in am meisten weh tun. Hinter diesem unheimlichen Gesicht war ein netter Mensch. Aber hinter manchen netten Gesichtern waren unheimliche Menschen.


 

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