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Behzad Karim Khani
Als wir Schwäne waren

Portrætbillede af Behzad Karim Khani
© Valerie Benner

Es sind die 90er Jahre. Die Welt ist dabei, sich nach dem Ende des Kalten Krieges neu zu ordnen. In Deutschland ist die Mauer gerade erst gefallen. Helmut Kohl ist Bundeskanzler. In deutschen Wohnzimmern läuft samstagabends Wetten, dass? und sonntags Tatort. Aus den Radios tönt Herbert Grönemeyer, Die Toten Hosen, Die Ärzte, während die „Cool Kids“ längst amerikanischen Hip-Hop und Rap auf ihren Walkmans, später dann Discmans. Man träumt von Stabilität und Wohlstand, von Europäischer Integration und von einer Zukunft ohne Krieg.

Von Florina Evers

TW: Häusliche Gewalt, Rassismus

Es ist die Zeit, in die uns der deutsch-iranische Autor Behzad Karim Khani in seinem zweiten Roman Als wir Schwäne waren zurückführt. Bereits von den ersten Seiten an, die an den Sohn des Ich-Erzählers gerichtet sind, spürt man, dass dieser Roman noch persönlicher und poetischer ist als sein preisgekrönter Debütroman Hund, Wolf, Schal. Der Nachfolger ist viel näher an Khanis eigener Biografie. Khani spricht darüber, wie seine eigene Vergangenheit zu einem „menschenfeindlichen Planeten“ wird, wenn er schreibt. Wie sieht es also auf diesem Planeten aus? Was passiert dort?

Als wir Schwäne waren ©Florina Evers Nach der Flucht aus dem Iran zieht Reza mit seinen Eltern in einen Wohnblock im Ruhrgebiet. Wenn seine Mutter abends kocht, riecht die Wohnung nach Zimt und Datteln. Der Duft lockt die anderen Kinder aus der Siedlung an, die zum Abendessen vorbeikommen, Rezas Mutter eine Mark geben und um Ketchup für den Reis bitten. Reza fühlt sich gedemütigt, als wäre seine Mutter die Angestellte seiner frechen Schulkameraden. Sein Vater schaut hilflos zu. Ein möglicher Grund, warum dieses Abendritual sich ohne Einwände wiederholt, liegt in ihrer Herkunft:

Aber wir (…) sind Perser. Man klopft nicht an unsere Haustür, fragt nach Essen und hört ein ‚Nein‘. Wir kennen kein ‚Kann ja jeder kommen‘, kein ‚Ich klopf ja auch nicht nachts an Türen‘, kein ‚Ich darf doch bitten‘. Unsere Sätze fangen nicht mit ‚Ich‘ an.
Behzad Karim Khani: Als wir Schwäne waren. Hanser, 2024.
Es kommen immer mehr Kinder, und das Abendessen bei ihnen wird zur Routine in der Siedlung. Niemand bedankt sich. In der Schule ignorieren die Jungen, die abends ihre Teller entgegenstrecken, Reza. Seine Eltern, gefangen in ihrem persischen Stolz, wissen nicht, wie sie dem ein Ende setzen sollen. Reza begreift schließlich, was zu tun ist, und schlägt am nächsten Tag in der Schule einen der besonders vorlauten Jungen zusammen.
Noch nie hat es an der Schule Gewalt von dieser Qualität gegeben. Der Junge kommt fünf, sechs Wochen lang täglich in einer anderen Farbe zur Schule. Violett. Grün. Blau. Gelb. Rot. Orange. Danach bin ich King.
Behzad Karim Khani: Als wir Schwäne waren. Hanser, 2024.
… und niemand klopft mehr an ihre Haustür. Stattdessen freundet sich Reza mit den Jungs aus der Siedlung an. Sie sind nun auf Augenhöhe. Und Reza hat gelernt, dass ihm in dieser Plattenbausiedlung, in diesem Deutschland, nichts geschenkt wird. Für Menschen wie ihn gibt es kein Entgegenkommen, keine Dankbarkeit, keine Verbundenheit. Wenn man etwas haben möchte, muss man es sich nehmen.

Gewalt ist kein Ausweg

Reza versucht, seinen Platz auf diesem „düsteren Planeten“ zu finden. Seine Mutter, die Psychologie studiert hat, blickt pragmatisch in die Zukunft und hofft auf bessere Zeiten für ihren Sohn. Sein Vater, der Dichter, ist in der Vergangenheit gefangen, geprägt vom Anblick seines kriegsgebeutelten Heimatlandes. Weder der Blick nach vorne noch der Blick in die Vergangenheit sind es, die Reza am Ende dabei helfen, durch die Gegenwart zu navigieren: Erst ist es die Gewalt, seine Rücksichtslosigkeit, die ihm Respekt im Viertel einbringt. Dann versteht er, dass er sich mit Gewalt zwar behaupten kann, dass sie ihm jedoch keinen Ausweg bietet - sie ist kein Raumschiff, die ihn auf einen anderen, lebenswerteren Planeten bringen kann. Diese Einsicht unterscheidet ihn von den anderen Jungs im Viertel, die eine Haftstrafe nach der anderen absitzen, immer kruder und brutaler werden - auch weil sie nichts außer Gewalt vorgelebt bekommen haben. So zum Beispiel Seda, ein stiller, hinterhältiger Junge aus der Siedlung, der zuhause der häuslichen Gewalt seines Vaters ausgesetzt ist:
Die Wunden, die auf seinem Rücken kreuz und quer sein T-Shirt durchnässen, sind linienförmig. Sein Vater hat ihn mit dem Gürtel durchgepeitscht, als wollte er ihn durchstreichen.
Behzad Karim Khani: Als wir Schwäne waren. Hanser, 2024.
Das Zitat ist ein gutes Beispiel für Khanis Sprache, die so körperlich ist, dass man die Gürtelhiebe fast am eigenen Körper spürt. Und andererseits ist da die Schönheit der Sprache, die selbst in der Brutalität Metaphern findet.

Am Tiefpunkt entgeht Reza knapp der Gefängnisstrafe, lernt aus seinen Fehlern und durchbricht die Spirale der Gewalt, die er sowohl innerhalb als auch außerhalb seiner Community erfährt. Seit den Jahren, die Khani in seinem Roman schildert, hat sich Deutschland verändert. Seit 2015 haben sich flüchtlingsfeindliche und rassistische Angriffe mit jedem Jahr vervielfacht. Dennoch ist allein die Existenz dieses schönen, traurigen, brutalen und erschütternden Romans Grund für Hoffnung. In den letzten Zeilen des Briefes an seinen Sohn schreibt der Ich-Erzähler:
Ich will etwas Anderes für dich. Etwas Anderes von dir. Ich will, dass du wählen kannst. Dass in dir mehr steckt als in mir. Mehr als immer dieselbe Antwort. Deshalb schreibe ich dir dieses Buch.
Behzad Karim Khani: Als wir Schwäne waren. Hanser, 2024.
Behzad Karim Khani wurde in Teheran geboren und wuchs in einer Künstlerfamilie auf. Er war noch keine zehn Jahre alt, als er mit seinen Eltern nach Deutschland kam und sie sich im Ruhrgebiet niederließen. Seit 2003 lebt er in Berlin-Kreuzberg. Sein Debütroman Hund, Wolf, Schakal erschien 2022 bei Hanser Berlin.

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