Simoné Goldschmidt-Lechner
Stadtschreiberin 2025
Im August 2025 ist Simoné Goldschmidt-Lechner als Stadtschreiberin in Helsinki. Im Rahmen ihres Aufenthalts wird Goldschmidt-Lechner vor Ort kurze Texte veröffentlichen und bei Literaturveranstaltungen auftreten.
Von März 2019 bis September 2021 war Goldschmidt-Lechner Mitherausgeberin der BELLA triste. Sie war bei PROSANOVA 2020 Teil der Künstlerischen Leitung und verantwortlich für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Marketing und hat 2021 zum Streaming-Release von No hard feelings/FUTUR DREI das Onlinefestival Futur 3.0 organisiert. Teil des BREAK ROOM. Seit 2022 Teil diverser Theater-, Performance- sowie Filmprojekte. Gibt das Literaturmagazin process*in mit heraus.
Für ihre schriftstellerische und interdisziplinäre Arbeit hat Goldschmidt-Lechner mehrere Stipendien und Auszeichnungen erhalten, darunter das Schloss Solitude Stipendium (2023/24).
Veranstaltungen in Finnland
Goldschmidt-Lechner wird am 23. August beim Seikka II: Installationskonzert des Runokuu-Literaturfestivals zu sehen sein.Finnland-Blog
Als ich in Helsinki lande, ist es noch Sommer. Die Sonne verweigert noch knapp ihren herbstlichen, früheren Untergang und das “Runokuu / Poetry Moon Literature Festival” ist in vollem Gange. Es findet statt in den Räumlichkeiten des Tekstin Talo („Haus des Textes“), veranstaltet von der Literaturinstitution und -zeitschrift Nuoren Voiman Liitto. Das Wochenende verbringen wir (Ich bin in Begleitung; M. übernimmt die Care-Arbeit, wie so häufig) noch damit, das Sibelius-Monument aufzusuchen, uns einzufinden und festzustellen, dass es in ganz Helsinki keine Möglichkeit gibt, einen analogen Metro-Pass für etwas anderes als Single-Tickets zu bekommen. Die App auf unseren Handys kann trotz mehrfacher Anläufe einfach nicht verifiziert werden. In ganz Helsinki? Nein, im Einkaufszentrum in Pasila gibt es noch eine letzte Bastion, die wir ein paar Tage später aufsuchen, um dort brav eine Nummer zu ziehen. Trotz des hohen Preises kaufen wir außerdem Museumspässe, da sich das bei den hohen Einzeleintrittspreisen trotzdem lohnt, laufen verzückt durch das Ateneum und saugen Atmosphäre und Mystik ein. Auch meine nerdigen Seiten werden hier bedient: Immerhin sind die finnische Sprache und Mythologie, allen voran die Aufarbeitung der Kalevala-Ausgabe von Elias Lönnrot, wesentliche Inspirationsquellen für Tolkiens Herr der Ringe gewesen. Szenen aus Lönnrots Kalevala hat der finnische Maler Akseli Gallen-Kallela in Bildern umgesetzt, die auch im Ateneum hängen.
Natürlich ist die Kalevala-Saga auch Bestandteil einer Ende des neunzehnten Jahrhunderts erstarkenden Nationalromantik in Finnland, die in der rechtskonservativen bis -radikalen Politik des Landes auch heutzutage wieder eine Rolle spielt. Es ist lange her, dass ich zuletzt in Finnland war, von den Zwischenstopps in Helsinki am Flughafen einmal abgesehen. Damals habe ich noch in einem anderen Leben wissenschaftlich gedacht und agiert. Ich war damals im Winter in Joensuu, ganz im Norden Finnlands an der russischen Grenze, bei Minus 20 Grad, aber Sonnenschein, und in Jyväskylä, das zwischen Seen gelegen ist, im Hochsommer. Helsinki hat selbstverständlich einen anderen Rhythmus. Mehr Menschen auf den Straßen, mehr Sperlinge. In regelmäßigen Abständen trifft man auf Uniformierte, uns begegnen auch öfter Proteste von Ukrainer*innen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten. Das Finnland von vor zehn Jahren, beinahe unbekümmert, ist verändert. Man merkt, dass es eine Unsicherheit gibt, die sich durch alle Bereiche des täglichen Lebens zieht.
Auf dem Runokuu-Festival trete ich in dieser ersten Woche auch auf: Einmal am Donnerstag in einem Line-Up großartiger Dichter*innen aus aller Welt bei der Caisa Poetry Night. Neben Yaseen Ghaleb, Siri Berzelius, Sumaya Jirde Ali und mir tritt auch die Übersetzerin des kurdischen Lyrik-Superstars Abdulla Pashew auf, der am Schluss auch selbst ein Gedicht vorträgt. In der Installation und dem Konzert zu Seikka II lesen der Lyriker Tuukka Pietarinen, der mittlerweile nicht nur Lyriker, sondern auch Medizinstudent ist, und ich in einer Soundinstallation von Priss Niinikoski zu einer großartigen Komposition von Olli Moilanen. Festivalleiter Kimmo Kallio performt die Übersetzungen meiner Gedichte von Reetta Karjalainen, deren übersetzerisches Feingefühl mir im bisherigen E-Mail-Austausch sehr imponiert hat. Auch an einigen anderen Events können wir teilnehmen und sind beeindruckt von der Bandbreite an lyrischer Performance-Art, Installation, Lesung und Diskussion, die das Festival zu seinem zwanzigjährigen Bestehen zu bieten hat.
Diese erste Woche in Helsinki hat viel in mir angestoßen und ich freue mich sehr auf die noch kommende Zeit.
Natürlich ist die Kalevala-Saga auch Bestandteil einer Ende des neunzehnten Jahrhunderts erstarkenden Nationalromantik in Finnland, die in der rechtskonservativen bis -radikalen Politik des Landes auch heutzutage wieder eine Rolle spielt. Es ist lange her, dass ich zuletzt in Finnland war, von den Zwischenstopps in Helsinki am Flughafen einmal abgesehen. Damals habe ich noch in einem anderen Leben wissenschaftlich gedacht und agiert. Ich war damals im Winter in Joensuu, ganz im Norden Finnlands an der russischen Grenze, bei Minus 20 Grad, aber Sonnenschein, und in Jyväskylä, das zwischen Seen gelegen ist, im Hochsommer. Helsinki hat selbstverständlich einen anderen Rhythmus. Mehr Menschen auf den Straßen, mehr Sperlinge. In regelmäßigen Abständen trifft man auf Uniformierte, uns begegnen auch öfter Proteste von Ukrainer*innen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten. Das Finnland von vor zehn Jahren, beinahe unbekümmert, ist verändert. Man merkt, dass es eine Unsicherheit gibt, die sich durch alle Bereiche des täglichen Lebens zieht.
Auf dem Runokuu-Festival trete ich in dieser ersten Woche auch auf: Einmal am Donnerstag in einem Line-Up großartiger Dichter*innen aus aller Welt bei der Caisa Poetry Night. Neben Yaseen Ghaleb, Siri Berzelius, Sumaya Jirde Ali und mir tritt auch die Übersetzerin des kurdischen Lyrik-Superstars Abdulla Pashew auf, der am Schluss auch selbst ein Gedicht vorträgt. In der Installation und dem Konzert zu Seikka II lesen der Lyriker Tuukka Pietarinen, der mittlerweile nicht nur Lyriker, sondern auch Medizinstudent ist, und ich in einer Soundinstallation von Priss Niinikoski zu einer großartigen Komposition von Olli Moilanen. Festivalleiter Kimmo Kallio performt die Übersetzungen meiner Gedichte von Reetta Karjalainen, deren übersetzerisches Feingefühl mir im bisherigen E-Mail-Austausch sehr imponiert hat. Auch an einigen anderen Events können wir teilnehmen und sind beeindruckt von der Bandbreite an lyrischer Performance-Art, Installation, Lesung und Diskussion, die das Festival zu seinem zwanzigjährigen Bestehen zu bieten hat.
Diese erste Woche in Helsinki hat viel in mir angestoßen und ich freue mich sehr auf die noch kommende Zeit.
Der Himmel über Helsinki wird in dieser Woche grauer, und wir, Gäste dieser Stadt, besuchen die Orte, die alle besuchen: Amos Rex, mit einer Ausstellung zu Empathie von Enni-Kukka Tuomala und einer Ausstellung von Anna Estarriola, und Akseli Gallen-Kallelas Haus, nunmehr ein Museum in Espoo. Über die Rolle Gallen-Kallelas im erstarkenden finnischen Nationalismus habe ich im letzten Beitrag kurz geschrieben, doch erwähnenswert ist vielleicht auch, dass er Teil der nationalistischen weißen Armee war. Vom gegenüberliegenden Café aus blickten wir auf einen See, auf dem ein schwarzer Schwan einsam seine Kreise zog. Ich frage mich, was mich daran stört, als Touristin erkannt zu werden, oder das zu tun, was alle tun. Vielleicht müssen wir uns vom Gefühl der Einzigartigkeit, des Exzeptionalismus, lösen. Vielleicht steht das der tatsächlichen Community im Wege.
Das schönste Bild diese Woche: ein junger Sanitäter, der zwischen Arabisch und Finnisch codeswitchte, und auf einer Parkbank vor Kamppi Spatzen fütterte.
Das schönste Bild diese Woche: ein junger Sanitäter, der zwischen Arabisch und Finnisch codeswitchte, und auf einer Parkbank vor Kamppi Spatzen fütterte.
Meine vorletzte Woche in Helsinki beginnt, etwas angeschlagen, mit der Überfahrt in eine andere Stadt: In Tallinn ist gerade Schulbeginn, und eine Vielzahl an Kindern und Jugendlichen in Schuluniformen, teilweise mit Blumen, kommen uns entgegen. Eine Überfahrt nach St. Petersburg ist von Helsinki aus zwar nicht mehr möglich, aber nach Tallinn kommt man innerhalb von zwei Stunden. Im mittelalterlichen Stadtkern ist nicht viel zu spüren von der Unsicherheit, die auch Estland umtreibt zu Zeiten geopolitischer Veränderungen.
Die Woche ist gespickt von den letzten Sommertagen, den letzten langen Schreibnachmittagen und Besuchen in Cafés und Museen. Am Dienstag, den 9.9., wird es noch eine Lesung am Germanistikinstitut der Universität Helsinki im Kurs von Dr. Christian Rink geben. Nachdem ich diesen Text vervollständigt habe, werde ich dafür, so hoffe ich zumindest, noch ein wenig Zeit haben, ein paar Slides zusammenzustellen.
Mein Aufenthalt hier war geprägt von vielen neuen Eindrücken, die sich in mein Schreibprojekt über Sicherheit(sgefühle) und Bedrohung einfügen, und neuen Fragen dazu, was Literatur in diesen Zeiten anstoßen, verändern, erhalten kann. Zu sagen bleibt mir nur: Es war sehr schön, und näkemiin!
Die Woche ist gespickt von den letzten Sommertagen, den letzten langen Schreibnachmittagen und Besuchen in Cafés und Museen. Am Dienstag, den 9.9., wird es noch eine Lesung am Germanistikinstitut der Universität Helsinki im Kurs von Dr. Christian Rink geben. Nachdem ich diesen Text vervollständigt habe, werde ich dafür, so hoffe ich zumindest, noch ein wenig Zeit haben, ein paar Slides zusammenzustellen.
Mein Aufenthalt hier war geprägt von vielen neuen Eindrücken, die sich in mein Schreibprojekt über Sicherheit(sgefühle) und Bedrohung einfügen, und neuen Fragen dazu, was Literatur in diesen Zeiten anstoßen, verändern, erhalten kann. Zu sagen bleibt mir nur: Es war sehr schön, und näkemiin!