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New Stages Southeast:
Stage Readings

Über den Mentorenprozess

Bild ©Katarina Zlatec Ein Jahr lang am eigenen Theaterstück arbeiten zu können und es in unterschiedlichen Umfeldern und im Rahmen von diversen Workshops auszuprobieren, ist eine Gelegenheit, die sich kroatischen Dramatikern selten bietet. Deshalb ist das internationale New-Stages-Southeast-Projekt des Goethe-Instituts von großer Bedeutung und ich freue mich, dass ich als Mentor von fünf Teilnehmer*innen daran beteiligt war.

Schon vor Beginn des Workshops war ich überrascht von der Anzahl an Bewerber*innen und den aufrichtigen Motivationsschreiben, die nur bestätigten wie sehr die kroatische Dramatik ein solches Projekt braucht. Denn außer der Betreuung durch Mentoren bietet sich ein Jahr lang die Möglichkeit zahlreicher Fachreisen, im Rahmen derer ein Theatertext vom erweiterten Einfluss unterschiedlicher Künstler bereichert wird. Bei der Auswahl der Bühnenautor*innen haben wir Armut als allgemeines Thema festgelegt. Armut, die geistigen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Charakters sein kann. Das Thema ist breit genug gefasst, um niemanden zu diskreditieren, regt die Teilnehmenden aber auch zum aktiven Nachdenken über ein zeitgenössisches soziales Thema an. Bei der konkreten Auswahl untersuchten wir nicht, wer sich mit dem Thema mehr oder weniger befasst. Anstatt dessen wählten wir Dramatiker*innen, die uns am interessantesten schienen und deren Texte sich auf die ein oder andere Weise mit dem auseinandersetzen, was wir jetzt und hier leben. Das internationale Konzept des Projekts ermutigte uns dazu, Theaterstücke auszusuchen, die anderen auf originelle und authentische Weise etwas über uns zu sagen haben.

Alle beteiligten Dramatiker*innen sind schon ausgeprägte schriftstellerische Persönlichkeiten, weshalb die Arbeit mit ihnen durch ausgewählte Texte und das Ziel bedingt war, einen schon begonnen Text so authentisch wie möglich zu Ende zu bringen.  Authentizität und Dickköpfigkeit bei der Suche nach der eigenen Ästhetik anzuregen und zur erneuten Motivation anzuspornen, gehörten meinem Empfinden nach zu meinen Hauptaufgaben als Mentor. Im Laufe eines Jahres entstanden unterschiedliche Theaterstücke, die diese Autor*innen im besten Licht präsentieren, durch Themen, die ihnen nahe stehen und durch einen Schreibstil der nur der ihre ist.

Filip Jurjević hat seinen Theatertext „Kuća“ (Das Haus) zu Ende gebracht, der sich mit einer Vielzahl von Themen befasst - von Freundschaft und Familie bis hin zur Frage, was es bedeutet, Mensch zu sein. Diverse Genres, und sogar Elemente des Horrors, ließen ein Text entstehen, der auf die beste Weise all die Fülle und Eklektik dieses äußerst interessanten Autors darstellt.

Lucija Klarić arbeitete am Text „35 kvadrata ili Nigdjezemska“ (35 Quadratmeter oder Nirgendwoland) über die Generation der Jahrtausendwende. Als die Regierung eines unbestimmten Staates eine Sozialwohnungsmaßnahme für junge Menschen bis zum Alter von 33 Jahren einleitet, landen fünf einander unbekannte Mieter im selben Raum von nur 35 Quadratmetern, wo sie beengt und vom System und der Welt ausgetrickst zu wohnen beginnen. Ein Stück, das klaustrophobisch, hoffnungslos, jedoch mit viel Humor und Empathie von der Jugend von heute erzählt.

Ana Perčinlić arbeitete am Text „Opsada kule od bjelokosti“ (Belagerung des Elfenbeinturms). Die Idee für dieses Stück ist inspiriert von der akuten Jugendarbeitslosigkeitsproblematik in Kroatien. Anhand einer interessanten Struktur wird eine ganze Bandbreite an Figuren miteinander verflochten, die in der Gegenwart umherirren. Sie fragen sich, wo und wie sie leben sollen, und am meisten fragen sie sich, wie sie überleben sollen. 

„Možeš biti sve što želiš“ (Du kannst alles sein, was du willst) von Ivana Vuković beschäftigt sich mit der sog. Frauenfrage und stellt diese auch gleichzeitig in Frage. Indem sie schon auf konzeptueller Ebene sprachliche Diskriminierung und Chauvinismus hinterfragt, hat sie einen mächtigen Theatertext geschrieben, der uns Seite für Seite mit unseren eigenen Vorurteilen konfrontiert.

Anita Čeko bewarb sich mit dem Text „Što ćemo ostaviti u kadru“ (Was behalten wir im Bild) über eine junge Frau namens Luce, die in ihr Elternhaus in Split zurückkehrt, um einen Dokumentarfilm über ihren Vater und ihre Familie zu drehen. Der Vater Franko arbeitete jahrelang als Angehöriger von Friedensmissionstruppen in der ganzen Welt, während er seine Familie allein zurückließ.
Anita spielt anhand einer interessanten Struktur mit der Form des Theaters, indem sie Elemente einbringt, die primär zum Schreiben von Drehbüchern gehören. Wegen seiner Komplexität ist der Text noch immer in Arbeit, weshalb wir hier Anitas Text „Daleko je Kandahar“ (Kandahar ist weit) vorstellen, der während des Workshops beendet wurde und mit dem Anita auch in den Workshop aufgenommen wurde. „Daleko je Kandahar“ ist ebenfalls ein Familiendrama über die Trennung einer Familie aufgrund der Abwesenheit des Vaters. In gewisser Weise ist es ein Vorläufer des Textes „Što ćemo ostaviti u kadru“.

Alle Texte sprechen lautstark und kompromisslos darüber, was wir alle gemeinsam leben und deshalb hoffe ich, dass deren Vorstellung nur der Beginn ihres Weges ist.

Ivor Martinić

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