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Sprechstunde – die Sprachkolumne
Die Sommersprosse ist rund

Illustration: Ein Torwart hechtet nach einem Ball; Sprechblase mit der Aufschrift: „Spielgerät“
Der Torwart hechtet nach dem Spielgerät | © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Keine Sprache ist so blumig wie die des Sports. Das zeigt ein Blick auf Fußballplätze rund um den Globus.

Von Stephan Reich

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber meine liebste Situation in einem Fußballspiel ist, wenn ein Spieler seinem Mitspieler einen kleinen Keks gibt, dieser mit der Sommersprosse zur Scheibe ansetzt oder vielleicht die Blumen arrangiert, um mit der Heiligen dann am Krabbenfänger vorbei die Spinnweben wegzumachen, idealerweise mit der Schöpfkelle. Da geht mir wirklich das Herz auf.

Klar soweit? Nein? Sprechen Sie nicht fließend Fußball? Dann möchte ich so frei sein und übersetzen. Obiger Satz besteht aus Partikeln der wunderbaren internationalen Fußball-Umgangssprache und bedeutet: Meine liebste Situation in einem Fußballspiel ist, wenn ein Spieler einen Zuckerpass auf seinen Mitspieler spielt (einen kleinen Keks geben, Polen), dieser mit dem Ball (Sommersprosse, Kolumbien) zum Tunnel (Scheibe, Peru) ansetzt oder vielleicht einen Übersteiger (die Blumen arrangieren, China) macht, um den Ball (die Heilige, Ecuador) dann am schwachen Torwart (Krabbenfänger, Indien) vorbei in den Winkel zu schießen (die Spinnweben wegmachen, Kroatien), idealerweise per Lupfer (Schöpfkelle, Russland). 

Gib der Mannschaft Schokolade

Die Bei­spiele stammen aus dem höchst anregenden Buch Do you speak Foot­ball des Briten Tom Wil­liams, und ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Man kann Stunden mit der Lektüre verbringen. Stunden, an deren Ende die Erkenntnis steht, dass keine Sprache blumiger ist als die des Fußballs bzw. des Sports generell.

Das mag der ein oder andere Linguist für ein pfan­nen­ge­rührtes Flug­zeug (Schuss weit drüber, China) halten, aber ich bleibe dabei. Denn der Einfallsreichtum all jener, die irgendwo auf der Welt kicken, scheint grenzenlos. Verpasst man einer Mannschaft in Brasilien eine Abreibung, gibt man ihr Schokolade. In Bulgarien schlägt man den Gegner wie eine Hochzeitstrommel. In Venezuela tanzt man mit ihm den Joropo, also den Nationaltanz. Und davon mal abgesehen: Was soll das eigentlich sein, eine Abreibung?

Nun, „eine pflegende Massageform zur Anregung des Kreislaufs und Förderung der Durchblutung“, sagt zumindest Wikipedia. Dennoch: Ich hoffe, dass irgendwo in Brasilien, Bulgarien, Venezuela oder einem anderen Land jemand sitzt und sich wundert, wie die sonderbaren Deutschen wohl darauf kommen, man reibe was auch immer von wo oder wem auch immer ab, wenn man eine andere Mannschaft deutlich besiegt. Denn das ist ja bei vielen Fußballbegriffen der Zauber: Ihre völlig mysteriöse Etymologie. Warum „gibt man jemandem Schokolade“? Das ist doch eigentlich sehr nett. Warum ist in Russland die direkt verwandelte Ecke „das trockene Blatt“? Das Kreuzeck in Algerien, „wo Satan lebt“? Warum spricht man in Dänemark vom „Papagei“, spielt jemand einen Pass mit dem Außenrist. Ein Pass, der in Kenia übrigens, warum auch immer, der eigenartig spezifische „Nasa-Pass“ wäre. Und angesprochenes „pfannengerührtes Flugzeug“ in China, das poetisch und erstaunlich klobig zugleich klingt? Dieser Wunsch wird vergeblich sein, aber ich wünschte, der chinesische Fußballer bzw. Fußballerin, der diesen Ausdruck erstmals benutzte, bevor er sich sonderbarerweise im Sprachgebrauch etablierte, würde mir erklären, was zum Geier er damit meinte. 

Weltweite Muster

Die gefühlte Unerklärlichkeit gilt freilich nicht für alle Begriffe, es offenbaren sich vielmehr auch diverse Muster und Parallelen. Ist der schwache Keeper hierzulande der Fliegenfänger, fängt auch anderswo allerlei Getier, etwa die indischen Krabben, Vögel in Argentinien oder Schmetterlinge in Ungarn. Klar, Bälle fängt er ja nicht.

Noch universaler ist die Fußballsprache, wenn es darum geht, jemanden auszuspielen. Als hätten sich die Kicker der Länder stillschweigend drauf geeinigt, schickt man seinen Gegenspieler mithilfe seiner fußballerischen Fähigkeiten irgendwo hin: wahlweise zum Hot-Dog-Stand (Schweden), auf den Basar (Türkei), in die Grund­schule (Panama), in den Wald (Hol­land), Börek holen (Bos­nien), zum Bier­stand (Bul­ga­rien), Kaffee holen (Est­land) oder auf den Stuhl (Kenia). 

Technokratensprech oder Poesie

Das Spielerische des Sports schlägt sich umweglos in seiner Sprache nieder. Wobei auch hier interessant ist, wie sich die Zuschreibungen mitunter unterscheiden können. Ist der Ball hierzulande das trostlos-technische „Spielgerät“ oder das antiquiert-handwerkliche „Leder“, wird er vor allem in Südamerika sehr viel poetischer umschrieben, eben als Sommersprosse (Kolumbien), Heilige (Ecuador) oder, auch wunderschön, die „kleine Pummelige“ (Bra­si­lien). Gehen die Spieler und Spielerinnen dort liebevoller mit der Sprache um, weil sie auch – so zumindest das Joga-Bonito-Klischee – liebevoller mit dem Ball umgehen? Oder anders ausgedrückt: Wenn man in der Lage ist, dem Gegner mit einem elaborierten Trick „den Hut aufzusetzen“ (Brasilien), baut man dann möglicherweise auch eine größere emotionale Nähe zum Ball auf? Während in Deutschland Martin Kree „das Spielgerät“ „aus der zweiten Reihe“ „in die Maschen“ „prügelt“?

Ich weiß es nicht. Vielleicht schreibe ich Tom Williams eine Mail und frage ihn, möglicherweise hat er ja eine Theorie dazu. Aber erst schicke ich mich Kaffee holen und gebe mir Schokolade. Und das ganz unmetaphorisch. 
 

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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