Muslime in Deutschland
Religiös in einem säkularen Land

Angekommen in Deutschland: junge Muslime
Angekommen in Deutschland: junge Muslime | Foto (Ausschnitt): Eugenio Marongiu © stock.adobe.com

Etwa 4,5 Millionen Muslime leben in Deutschland. Die großen Verbände sind theologisch konservativ, doch die islamische Gemeinschaft wird zunehmend vielfältiger.

Der 16. Juni 2017 war ein wichtiger Tag für die Frauenrechtlerin Seyran Ateş und für den Islam in Deutschland. Mit ihrer ersten Freitagspredigt eröffnete sie an diesem Tag die von ihr gegründete Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. 20 Fernsehteams aus aller Welt verfolgten die Zeremonie. Denn in der neuen liberalen Moscheegemeinde predigen Frauen nicht nur, sondern sie beten unverschleiert und gemeinsam mit den Männern in einem Raum. Das gab es bisher nur in den USA und Großbritannien.

Die Eröffnung der kleinen liberalen Moschee wurde auch deshalb zum großen Medienereignis, weil die Mehrheit der etwa 4,5 Millionen Muslime in Deutschland religiös konservativ eingestellt ist. Auch die vier großen islamischen Dachverbände sind theologisch konservativ ausgerichtet. Doch niemand weiß genau, wie viele der Muslime in Deutschland überhaupt religiös sind und ihren Glauben praktizieren. Die Verbände und Moscheen führen keine Mitgliederlisten, die Behörden keine Moscheenregister.
Glaubensrichtung der Muslime in Deutschland Glaubensrichtung der Muslime in Deutschland | Quelle: „Islamisches Gemeindeleben in Deutschland“, BAMF im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz

Religion als Heimatersatz

Die Deutsche Islam Konferenz gibt die Zahl der muslimischen Gebetsstätten mit 2.600 an, darunter etwa 150 „klassische“ Moscheen, also Bauten mit einer Kuppel und meist auch einem Minarett. Mit 900 Moscheegemeinden ist die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) der größte Moscheeverband in Deutschland. Er ist der Religionsbehörde in Ankara unterstellt und predigt einen religiös konservativen Islam. Denn die ersten Muslime, die ab den 1960er-Jahren in größerer Zahl nach Deutschland kamen, waren sogenannte Gastarbeiter aus der Türkei. Viele stammten aus den ländlichen Regionen Anatoliens, wo die Bevölkerung einem traditionellen, meist sunnitischen Islam angehört. Sie und ihre Kinder und Enkel machen immer noch gut die Hälfte aller Muslime in Deutschland aus. In den 1980er-Jahren kamen Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem arabischen Raum hinzu, in den 1990er-Jahren viele Bosnier. Mehr als die Hälfte der etwa 900.000 Menschen, die 2015 in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchten, stammte aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und Eritrea.

Die Religion war für viele der ersten Einwanderergeneration Heimatersatz und hatte eine  wichtige soziale Funktion: Man traf sich, tauschte sich aus über die alltäglichen Schwierigkeiten, organisierte Hochzeiten und Nachbarschaftshilfe. Da es billig sein musste, versammelten sich die Gläubigen in Hinterhöfen, in aufgelassenen Fabriketagen, leer stehenden Supermärkten und Kellern. Vor etwa 20 Jahren begannen die ersten Gemeinden, repräsentative Moscheen zu errichten und mit ihrem Glauben selbstbewusst in die Öffentlichkeit zu treten. Denn die Religiosität hat in der Generation der Kinder und Enkel der Einwanderer zugenommen, wie die Studie Religionsmonitor 2017 der Bertelsmann Stiftung ergab.
Herkunftsregionen der Muslime in Deutschland Herkunftsregionen der Muslime in Deutschland | Quelle: „Wie viele Muslime leben in Deutschland“, BAMF im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz 2016

Wiederkehrende Debatten

Deutschland ist ein säkulares Land. Staat und Religion sind getrennt, und der Staat mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Religionen ein. Gleichwohl steht er den Religionsgemeinschaften positiv fördernd gegenüber und kooperiert mit ihnen in vielen Bereichen, etwa in der Wohlfahrtspflege oder beim Religionsunterricht in den staatlichen Schulen. Elf der 16 Bundesländer bieten mittlerweile neben dem christlichen auch islamischen Religionsunterricht an, die ersten Universitäten haben Institute für islamische Theologie gegründet.

Die Hälfte der Muslime in Deutschland hat einen deutschen Pass, laut Religionsmonitor 2017 gehen 81 Prozent einer Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung nach und drei Viertel haben in ihrer Freizeit mit Nicht-Muslimen zu tun. Kurzum: Die Muslime in Deutschland sind ziemlich gut integriert. Dennoch gibt es Spannungen mit den nicht-muslimischen Nachbarn: Über fast jeden repräsentativen Moscheeneubau wird diskutiert, das Tragen von Kopftüchern und die Verschleierung von Musliminnen führt zu wiederkehrenden Debatten.

Ramadan und Christbaum

Abseits der bisweilen schrillen politischen Debatten leben viele Muslime ihren Glauben unauffällig und auch fernab von Moscheen. Sie fasten während des Ramadans, kaufen aber auch im Dezember einen Christbaum, weil sich die Kinder Weihnachten so wünschen, wie es die Mehrheit um sie herum feiert. Andere verstehen den Islam vor allem als kulturelle Prägung, die auch noch die Enkel mit der alten Heimat verbindet. Die Gesellschaft in Deutschland und auch die islamische Gemeinschaft werden zunehmend bunter, und in der jungen Generation wächst die Bereitschaft, dies für selbstverständlich zu halten. Aus den Muslimen in Deutschland werden allmählich deutsche Muslime.

Zum Dossier „Islam in Deutschland und in Bosnien und Herzegowina“