Deutsche Saison | Interview
Tobias Rehberger

Tobias Rehberger
©Tobias Rehberger

Traditionelle Märkte in Jakarta, auch pasar genannt, sind in den Augen der Einwohner beinahe genauso bunt und vielfältig wie die verschiedenen Kulturen, die in der Stadt ein Zuhause haben. Für diejenigen, die den Markt regelmäßig besuchen, ist er nicht nur ein Platz, an dem man frische Lebensmittel wie Gemüse und Fleisch und andere Waren wie Edelsteine oder gar Haustiere kaufen kann; der Markt repräsentiert auch Kontinuität in einer urbanen Struktur und eine Anbindung an vergangene Zeiten.

 

RuangRupa und Künstler aus Europa kreieren Werke für traditionelle Märkte

Es gibt wiederum andere, meist wohlhabende Stadtbewohner, die solch einer Ansicht widersprechen: für sie ist der Markt ein Schauplatz des Verbrechens, sie beklagen den chaotischen öffentlichen Transport und sehen ihn als unnötigen Anachronismus in Anbetracht der Supermärkte, Minimarts und anderen modernen Einkaufsmöglichkeiten, die es in Jakarta gibt. Für den deutschen Gegenwartskünstler Tobias Rehberger bergen Jakartas lebhafte und pulsierende Märkte enormes künstlerisches Potenzial. „Jakartas Märkte sind ein Mikrokosmos der Stadtbewohner“, sagt er. Zu einer langen Liste von Auszeichnungen zählt der 48-jährige auch den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig, den er 2009 erhielt.

Rehberger ist bekannt für seine innovativen Werke, mit denen er stets die Grenzen zwischen Kunst, Design und Architektur überschreitet. „Ihre Mischung aus Tradition und Moderne, auf individueller Ebene oder in der Beziehung zwischen Kunden und Verkäufern – und wie sie den kommunalen Charakter der Märkte und selbst Konflikte bilden – dies macht den Reiz der Märkte aus. Strukturen wie Essensstände, Restaurants und andere Geschäfte formen den Charakter der Märkte, und auch den Jakartas. Das ist die andere Seite ihrer Anziehungskraft“.

 

Ab zum Markt

Rehberger hofft, traditionelle Märkte zu finden, die seinen Vorstellungen bezüglich des künstlerischen Potenzials gerecht werden. Der Professor der Frankfurter Städelschule plant, fünf seiner Studenten mit indonesischen Künstlern des Kollektivs RuangRupa zusammenzubringen, damit diese gemeinsame Werke kreieren können.

Dieses Projekt ist ein Teil der Deutschen Saison, einer kulturellen Veranstaltungsreihe, die von September bis November stattfindet, organisiert vom Goethe-Institut, der Deutschen Botschaft Jakarta und der Deutschen Industrie-und Handelskammer. „Ein Ziel dieses Kunstprojekts ist es, die Rolle des Marktes in Jakartas organischem Wachstum zu sehen. Die Hauptstadt ist ein faszinierender urbaner Dschungel, der viele interessante Fragen aufwirft, da er wie ein unkontrollierbarer, chaotischer Dschungel wirkt, der sich ständig verändert, und dessen Grenzen verschwimmen“, sagt Rehberger.

Sein indonesisches Pendant, Ade Darmawan von RuangRupa, stimmt ihm zu. „Wir wollen die organische Entwicklung der Märkte untersuchen, in ihrer Funktion als Nebenprodukt chaotischer Stadtplanung und den Richtlinien der Regierung und Stadtverwaltung“, erklärt Ade. „Die Struktur der Märkte, die improvisierte Architektur und das Design, sowie die Interaktion der Menschen werden im Mittelpunkt stehen“, sagt Ade und fügt hinzu dass er bereits einige in Frage kommende Märkte wie Pasar Minggu und Pasar Persatuan Sepakbola Pemuda Tebet im Süden der Stadt ausgekundschaftet hat. „Die Künstler selber werden zwischen fünf und zehn Werke kreieren“, sagt er.

„Diese Werke bewegen sich zwischen zufälliger Kunst und anderen Medien mit unterschiedlicher Komplexität, je nachdem ob es sich um Soloprojekte oder interkulturelle Kollaborationen zwischen den europäischen und indonesischen Künstlern handelt“, sagt Ade. „Andere Themen, die für das Projekt aufgegriffen werden können, sind unter anderem Schutz vor Hochwasser, und wie dies für politische Zwecke missbraucht wird, die Auswirkungen von Gentrifzierung auf den Markt und die Öffentlichkeit, und wie die Märkte die Gemeinschaftlichkeit der Unterschicht repräsentieren im Gegensatz zu dem Individualismus der Mittel- und Oberschicht, die vom Kapitalismus geprägt ist“.
 

Kulturschock

Rehberger und Ade sagen dass ihre Studenten bereits eigenständige Künstler mit artistischen Visionen seien. „Ein Höhepunkt dieses Projekts ist die kulturelle Gegenüberstellung der europäischen Studenten und den Märkten, sowie die Auswirkungen des daraus resultierenden Aufeinanderprallen der Kulturen und Kulturschocks. „Dieser Schock, die Überraschungen und andere Reaktionen werden von den Künstlern in ihren Werken verarbeitet; es bleibt nicht beim reinen Beobachten ihrer Mitmenschen“, sagt Ade. „Ich bin überzeugt, dass der Marktplatz viele Herausforderungen für beide Seiten bereithält“. Rehberger stimmt zu. „Der vielseitige Hintergrund der Künstler aus der Städelschule, die ich mitbringe, wird ihnen hier sehr helfen. Sie können sehr gut mit den veränderten Rahmenbedingungen umgehen und dank ihrer künstlerischen Visionen, Aufgeschlossenheit und Anpassungsfähigkeit weiterhin produktiv sein, egal vor welche Herausforderungen man sie stellt“.

Die Studenten kommen aus Frankreich, Polen, Dänemark, Finnland und Deutschland. Einer von ihnen hat bereits einen Indonesien-Bezug. „Ich hoffe, Kunst zu kreieren, die sich an der Öffentlichkeit und ihren Ideen und Vorstellungen etwas Neues zu entwickeln orientiert, so dass die Werke auch nach Projektende nachklingen“, sagt der deutsche Künstler Edi Danartono Winarni, dessen Eltern aus Cilacap, Zentraljava kommen. „Aber vor allem habe ich durch dieses Projekt die Gelegenheit, mich meiner indonesischen Wurzeln zu vergewissern, und neue Wege zu finden, mit Jakarta als Stadt umzugehen“.

„Ich habe mich erschrocken, als ich die massiven Veränderungen gesehen habe, die Jakarta zu einer Millionenmetropole gemacht haben“, erklärt Edi. „Die täglichen Herausforderungen im Stadtverkehr und die mangelnde Infrastruktur, wie beispielsweise der Mangel an Bürgersteigen; ich war aber auch überrascht, wie gut sich die Bewohner Jakartas in diesem Chaos zurechtfinden. Ich freue mich darauf, diese Erfahrungen einzubringen und mich selbst zu kontextualisieren; ich bin gespannt darauf, wie dieses Projekt ausgeht“. Ein Kunstwerk von Edi war eine künstlerische Intervention in der holländischen Stadt Maastricht, die untersucht hat, wie die Natur Räume in der Stadt für sich zurückerobert. Seine künstlerische Vision und die seiner Freunde werden von der indonesischen Seite ergänzt – unter anderem von Angga „Acip“ Cipta und Riyan Riyadi. Angga ist bekannt für seine multimedialen „Überlebenstipps in Jakarta“, eine Serie von ironischen Illustrationen, die sich mit dem Leben in der Hauptstadt und seinen Tücken beschäftigt. Die Serie hat ihm viel Lob von Kunstkritikern eingebracht, sowohl zuhause als auch auf internationaler Ebene, u.a. aus Südkorea. Riyan wiederum ist ein Graffitikünstler, der besser unter seinem Alter Ego „The Popo“ bekannt ist. Derzeit als Lektor für Kommunikation in Ostjakarta tätig, machte sich The Popo einen Namen durch kritische Artinstallationen wie „For the Flyover, Game Over for the Trees“ und „Everything Can Be Up For the Setting, When It Comes to Ratings“, die sich mit Jakartas Stadtentwicklung und Fernsehlandschaften auseinandersetzten.

Rehberger ist überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen der Städelschule und RuangRupa auf Jakartas traditionellen Märkten zu interessanten Ergebnissen führen wird. Märkte, so sagt er, sind ein gutes Forum, um den künstlerischen Horizont zu erweitern. Für RuangRupa ist dies bereits die zweite Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut, nach Mahardika Yudha’s Videokunst „The Face of the Black River“ (2011). Wenn künstlerische Horizonte aufeinandertreffen, inspirieren sie uns dazu, die Welt um uns herum neu zu beobachten und definieren – ausgehend von einer ganz alltäglichen Erfahrung wie Einkaufen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jakarta Globe am 14. April 2015.

 

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