Berlinale 2023
Steven Spielberg: 50 Jahre Kinogeschichte

Steven Spielberg
Steven Spielberg | Foto (Zuschnitt): © Brian Bowen Smith. Courtesy Amblin Partners

Goldener Ehrenbär für Steven Spielberg, dem die Berlinale zu diesem Anlass eine eigene Retrospektive widmet. Mehr dazu hier.

Von Carlo Giuliano

Die Fabelmans ist eine der schönsten Oden an die Liebe zum Kino der jüngsten Vergangenheit. Als der Film herauskam, schrieb der Kritiker und Gründer von I 400 calci, Nanni Cobretti, dass eine der beiden besten Szenen darin die ist, in der der junge Steven Spielberg „entdeckt, dass das einzig wirklich Entscheidende für einen Filmemacher ist, den Unterschied zwischen langweilig und interessant zu kennen“. Ich habe in diesem Zusammenhang vom „Grund, warum wir Kino lieben“ geschrieben. Denn umgekehrt muss Kino „die Mauern einreißen, die wir errichten, um uns zu verteidigen und zu verstecken, und dabei gleichzeitig neue aufziehen, um einen sicheren Zufluchtsort zu schaffen, an dem wir uns geschützt fühlen“. Und genau das machen die Filme von Steven Spielberg seit 50 (+1) Jahren.

Hommage der 73. Berlinale

Es überrascht daher nicht, dass die 73. Berlinale – eines der renommiertesten internationalen Festivals der Welt, aber auch jenes mit dem stärksten Fokus auf Arthouse-Filme – einem „Mainstream“-Regisseur wie Steven Spielberg den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk verleiht. Denn ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, der Name Steven Spielberg hat die vergangenen 50 Jahre Kinogeschichte geprägt wie kein anderer, in Europa ebenso wie in Übersee und darüber hinaus. Doch die Berlinale würdigt nicht den Meister, sondern sein Werk, und widmet ebendiesem gleich die gesamte Sektion Hommage: Gezeigt werden 8 Filme, (mindestens) einer aus jedem Jahrzehnt.

Vom „Weißen Hai“ bis zu „Indiana Jones“

Für die 70er Jahre wurde Der weiße Hai (1975) ausgewählt, ein aus vielen Gründen bemerkenswerter Film, der darüber hinaus das Vertriebssystem in Hollywood grundlegend revolutionierte und „New Hollywood“ endgültig als den neuen Weg etablierte, um das Publikum zurück in die Kinos zu locken. Von diesem Zugang und diesen Ideen leben die Kinos bis heute. Aus den 80er Jahren werden die Filme E.T. – Der Außerirdische (1982) und Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes (1981) gezeigt. Auf dem Archetypen des Archäologen und Abenteurers aus letzterem basiert heute eine unendliche Vielzahl an entsprechenden Produkten, sei es in der Kino- oder der Computerspielbranche. Vor diesem Film hatte es so etwas einfach nicht gegeben.

50 Jahre Geschichte, Kino und Deutschland

Die drei auf der Berlinale gezeigten Filme aus der Zeit nach 1990 sind hingegen nicht fiktional. Denn Spielberg war von Anfang an auch ein Regisseur, der es verstand, von Dinosauriern aus dem Reagenzglas ebenso wie vom Olympia-Attentat 1972 zu erzählen. Und dabei jede dieser Geschichten entweder, wie in den meisten Fällen, in ein Meistwerk zu verwandeln oder sie zumindest zu unvergesslichen Marksteinen der Geschichte und jetzt auch der Kinogeschichte werden zu lassen. Das Interessante an der Auswahl für die Berlinale ist, dass damit drei Filmen Raum gegeben wird, die zugleich auch die Geschichte Deutschlands nachzeichnen – beziehungsweise dessen Geschichten, von denen die Deutschen in knapp einem halben Jahrhundert mehr erlebt haben als alle anderen. Das Schwarz-Weiß-Meisterwerk Schindlers Liste (1993) handelt vom Zweiten Weltkrieg, München (2005) vom Olympia-Attentat von München 1972 und Bridge of Spies – Der Unterhändler (2015) zeigt ein vom Eisernen Vorhang, Mauern und Brücken geteiltes Berlin.

Von „Duell“ bis „Die Fabelmans“

Aber um zu verstehen, wohin es geht, muss man wissen, von wo man aufgebrochen und wie weit man bereits gekommen ist. Spielberg ist jedenfalls eindeutig noch nicht am Ende seiner Reise angelangt, denn glücklicherweise hat er bewiesen, dass wir noch viel, sehr viel mehr von ihm lernen können. Um aber die vergangenen 50 (+1) Jahre seines Schaffens zu würdigen, werden auf der Berlinale nun sein erstes und sein aktuell letztes Werk gezeigt, wobei zweiteres sicherlich stärker den Charakter eines Nachlasses hat. Eines, nach dem ein großer Regisseur sagen kann, alles gesagt zu haben, auch wenn er potenziell noch viel zu sagen hat (und das auch tun wird). Die Rede ist von den beiden Filmen Duell (1971) und Die Fabelmans (2022). Zwei Meisterwerke, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch beide einem kinematografischen Verständnis entspringen, das sich trotz beständiger Weiterentwicklung und Veränderung stets selbst treu geblieben ist.

Steven Spielberg und der Horizont

Die Ausgangssituation von Duell ist genial, vor allem für ein Erstlingswerk. Und sie ist gefährlich alltäglich: Ein Autofahrer überholt einen Tanklaster, dessen Auspuff dringend eines Service bedarf. Der Tanklaster zieht nun wiederum am Autofahrer vorbei, der seinerseits nicht lockerlässt, hupt, und einmal zu oft überholt. Hätte er das nur nie getan. Es beginnt eine mörderische Verfolgungsjagd, während der das Gesicht des Lasterfahrers nie (nicht ein einziges Mal) zu sehen sein wird. Es ist das Gesicht des drohenden Todes, dem der Autolenker über zahllose Kilometer Asphalt durch die Weiten des amerikanischen Midwest zu entfliehen sucht. Was das Ganze interessant statt langweilig macht, ist der Horizont – wie es bei Steven Spielberg immer der Horizont war. „Wenn sich der Horizont im oberen Bereich des Bildes befindet, ist das interessant. Wenn sich der Horizont im unteren Bereich des Bildes befindet, ist das interessant. Wenn sich der Horizont in der Mitte des Bildes befindet, ist das sterbenslangweilig“, lernen wir fünfzig Jahre später in Die Fabelmans. Und wir können es nicht erwarten, ihn auf der 73. Berlinale noch einmal wiederzusehen.

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