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Max Mueller Bhavan | Indien

KI im Hochschulsektor
Wenn KI das Wissen bedroht

 Eine Illustration, die eine griechische Büste und das Pantheon symbolhaft darstellt.
Illustration: © Ricardo Roa

KI verändert das Wissen. Wie wirkt sie sich auf das Engagement der Studierenden aus? Welche Auswirkungen hat sie auf das Selbstverständnis von Universitäten? Und was bedeutet sie für den Stellenwert von kritischem Denken in der Wissenserzeugung? Diesen Fragen geht Jeppe Klitgaard Stricker nach.

Die Hochschulbildung befindet sich in einer Dauerkrise. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Falschinformationen und Desinformation, sondern um etwas, das sich als ebenso zerstörerisch erweisen könnte: Eine durch synthetisches Wissen verursachte Krise, mit der eine Verschmutzung unserer epistemischen Umgebung einhergeht und deren Zuge die Grundsätze dessen untergraben werden, was wir als Wissen, wissenswert und wahr erachten.

Natürlich liegt das Problem nicht darin, dass es KI-generierte Inhalte gibt. Sondern darin, dass diese Inhalte immer mehr wie Wissen erscheinen, obwohl sie doch die Mechanismen der Wissenslegitimation umgehen. Traditionelle Absicherungen wie Peer Reviews, wissenschaftliche Auseinandersetzungen und methodische Transparenz verlieren an Gewicht in einem Umfeld, in dem Glaubwürdigkeit weniger über Fachkenntnisse als vielmehr über sprachliche Überzeugungskraft erzeugt wird. Eine wohlformulierte, klar strukturierte und selbstbewusst vorgetragene Behauptung wird immer häufiger als Wissen oder Wahrheit akzeptiert, ungeachtet ihres epistemischen Gewichts.

Dabei geht es nicht nur darum, dass Studierende ihre Aufsätze mit Hilfe von ChatGPT schreiben. Sondern darum, dass ganze Institutionen wie Universitäten, Verlagshäuser und politische Entscheidungsgremien zunehmend mit KI-generierten Inhalten arbeiten, welche die Grenze zwischen menschlichem Verständnis und statistischer Plausibilität verwischen. Was geschieht, wenn sich diejenigen, die für die Wissenserzeugung verantwortlich sind, nicht länger sicher sein können, woher das Wissen kommt oder ob es auf den geistigen Leistungen beruht, die einmal das wissenschaftliche Arbeiten bestimmt haben?

Synthetische Überzeugung auf dem Vormarsch

Die Gefahr der generativen KI geht weder davon aus, dass sie hin und wieder halluziniertes Wissen produziert, noch besteht die Krise allein darin, dass die KI-Fehler macht. Fehler lassen sich korrigieren. Die Krise liegt darin begründet, dass die KI Inhalte schlüssig miteinander verbindet und Texte produziert, die sich derart gut an den Regeln der Argumentationsstruktur orientieren, dass sie eine Skepsis von vornherein ausschließen. Vor uns liegt eine Welt, die Wissen nicht mehr über Auseinandersetzungen und Debatten produziert, sondern anhand statistischer Prognosen zusammensetzt. Eine Welt, in der das scheinbar Glaubwürdige das Wahre ersetzt.

Studierende bekommen diesen Wandel schon jetzt zu spüren. Gibt man Kursteilnehmer*innen die Aufgabe, eine Argumentationsanalyse zu schreiben, werden heute viele als Erstes auf KI-generierte Interpretationen zurückgreifen. Die liefern klare und bekömmliche Antworten in geschliffenen Sätzen. Doch im Grunde sind sie nur Worthülsen, weil sie keine Interpretation an sich, sondern als Ersatz für eine wirkliche Auseinandersetzung eine scheinbar fachkundige Zusammenfassung bieten. Das Ergebnis ist nicht nur eine Generation von Studierenden, die sich mit dem vertieften Lesen schwertut, sondern auch eine Verschiebung der eigentlichen Bedeutung des Lesens. Dabei wird die eingehende Beschäftigung mit einem komplexen Text und das Verfassen einer wissensbasierten Antwort durch die Möglichkeit ersetzt oder zumindest ergänzt, in kürzester Zeit auf eine riesige Auswahl vorgenerierter Interpretationen zurückgreifen zu können.

Auf diese Weise schreitet die Krise durch synthetisches Wissen voran. Nicht durch komplette Falschinformationen, sondern durch einen schrittweisen Bedeutungsverlust der Kriterien, die zwischen Wissen und vermeintlichem Wissen differenzieren.

Die Mitschuld des Hochschulsektors

Universitäten sind in dieser aktuellen Krise des synthetischen Wissens keine unschuldigen Opfer. Sie tragen vielmehr zu ihrer Beschleunigung bei. Unter dem ständigen Druck, Mittel zu beschaffen, Forschung zu generieren, Zitate anzuhäufen und „maßgebliche Inhalte“ zu produzieren, hat sich ein Umfeld entwickelt, das Quantität über Wissensgehalt stellt. Forschung ist zu einer Ware geworden, und die generative KI verstärkt nur einen Trend, der bereits zu beobachten war: Die Kapitalisierung der Wissensproduktion, in der geistige Leistung zunehmend an Kennzahlen gemessen wird, die Geschwindigkeit und nicht Inhalte honorieren.

Ein Beispiel ist die Verbreitung von Paper-Mills-Artikeln in der wissenschaftlichen Forschung. Mit KI ist es inzwischen kinderleicht, plausibel klingende Forschungsarbeiten zu generieren, die vielfach in weniger renommierten Fachzeitschriften landen. Wie reagieren die Universitäten auf diese Entwicklung? Mit mehr Erkennungssoftware, zusätzlichen Plagiatsrichtlinien und anderen reaktiven Maßnahmen, die nicht auf das eigentliche Problem abzielen: Denn die akademischen Strukturen honorieren vor allem die Illusion von Produktivität und weniger die tatsächliche geistige Leistung. KI ist nicht die Krankheit. Sie ist das Symptom eines Systems, das bereits in der Vergangenheit messbare Ergebnisse über grundlegende Forschungsarbeit gestellt hat.

Was noch schlimmer ist: Viele Einrichtungen setzen auf KI mit dem Argument der Effizienz. Sie propagieren automatisierte Bewertungssysteme, KI-generiertes Feedback und algorithmische Lehrplangestaltung als Lösungen für eine administrative Überlastung. Doch welchen Zweck verfolgt diese Effizienz? Wenn die Bewertung einem System anvertraut wird, dass nicht zwischen engagierter Auseinandersetzung und oberflächlicher Kohärenz unterscheiden kann, gerät das Fundament der Hochschulbildung ins Wanken.

Wir haben ein Umfeld geschaffen, das sowohl Studierende als auch Lehrkräfte nahezu unbewusst zu einer eher leistungsorientierten als grundlegenden Beschäftigung mit Wissen verleitet. Natürlich wird nach wie vor fundierte Forschung betrieben und veröffentlicht. Doch selbst unter ernsthaftesten Wissenschaftler*innen ist Zeitdruck stets ein heimlicher Begleiter. Studierende sehen es nicht unbedingt als „Betrug“ im herkömmlichen Sinne, wenn sie sich Essay mit Hilfe der generativen KI prompten und das Ergebnis leicht überarbeiten – sie passen sich lediglich an ein Umfeld an, in dem Wissensproduktion zunehmend simuliert anstatt erarbeitet wird. Ist das falsch? Vielleicht – vielleicht nicht.

Die Zukunft des Wissens im Hochschulsektor

Der Hochschulsektor kann die epistemische Genauigkeit entweder durch Prozesse forcieren, die dem Wissen durch ein Umdenken in Lehre und Forschung Bedeutung verleihen, oder er kann weiter in eine Ära des ungehinderten und mühelosen Konsums geistiger Inhalte in einem Meer des synthetischen Wissens abdriften.

Dies ist kein Aufruf zur Technikfeindlichkeit. KI wird und muss einen Platz in der Hochschulbildung erhalten. Aber diesen Platz kann sie weder kritiklos noch mit dem alleinigen Argument eines Produktivitätsgewinns einnehmen. Denn es steht nichts Geringeres auf dem Spiel als die epistemische Integrität des gesamten Universitätsbetriebs. Wenn sich der Hochschulsektor mit KI-generierten Inhalten arrangieren kann, gibt er seine Rolle als Hüter der Forschung und der Neugier preis.

Ein solcher Wandel ist nicht leicht zu bewältigen. Dafür müssen Institutionen ihre Bewertungskriterien überarbeiten, die den Prozess über das Ergebnis stellen, den Wert disziplinärer Methoden bekräftigen, die sich nicht so leicht zusammenfassen lassen, und ihren Studierenden vermitteln, wie sie den Unterschied zwischen echtem Wissen und seinem synthetischen Gegenspieler erkennen. Das ist mit Sicherheit eine unbequeme und zeitraubende Aufgabe.

Doch die Alternative sieht schlimmer aus: Eine Zukunft, in der die Hochschulen nicht länger ein Ort der Wahrheitsfindung sind, sondern eine Schaltstelle für den Austausch wohlformulierter, aber inhaltsleerer Argumente, die fortwährend generiert und unbegrenzt verbreitet werden, völlig ohne die intellektuelle Auseinandersetzung, die einmal bestimmt hat, was es bedeutet zu wissen.

 

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