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Jyoti Shelar
„Völlig neue Informationslage“

Jyoti Shelar
© Jyoti Shelar

Die Covid-19-Pandemie hat alle Zugangs- und Informationsbarrieren zu Fall gebracht.

Von Chaitanya Marpakwar

Jyoti Shelar ist eine renommierte Gesundheitsjournalistin aus Mumbai. Sie hat für den Mumbai Mirror und The Hindu gearbeitet und schreibt inzwischen als selbständige Journalistin für internationale Zeitschriften wie die Washington Post.

Jyoti hat ausführlich über die Covid-19-Pandemie berichtet und dabei den Spagat zwischen herzzerreißenden Geschichten über menschliche Schicksale, sachlichen Nachrichtenmeldungen und sogar Datenartikeln geschafft. Aus Sicht von Jyoti sind mit der Pandemie alle Zugangsbarrieren gefallen, weil der Journalismus auf bisher ungekannte Weise umfassend digitalisiert wurde.

Auszüge aus dem Gespräch

Was waren die größten Herausforderungen bei der Vor-Ort-Berichterstattung und Nachrichtenerfassung?
 
Das Reisen war die größte Herausforderung. Zum ersten Mal konnten Reporter*innen wie ich nicht an den Ort des Geschehens fahren und von dort berichten. Krankenhäuser waren für mich nicht zugänglich und unerreichbar. Und selbst wenn ich Zugang erhielt, musste ich mich schützen. Was die Informationslage anbelangt, hat sich die Situation durch Covid-19 allerdings vollkommen geändert. Informationen waren viel leichter zugänglich. Die Behörden stellten Informationen zur Verfügung, obwohl sie es nicht gewohnt waren, über Videoanrufe mit Medienvertreter*innen zu sprechen oder Online-Konferenzen abzuhalten. Doch sie haben es trotzdem gemacht. Die Staatsbehörden haben ihre Abläufe also angepasst. Das war eine sehr wichtige Veränderung, die in der Vergangenheit nicht vorstellbar gewesen wäre.

Wie sieht es mit der Nutzung der sozialen Medien aus? Sie machen sehr häufig davon Gebrauch. Hat sich dies positiv auf ihre Arbeit als Journalistin ausgewirkt?
 
Meines Erachtens hatten die sozialen Medien eine positive Wirkung, weil sie mir den Zugang zu zahlreichen Informationen ermöglichten. Doch letzten Endes hat man bei der Arbeit auch immer wieder mit Fake News und Falschmeldungen zu kämpfen. Während der Pandemie machten zahlreiche Falschmeldungen die Runde. Es ist unsere Aufgabe als Journalist*innen, Fake News zu erkennen und zu bekämpfen. Allerdings machte ich mir um die normale Bevölkerung Sorgen. Im Bereich Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten waren unzählige Fake News unterwegs, und die Menschen waren sehr empfänglich dafür. Fake News und Falschmeldungen waren also ein großes Problem.

Können Sie ein paar der besten Geschichten schildern, über die Sie im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie berichtet haben?

In der Anfangsphase der Pandemie schrieb ich einen ausführlichen Artikel über eine Gruppe von Reisenden, die nach Maharashtra zurückkehrten. Sie brachten das Coronavirus gewissermaßen in die verschiedenen Städte des Bundesstaats. Ich sprach mit diesen Menschen, die zurückkamen und zu den Ersten gehörten, die sich in Quarantäne begeben mussten. Für die Patient*innen, die Behörden und auch für mich war dies völliges Neuland. Es war eine meiner ersten, aber auch eine meiner eindringlichsten Geschichten. In einem späteren Artikel berichtete ich über Dharavi, den größten Slum Asiens, der zu diesem Zeitpunkt bereits weltweit für Schlagzeilen sorgte. Die Welt blickte auf Dharavi, und was immer man darüber schrieb war von Bedeutung. Alle interessierten sich dafür. Außerdem berichtete ich über das Covid-19-Krankenhaus in der Stadt, das Covid-19 infizierte Schwangere bei der Entbindung betreute. Während des Lockdowns fanden die meisten Geburten in diesem Krankenhaus statt. Es war eine besondere Geschichte, weil die Ärztinnen und Ärzte besorgt waren, dass auch die Babys mit Covid-19 infiziert sein könnten. Glücklicherweise gab es keine derartigen Fälle.

Denken Sie, dass es Lücken in der Covid-19-Berichterstattung gab?

Ich möchte niemanden kritisieren, doch in der Anfangszeit wurden die Strategien und Verfahren häufig geändert. Beispielsweise wurden alle Entscheidungen über Tests, Quarantänevorschriften oder Behandlungsverfahren auf lokaler Ebene getroffen. Für Reporter*innen war es sehr schwierig, diese Informationen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und die Öffentlichkeit immer wieder auf den aktuellen Stand zu bringen. Außerdem hatten die Menschen immer größere Schwierigkeiten, die Ereignisse nachzuvollziehen und zu verstehen. Dies war meines Erachtens ein großes Problem. Ein Gefühl von Chaos machte sich breit. Und weil die Dinge nicht klar kommuniziert wurden, nahm die Panik weiter zu. Später jedoch wurde alles besser und es gab mehr Klarheit.

Was haben Sie in der Pandemie gelernt? Haben Sie neue Fähigkeiten erworben?

Eines habe ich gelernt, nämlich meine Artikel so zu schreiben, dass sie in aller Welt gelesen werden können. Denn unsere Geschichten wurden plötzlich in aller Welt zur Kenntnis genommen. Ich arbeite beispielsweise schon seit langem zu Gesundheitsthemen, doch meine Berichte über die Pandemie in Indien stießen auf internationales Interesse, weil uns die große Bevölkerungsdichte unseres Landes vor besondere Herausforderungen stellte. Die Form der Berichterstattung erhielt einen hohen Stellenwert. Man musste ein weltweites Publikum erreichen. Außerdem lernte ich, mir Informationen auf unterschiedlichen Wegen zu beschaffen. Meine Quellen wurden immer vielfältiger. Früher zitierten wir immer dieselben Ärzt*innen, doch im Verlauf der Pandemie lernten wir viele weitere Mediziner*innen oder Gesundheitsexpert*innen kennen.
 
Gibt es Geschichten, die sie noch einmal aufgreifen oder behandeln möchten?

Da gibt es keine bestimmte Geschichte. In der Anfangszeit, als ich täglich über die Ereignisse berichtete, herrschte allerorten Chaos. Gern würde ich mich noch einmal mit einigen Geschichten befassen, über die ich aus Zeitgründen nicht so berichten konnte, wie ich es gern gewollt hätte. Dann könnte ich einige Aspekte näher beleuchten, beispielsweise welche Folgen die Covid-19-Pandemie in Slum-Gebieten mit einer großen Zahl von Tuberkulose-Patient*innen hatte, weil beide Krankheiten die Lunge betreffen. Es gab Befürchtungen, dass die Behandlung von Tuberkulose durch Covid-19 beeinträchtigt werden könnte. Ich würde mir gern einmal anschauen, wie sich die Situation tatsächlich entwickelt hat.

Haben Sie Tipps für junge Journalist*innen, die sich für Gesundheitsjournalismus interessieren?

Wissen Sie, ich habe keinen medizinischen Abschluss oder Hintergrund. Doch ich habe über Gesundheitsthemen auf Grundlage meiner Quellen berichtet. Journalist*innen dürfen nicht denken, dass sie zu wenig Erfahrung haben, um über bestimmte Themen zu berichten. Mit den Jahren ist es mir gelungen, auch über komplexe Sachverhalte zu schreiben. Journalist*innen müssen offen dafür sein, über ein breites Themenspektrum zu berichten. Heutzutage wird Gesundheitsjournalismus sehr viel ernster genommen und hat sich zu einem ausgesprochen wichtigen Themenbereich entwickelt.

 

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