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Gamification
Das Leben als (Computer-)Spiel?

Da kaum etwas so sehr motiviert wie Spiele, werden deren Mechanismen immer häufiger in spielfremde Systeme integriert. Punkte zu sammeln und Highscores zu ergattern, gehört im Zeitalter des Computerspiels zum Alltag.

Gespielt wird seit jeher – in allen Epochen und Kulturkreisen. Schach, Mikado, die Olympischen Spiele, Tetris oder World of Warcraft – so vielfältig die Welt der Spiele ist, so eng ist sie seit jeher mit unserem Leben verflochten. Im digitalen Zeitalter ziehen insbesondere Computerspiele Menschen in ihren Bann. Immer öfter sind daher – sowohl online als auch offline – in den unterschiedlichsten Lebensbereichen Prinzipien anzutreffen, die digitalen Spielen entliehen sind. Gamification nennt sich der Trend, wonach Spielmechanismen – Punkte, Levels, Wertungen und Ranglisten, Herausforderungen und Belohnungen – auf nicht-spielerische Umgebungen übertragen werden.

Motivation und Kundenbindung

Ganz neu ist die Idee freilich nicht, Spiele zum Vorbild zu nehmen und durch deren motivationsfördernde Kraft Menschen zu bestimmten Verhaltensweisen zu animieren: So gestalten etwa Unternehmen schon seit langem unterhaltsame und kompetitive Interaktionen, um Kunden zur Wiederkehr zu bewegen. Ob die gute alte Rabattmarke oder Meilenprogramme von Fluglinien – solche Kundenbindungswerkzeuge weisen etliche Mechanismen auf, die der Spielwelt entliehen sind: das Sammeln von Punkten, das Erklimmen von höher gelegenen Levels mit damit verbundenen Privilegien, der Erwerb von Status und Belohnungen. Auch das Weight-Watchers-Konzept weist alle Zutaten eines Multiplayer Games auf. Seit Jahrzehnten führt das Gewichtsreduktionsprogramm vor, wie Menschen durch Spielmechanismen zu Verhaltensänderungen zu bewegen sind, die ihnen ansonsten schwer fallen.

Selbstoptimierung oder Gemeinschaftsaufgabe

Heute erleben wir eine einmalige „Spielifizierung“ des Lebens. Computerspiele machen den Alltag zum Spiel: Indem das Erledigen von Abwasch und Hausputz mit Punkten virtuell belohnt wird, soll alles leichter von der Hand gehen, so die Idee hinter Anwendungen wie EpicWin. Auch das Besiegen des inneren Schweinehundes geht spielerisch leichter vonstatten. Als Spiel will Zombies, Run! Läufer motivieren. Die App schickt den Sportler auf Audiomissionen und nimmt ihn mit in eine Spielwelt, die die Laufrunde zum Abenteuer macht: Wer gegen Zombies kämpft, nimmt die Beine gerne in die Hand.

Andere Spiele wiederum haben nicht die persönliche Selbstoptimierung, sondern die Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben zum Ziel: Die Finnische Nationalbibliothek etwa schickte mit Digitalkoot Freiwillige auf Fehlersuche in ihre elektronischen Archive. Das Institut für Kunstgeschichte an der Universität München nutzt das Online-Spiel Artigo, um Kunstwerke verschlagworten zu lassen. Auch die Wissenschaft setzt auf die enorme Energie und Problemlösungskraft, die Menschen in Computerspiele stecken: Foldit und EteRNA lassen Wissenschaftler gemeinsam mit Gamern an der Erforschung von Krankheiten und deren Heilung arbeiten. PhotoCity schickt Spieler auf eine Art fotografische Schnitzeljagd, um aus den spielerisch generierten Bilddaten digitale 3D-Modelle ganzer Städte anzufertigen. Im Zeitalter des Computerspiels werden Spaß und Unterhaltung zu einer neuen Währung im Austausch für Arbeit, die andernfalls kaum finanzierbar wäre.

Die Welt wird zum Spielfeld

Dass Gamification gerade heute so starken Zuspruch erfährt, ist kein Zufall. Die technologische Omnipräsenz eröffnet dem Spiel neue Gestaltungsmöglichkeiten und Einsatzbereiche. Spielmechanismen wie wir sie sonst nur aus Videospielen kennen, sind nicht länger der virtuellen Welt vorbehalten. Dank Smartphones, Digitalkameras, Sensoren und dem zunehmend allgegenwärtigen Internet finden sie immer öfter ihren Weg in die Wirklichkeit. Zudem stehen wir am Beginn eines Zeitalters der Wegwerf-Elektronik: Recheneinheiten, Sensoren und Kameras werden stets billiger. Bald werden die gewöhnlichsten Alltagsgegenstände mit Elektronik versehen sein – von der Kaffeetasse über Lebensmittelverpackungen bis hin zur Kleidung. Weil all diese Dinge mit dem Internet verbunden sein werden, bröckelt die Grenze zwischen realer und virtueller Welt. Digitale Spiele werden stets weiter in unser Leben eindringen.

Darüber hinaus wächst heute eine ganze Generation mit virtuellen Welten und Computerspielen auf. Da die „Generation Gaming“ dadurch eine spielerische Perspektive auf das gesamte Leben hat, rücken Spiel und Lernen, Spiel und Arbeiten, Spiel und viele andere Facetten unseres Lebens immer näher zusammen.

Leben in der verspielten Gesellschaft

Gamification ist eine ständige Gratwanderung zwischen Motivation und Manipulation. Zieht der Einzug von Computerspielen in alle Winkel unseres Lebens Spaß und Unterhaltung nach sich, so entsteht gleichzeitig auch ein dichtes Datennetz, das die Ableitung von Persönlichkeitsprofilen zum leichten Spiel macht: Indem wir jede Aktivität unseres Lebens in ein Computerspiel verwandeln, geben wir eine Menge über uns preis, weil persönliche Daten, die unser Verhalten spiegeln, dabei quasi als Nebenprodukt anfallen. Dies öffnet jeglicher Form von Verhaltensbeeinflussung Tür und Tor.

So ist Gamification ein zweischneidiges Schwert: Die „Spielifizierung“ des Lebens könnte eine Zukunft eröffnen, in der Herausforderungen spielerisch gemeistert werden, Menschen hoch motiviert arbeiten, weil auch die langweiligsten Aufgaben so verpackt werden, dass sie Spaß machen. Gleichzeitig aber birgt Gamification die Gefahr, dass Menschen nicht mehr selbstbestimmt agieren, weil sie nicht einmal mehr erkennen, wann sie spielen und wann nicht. Gamification steckt noch in den Kinderschuhen. Die Zukunft wird weisen, wie die Macht der Spiele genutzt wird.

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