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„Fehlende menschliche Kontakte gaben den Impuls für eine Neudefinition des öffentlichen Raums“

Aashti Miller berichtet darüber, wie sie in ihrer Arbeit als Architektin und Illustratorin von Mumbai beeinflusst wurde und wie sich Menschen mit der Zeit ihre eigenen kleinen öffentlichen Räume während der Pandemie geschaffen haben.

Von Faizal Khan

Was warst Du zuerst, Architektin oder Illustratorin?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Im Anschluss an ein zweijähriges Architekturstudium in den USA habe ich dort für ein Architekturbüro gearbeitet. Nach sieben Jahren, in denen ich mich ausschließlich der Architektur gewidmet habe, beschloss ich, nach Indien zurückzukehren, um näher bei meiner Familie zu sein. Meine Firma in den USA schlug mir vor, weiter für sie zu arbeiten. Ich habe also bis heute, seit mittlerweile zweieinhalb Jahren, im Homeoffice gearbeitet, noch bevor diese Art des Arbeitens zu einem weltweiten Phänomen wurde. Ich habe einen Vollzeitjob als Architektin. Illustrationen habe ich zuerst nur nebenbei gemacht. Mit der Zeit hat diese Tätigkeit für mich einen völlig neuen Stellenwert bekommen. Zunächst war ich Vollzeit-Architektin und Teilzeit-Illustratorin, inzwischen übe ich beide Tätigkeiten in Vollzeit aus.

Wie groß und prägend war der Einfluss einer so wunderbaren und vielfältigen Stadt wie Mumbai, Deinem Geburtsort, auf Deinen Stil und Deine Ästhetik?

Sehr groß, denke ich. Zurzeit schöpfe ich meine gesamte Inspiration aus dieser Stadt. Ich bin in Mumbai aufgewachsen und war schon immer fasziniert von diesem Ort. Den Aufsatz für meine College-Bewerbung habe ich über Mumbai und darüber geschrieben, wie mich diese Stadt inspiriert hat. Es war interessant, zunächst Architektur zu studieren, dann erste Schritte in der Illustration zu machen und anschließend nach Mumbai zurückzukehren und die Stadt mit anderen Augen zu sehen. Mein Vater ist Architekt und meine Mutter ist Künstlerin. Auch sie ziehen persönlich sehr viel Inspiration aus der Stadt. Bei uns zu Hause unterhalten wir uns über dieses Thema (die Stadt), was für ein Gespräch in der Familie recht ungewöhnlich ist. Beispielsweise diskutieren wir über die Uferstraße, die in Mumbai gebaut werden soll. Auch wenn die Pläne noch nicht veröffentlicht wurden, kann mein Vater mit seinem Blick als Architekt sehr viel darüber in Erfahrung bringen. Meine Mutter betrachtet das Ganze aus der Perspektive einer Künstlerin und vergleicht alles mit Maschinen und anderen Dingen und Tieren. Mein Umfeld ist sehr kreativ und sehr förderlich für Kreativität. So bin ich aufgewachsen. Dass ich heute als Architektin und Illustratorin arbeite, scheint mir die ideale Kombination zu sein. Beide Bereiche sind sehr gegensätzlich, ergänzen sich aber auch.

Was verbindest Du als Architektin mit Kreativität und öffentlichem Raum?

Der öffentliche Raum hat mich schon immer interessiert. Alle meine Projekte am College hatten mit dem öffentlichen Raum zu tun. Auch bei meiner Arbeit im Architekturbüro habe ich mich ganz besonders mit diesem Bereich beschäftigt. Aus meiner Sicht bietet dieser Raum das größte ungenutzte Potenzial. Vor allem durch den Lockdown und den Mangel an Freiräumen und sozialen Kontakten haben die Menschen den öffentlichen Raum sehr zu schätzen gelernt. In Mumbai wurde beispielsweise vor kurzem, als die Omikron-Variante durch die Stadt wütete, die Pferderennbahn für einen Tag geschlossen. Daraufhin hagelte es Proteste, weil die Menschen im Lockdown bemerkt hatten, dass dies eine der einzigen großen Freiflächen war, auf der sie sich bewegen konnten. Für mich gehört der öffentliche Raum zu den wichtigsten Dingen für uns Menschen. Daran mangelt es in Indien ganz besonders. Angesichts der vielen Spielräume ist dies jedoch für Architekt*innen in Indien eine ganz besonders spannende Zeit.

Denkst Du, mit der Pandemie und dem Lockdown hat sich unser Bewusstsein für den öffentlichen Raum geändert?

Auf jeden Fall. Ich habe Menschen dabei beobachtet, wie sie sich ihre eigenen kleinen öffentlichen Räume geschaffen haben. Beispielsweise wurden aus Parkplätzen plötzlich wichtige öffentliche Räume. Wenn beispielsweise ein Teestand auf einem Parkplatz aufgebaut wurde und sich die Menschen darum versammelten. Und wie dieser Ort automatisch noch öffentlicher wurde, wenn die Menschen Stühle mitbrachten. Es ist schon erstaunlich, wie das Fehlen menschlicher Kontakte die Menschen dazu bewegt, Freiflächen und den öffentlichen Raum neu zu definieren.

Wie wirken sich die unterschiedlichen Narrative indischer Megastädte auf Deine Sensibilität und Ausdrucksweise als Künstlerin aus?

Architektur hat einen prägenden Einfluss auf meine Illustrationsarbeit. In Städten kann man so viele Dinge beobachten. Meine Karriere als Illustratorin startete mit einer Instagram-Seite. Ich erinnere mich an eine meiner ersten Illustrationsideen. Es war eine Szene, die ich in den Straßen von Mumbai erblickt hatte: Ein alter Mann schob einen Wagen, in dem ein junger Mann saß. Mir kam in den Sinn, dass man eine solche Szene wohl niemals in einer anderen Stadt als in einer der indischen Megastädte beobachten könnte.

Ich erinnere mich, dass ich beim Betrachten dieser Szene dachte: „Vielleicht sollte ich eine ganze Serie mit Illustrationen über skurrile Momente in Mumbai machen, die man immer wieder sieht, obwohl man letzten Endes niemals Teil davon ist.“ Diese Städte sind so prall gefüllt mit Leben, das man in dieser Form in anderen Megastädten in anderen Ländern nicht finden wird. Nachdem ich einige Zeit in den USA und in Indien gelebt habe, bin ich der festen Überzeugung, dass wir hier etwas ganz Einzigartiges haben.

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